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Eine Zornesregung ließ Cathérine erstarren. Sie hob scharf den blonden Kopf und sagte:

»Wer erlaubt Euch zu glauben, daß ich die geringste Lust habe, davon zu hören?«

Van Eyck überging die Unterbrechung. Er wandte die Augen ab, ging ein paar Schritte zurück und sagte tonlos:

»Eure Flucht hat ihn aufgewühlt, Cathérine … und ich weiß, daß er daran noch leidet! Nein«, schnitt er ihr seinerseits das Wort ab, »sagt nichts mehr, da ich nichts hinzuzufügen hätte. Vergeßt alles, was Euch Sorgen macht, und denkt lediglich an eines: Ich bin nur Euer Freund, und in dieser Eigenschaft werde ich Euch morgen folgen. Seht sonst nichts darin! Ich wünsche Euch eine gute Nacht, schöne Cathérine!«

Und bevor die junge Frau eine Bewegung machen konnte, um ihn zurückzuhalten, öffnete er die Tür und verschwand.

4

Von den zur Hälfte geschleiften Wällen von St-Jean-Pied-de-Port an stieg die alte römische Landstraße ununterbrochen gute acht Meilen lang zum Paß von Bentarté hinauf. Der Weg war schmal, schwierig, schlüpfrig durch Reste alter Steinplatten, die ihn noch bedeckten und auf denen die kalte Höhenluft eine schwache Eisschicht gebildet hatte. Er war auch holprig und wand sich steil durch eine Landschaft, die dürrer und trockener wurde, bis sie sich im Himmel zu verlieren schien. Doch Cathérine und ihre Gefährten hatten auf den ihnen in Saint-Jean gegebenen Rat hin diesen Weg dem viel leichteren des Val Carlos vorgezogen, um zu vermeiden, in Gefechte verwickelt zu werden. Ein Raubritter, Vivien d'Aigremont, beherrschte den Weg durch das Tal mit seinen wilden Banden aus Basken und Navarresern. Gewiß, die die Dame de Châteauvillain eskortierenden Soldaten zusammen mit der Eskorte Jan van Eycks waren stark, gut bewaffnet und konnten den Ritt der Reisenden ohne allzuviel Gefahren sichern. Aber nach dem, was man von der sturen Brutalität und primitiven Wildheit der Leute d'Aigremonts gehört hatte, hatte man es mit nicht zu unterschätzenden Feinden zu tun, die obendrein noch an Zahl weit überlegen waren. Es war daher besser, den Höhenweg zu nehmen.

Je weiter man anstieg, desto kälter wurde es. Ein beißender Wind wehte ununterbrochen gegen die Ausläufer der Pyrenäen und jagte und trieb eisige Nebelschwaden hin und her, die manchmal Felsen in allernächster Nähe den Blicken entzogen. Seit dem Aufbruch am frühen Morgen sprach niemand. Man mußte genau aufpassen, wohin man seinen Fuß setzte, denn es hatte sich als nötig erwiesen, abzusteigen und die Pferde am Zügel zu führen, damit sie nicht stürzten. Und die lange, schweigsame Reihe, die sich im trüben grauen Licht am Berghang entlangzog, hatte etwas Geisterhaftes an sich. Selbst die feucht gewordenen Waffen waren glanzlos. Hinter sich hörte Cathérine Ermengarde schimpfen, die, von Gillette de Vauchelles und Margot la Déroule gestützt, nur mühsam vorwärts kam.

»Dreckwetter und Drecksland! Konnten wir nicht den Weg da unten nehmen wie Kaiser Karl der Große? Die Straßenräuber scheinen mir weniger zu fürchten zu sein als dieser Weg, der gerade gut genug für Bergziegen ist! In meinem Alter muß ich zwischen Felsen herumgaloppieren wie ein alter Klepper! Wenn so etwas einen Sinn haben soll …«

Die junge Frau konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. Sie wandte sich halb um und sagte:

»Nun, Ermengarde, brummt nicht herum! Ihr habt es doch selbst so gewollt!«

Sie hatte der alten Dame keinen Ton von ihrer Unterhaltung mit van Eyck gesagt! Was konnte es schon nützen? Ermengarde hätte nicht verstanden, daß Cathérine ihre Handlungsweise als eine Art Verrat auffaßte. Sie hatte in gutem Glauben gehandelt, hatte Catherines Bestes im Sinn gehabt. Und schließlich waren der Maler und seine starke Eskorte ein guter Beistand für den kleinen Trupp in diesen schwierigen Landen. Und endlich, was immer die geheimnisvolle Botschaft sein mochte, die van Eyck ihr mitzuteilen hätte, »wenn die Zeit reif sein würde«, wußte sie nur zu gut, daß er keinerlei Macht über sie besäße, falls er versuchte, sie von ihrem Ziel abzubringen. Trotzdem, die Verschwiegenheit, die van Eyck ihr gegenüber bewahrte, irritierte sie und reizte ihre Neugier. Warum diese fast offizielle Reise, dieser Rang eines Gesandten, diese Bewaffneten, wenn es sich nur um eine Botschaft handelte? Aber Cathérine kannte Jan gut genug, um zu wissen, daß er erst sprechen würde, wenn seine Stunde gekommen war. Es war das beste zu warten … Und wenn sie seit dem Morgen schweigend dahinritt, von einer Traurigkeit übermannt, von der sie sich nicht lösen konnte; wenn sie die schwindelnd hohe Landschaft durchforschte, die flüchtig erblickten Abgründe zwischen den weißen Gipfeln, war es nicht seinetwegen, sondern weil sie an Gauthier dachte … Dies hier war die Kulisse seines Verschwindens, eine Kulisse, die ganz diesem Riesen angepaßt war, den sie für unzerstörbar gehalten hatte! Aber welcher Mann von Fleisch und Blut konnte es mit diesen Riesen aus Fels und Eis aufnehmen? Nie hätte Cathérine sich vorgestellt, daß es ein solches Land geben könne. Und sie wurde sich jetzt klar, daß sie bis zu dieser Minute gegen jede Vernunft, gegen alle Wahrscheinlichkeit gehofft hatte, ihr treuer Diener sei als Sieger aus diesem letzten Kampf hervorgegangen und sie werde ihn irgendwo, wunderbarerweise bewahrt, wiederfinden. Bis hierher hatte sie kommen müssen, um zu begreifen, daß es kein Wunder geben würde!

… Während sie sich den schwierigen Weg entlangschleppte, das Pferd hinter sich, dachte Cathérine nicht daran, was sie selbst zu ertragen hatte. Statt dessen schien es ihr, als sähe sie durch den dichten Nebel die massige, kraftvolle Gestalt ihres Gefährten in grausamen Stunden auftauchen, sein vertrautes Lächeln und seine grauen Augen, die die ganze blinde Wildheit der alten nordischen Götter und allen Freimut eines Kindes enthalten konnten. Schmerzend zog sich ihre Kehle zusammen, und sie mußte einen Moment die Augen schließen, die voll Tränen waren. Und dann entfernte sich der Schatten des guten Riesen und vereinte sich in Catherines gepeinigtem Herzen mit der hochmütigen Gestalt Arnauds. Die Sehnsucht wurde einen Augenblick lang so grausam-schmerzlich, daß die junge Frau sich am liebsten zwischen den vereisten Steinen des Weges niedergelegt und den Tod erwartet hätte … Einzig der Stolz und ein Wille, der über ihre Entmutigung triumphierte, hielten sie aufrecht und ließen sie weitertrotten, vorwärts, vorwärts, ohne daß auch nur einer ihrer Gefährten das Drama, das sich in ihr abspielte, ahnen konnte …

Als man auf dem Paß von Bentarté anlangte, begann der Tag sich seinem Ende zuzuneigen. Der Wind blies in so heftigen Stößen, daß die Reisenden nur gebeugt vorwärts kamen. Der Anstieg war beendet, und nun mußte man dem sich über gezackte Kamme hinziehenden Gratweg folgen … Der Himmel lag so tief, daß Cathérine das Gefühl hatte, sie könne ihn berühren, wenn sie nur die Hand ausstreckte.

Hinter ihr sagte jemand:

»Bei klarem Wetter kann man das Meer und die Grenzen der drei Königreiche Frankreich, Kastilien und Aragon sehen.«

Aber das interessierte die junge Frau nicht, die die Ermüdung schwer zu bedrücken begann.

Es gab an diesem verlassenen Ort Hunderte roher Holzkreuze, von den vor ihnen durchgekommenen Pilgern dort aufgestellt, und Cathérine betrachtete sie mit Schaudern: Es kam ihr vor, als wanderte sie inmitten eines Friedhofs!

Ihre Augen brannten vor Müdigkeit, ihre Füße schmerzten, und ihr ganzer Körper zitterte vor Kälte. Die Hoffnung, Arnaud wiederzusehen, mußte schon sehr groß in ihr sein, um so viel Leiden zu ertragen.

Der Rest des Weges bis zum Paß von Ibañeta weiter unten und dann bis zum Rasthaus von Roncevaux war für sie ein Leidensweg, den die anbrechende Nacht noch verschlimmerte. Als man endlich in Sicht der berühmten, von Erzbischof Sanche de la Rose und König Alfons dem Eroberer erbauten Zufluchtsstätte war, ging der Mond auf und übergoß mit seinem kalten Licht die Häusergruppe mit ihren sehr niedrigen Dächern, ihren dicken, durch kräftige Stützbögen versteiften Mauern, die sich am Fuße der Ausläufer des Ibañetapasses hinstreckte. Das Ganze wurde von einem viereckigen Turm beherrscht, und der Weg durchquerte unter einem Gewölbe das alte Kloster. Der Rauhreif bestäubte alles, gab allen Dingen eine unwirkliche Schönheit, doch Cathérine, am Ende ihrer Kräfte angelangt, war dafür völlig unempfindlich. Sie sah nur eines: Unter dem Gewölbe bewegten sich Laternen, von menschlichen Händen getragen, und diese Laternen bedeuteten Leben, Wärme … Die Zähne zusammenpressend, machte sie eine letzte Anstrengung, um vollends zum Hospiz zu gelangen, doch als sie einmal da war, ließ sie sich auf einen Pferdetritt sinken, unfähig, auch nur noch einen Schritt zu tun.