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In den grauen Augen Gerberts blitzte ein Zornesfunkeln auf. Sein Blick und der Catherines maßen sich herausfordernd, aber die junge Frau schlug die Augen nicht nieder. Sie empfand eine Art wilder Freude angesichts der sichtbaren Wut des Mannes. Er mußte ein für allemal begreifen, daß sie nie und nimmer bereit sein würde, sich seinem Gesetz zu unterwerfen … Dies sagte Catherines veilchenblauer Blick ganz deutlich. Gerbert täuschte sich keineswegs darüber.

Mit einer instinktiven Bewegung hob er den mit einem dicken Stab bewaffneten Arm. Schnell warf sich einer der Pilger dazwischen, packte den erhobenen Arm und drückte ihn herunter.

»Aber, aber, Bruder! Mäßigt Euch! Vergeßt nicht, daß Ihr es mit einer Frau zu tun habt, nicht mit einem Diener. Mein Gott, was für ungehobelte Manieren ihr in eurer wilden Auvergne habt!« sagte der Neuankömmling mit spöttischem Unterton. »Wäre es nicht besser, wenn Ihr versuchtet, uns aus diesem Nebel herauszuführen, der uns in Mark und Knochen dringt? Der Ort hier scheint mir schlecht geeignet für einen solchen Streit, und ich würde der Dame Cathérine lieber helfen, unsere Schwester zum nächsten Wegziel zu bringen … wenn es überhaupt eins gibt!«

»Im Hospiz wird sie die Pflege erhalten, die sie braucht«, murmelte Gerbert, zu seinem Platz an der Spitze der Kolonne zurückkehrend.

»Wenn ich die Dächer sehe, werde ich an dieses Hospiz glauben!« meinte Catherines Verteidiger, während er ihr half, die arme Gillette aufzurichten, deren Knie vor Erschöpfung einknickten. »Man müßte diese Frau tragen …«, fügte er hinzu, während er sich suchend umsah. Cathérine lächelte ihm zustimmend zu. Sie hatte ihn vorher noch nicht bemerkt und wunderte sich über sein für einen Pilger ungewohntes Aussehen. Er war ein junger Mann, schlank und von mittlerer Größe, mit braunem Haar, dessen Gesicht in nichts der Vorstellung glich, die man sich im allgemeinen von einem frommen Pilger machte. Nichts an diesem Gesicht, das alles in allem außerordentlich ausdrucksvoll wirkte, schien im Gleichgewicht zu sein. Dicke, fleischige Lippen, auf die eine lange und kräftige, in der Mitte eingeknickte Nase herabstieß, kleine blaue, unter den Brauen tief eingegrabene Augen, ein eckiges, eigensinniges Kinn, eine Unzahl frühzeitig entwickelte Falten. Die Züge waren grob, doch die Physiognomie wirkte beweglich, der lebhafte Blick verriet Intelligenz, die spöttischen Fältchen in seinen Mundwinkeln ließen auf einen unwiderstehlichen Hang zur Ironie schließen.

Als er sich der stummen Musterung durch Cathérine bewußt wurde, lächelte er auf eine seltsame Weise, die seine Lippen zurückzog und den Mund bis zu den Ohren spaltete; er nahm den großen Pilgerhut ab, dessen Krempe er auf burschikose Art hochgeschlagen trug, und fegte damit über den Boden.

»Josse Rallard, schöne Dame, zu Diensten! Ich bin Pariser, Kavalier und Abenteurer, und wenn ich nach Galicia gehe, so ebenso, um ein Gelübde zu erfüllen wie um die Vergebung meiner zahlreichen Sünden zu erlangen! Holla! Ihr da, wer hilft mir, diese Frau zum Hospiz zu tragen?«

Unter den Umstehenden meldete sich keiner. Offensichtlich hatten die Pilger genug an ihrer eigenen Mühsal. Alle waren müde und vor Kälte erstarrt. Einige zitterten im schneidenden Wind der Hochebene. Keiner hatte den Mut, auch noch diese zusätzliche Last zu tragen. Cathérine kamen sie wie eine Herde verängstigter Schafe vor, und sie konnte sich eines Gefühls der Verachtung nicht erwehren. War das die gegenseitige Hilfsbereitschaft, die unter den Pilgern herrschen sollte? Schon setzte sich, von Gerbert Bohat angetrieben, der Pilgertrupp wieder in Marsch, als Josse, die Reihen der ihn Umgebenden auseinanderschiebend, einem Mann mittlerer Größe auf die Schulter klopfte, der unter seinem Hut den Rücken rund machte.

»Allons, Kamerad! Kommt, legt mit Hand an! Hat man je solche frommen Leute gesehen wie euch, meine Brüder! Was, kein Freiwilliger? Ihr, Kamerad, werdet Euch doch nicht weigern.«

»Ich bin nicht Euer Kamerad!« brummte der andere, wagte aber nicht, sich zu sträuben. Von Josse ins Schlepptau genommen, trat er zu Cathérine, die immer noch Gillette stützte, aber es war deutlich zu sehen, daß er nicht gerade begeistert war. Josse indessen lachte schallend über sein langes Gesicht.

»Na also! Sind wir nicht alle beide Pariser? Der Hochmut ist eine fürchterliche Sünde, besonders bei einem Pilger, Bruder! Dame Cathérine, darf ich Euch Messire Colin des Epinettes vorstellen? Er ist ein hervorragender Jurist und ein Mann von großem Wissen, den hier wiederzutreffen ich sehr glücklich war. Nun, Bruder, packt Madame von dieser Seite, ich werde sie von der anderen packen. Es ist nicht schicklich, daß Dame Cathérine sich anstrengt, wenn wir da sind!«

Beim Anblick der wütenden Miene des ›hervorragenden Juristen‹ bekam Cathérine plötzlich Lust zu lachen, so daß sie ihre Müdigkeit einen Augenblick vergaß. Sie hätte schwören können, ihn brummen zu hören:

»Hol dich der Teufel! Dich und dein Schandmaul!«

Doch Colin hatte sich kaum den einen Arm Gillettes um den Hals gelegt, als Josse dasselbe mit dem anderen tat. So gestützt, berührte die arme Frau praktisch nicht mehr den Boden. Cathérine belud sich mit ihrem Stab und ihrem sehr schmalen Bettelsack. Man setzte sich wieder in Marsch, aber der Aufenthalt hatte die Zungen gelöst. Jetzt beklagten sich die Pilger über die Länge der Strecke und die Dunkelheit, die sie umgab. Einige fürchteten die verräterischen Torfstiche und flehten den heiligen Jakob an, sie in dieser ersten Gefahr zu beschützen.

»Schweigt!« rief irgendwo im Nebel vor Cathérine die herrische Stimme Gerberts. »Oder singt!«

»Wir haben nicht den Mut!« erwiderte jemand. »Warum nicht zugeben, daß wir verloren sind?«

»Weil wir's nicht sind!« erwiderte der Führer. »Das Hospiz kann nicht mehr weit sein …«

Cathérine öffnete schon den Mund, um ebenfalls ihre Zweifel zu äußern, doch wie um dem Clermonteser recht zu geben, drang der dünne, zarte Klang einer Glocke durch den Nebel. Bohart stieß einen Triumphschrei aus. »Die Glocke der Verlorenen! Wir sind auf dem richtigen Weg. Vorwärts!«

Seinen Stab wie eine Standarte emporhebend, stürzte er in die Richtung, aus der der Ton kam. Der ermattete Trupp setzte sich hinter ihm in Bewegung.

»Hoffen wir, daß er so etwas wie Richtungsgefühl hat«, murmelte Josse. »Nichts ist täuschender als Nebel!«

Cathérine sagte nichts darauf. Sie fror und war schrecklich müde. Aber die Rufe der Glocke wurden immer deutlicher. Bald blinkte ein schwaches gelbes Licht in der Dunkelheit. Gerbert begrüßte es wie einen persönlichen Sieg.

»Dieses Feuer da zünden die Mönche auf der Spitze des Glockenturms an. Wir kommen hin.«

Der Nebel teilte sich plötzlich, und Cathérine sah mit Erleichterung eine Masse gedrungener Gebäude vor sich auftauchen. Mit schwarzen Firsten in den Himmel ragend, schienen ein riesiger, uralter Turm, ein mächtiger, viereckiger Glockenturm, auf dem das Feuer brannte, und ein von gewaltigen Strebepfeilern gestütztes Kirchenschiff den ganzen Komplex großer Gebäude mit seinen spärlichen Fenstern zu bewachen. Das Hospiz der Einsamkeit, wie es im letzten Winkel des weiten Plateaus stand, glich ganz einer Festung. Die neu belebten Pilger stießen Freudenschreie aus, die den Ton der Glocke, deren Schläge jetzt direkt über ihren Köpfen zu hören waren, fast übertönten. Das Portal öffnete sich knarrend und gab drei Mönchen mit Fackeln den Weg frei, die den Ankömmlingen entgegeneilten.

»Wir sind Reisige Gottes!« rief Gerbert mit starker Stimme. »Wir bitten um Asyl!«

»Tretet ein, Brüder, das Asyl ist euch gewährt …«

Als wäre nur die Ankunft der Pilger abgewartet worden, fing es plötzlich heftig an zu schneien, und die Flocken bedeckten die festgetretene Erde des weiten Hofs, in dem ihnen der starke Geruch von Schafen in die Nase stieg. Cathérine lehnte sich erschöpft an eine Wand. Zweifellos würde ein gemeinsamer Schlafsaal sie und ihre Reisegefährtinnen aufnehmen, aber an diesem Abend verlangte es sie danach, ohne daß sie eigentlich recht wußte, warum, einen Augenblick mit sich allein zu sein. Vielleicht, weil diese seltsame Reise sie trotz ihres Mutes in Verwirrung brachte. Sie fühlte sich inmitten dieser Leute entwurzelt, fremd gegenüber ihrem Trachten, ihren Gelübden. Was sie alle wünschten, war, sich zu heiligen, indem sie zum Grab des Apostels pilgerten, es war eine Art Versicherung bei Lebzeiten auf einen guten Platz im Paradies. Sie aber? Gewiß, sie wünschte, von Gott das Ende ihres Leidensweges zu erlangen, die Heilung ihres vielgeliebten Gatten, aber besonders, »ihn« wiederzusehen, seine Liebe wiederzugewinnen, seine Küsse, seine Leidenschaft, alles, was die lebendige Wirklichkeit Arnauds ausmachte. Sie strebte nicht nach hoher Vergeistigung, sondern nach irdischer Liebe, nach Sinnenlust, ohne die sie nicht den Mut zum Leben hatte.