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»Eßt zuerst!« riet er, auf Catherines Napf deutend, die, von dem Gehörten überwältigt, keine Bewegung gemacht hatte. »Eßt! Danach werdet Ihr klarer sehen.«

Sie setzte den Napf mit der dicken Suppe aus Speck und Mehl an die Lippen, verbrannte sich und schnitt eine Grimasse. Das Gefäß auf den Tisch zurückstellend, betrachtete sie nacheinander ihre beiden Gefährten.

»Ich muß Gauthier retten! Ich könnte nicht mehr leben, wenn ich ihn auf diese schreckliche Weise zugrunde gehen ließe.« Ihre Worte fielen in das Schweigen. Hans fuhr ruhig fort zu essen, ohne zu antworten. Als er fertig war, schob er seinen Napf zurück, wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab und murmelte: »Dame, ich möchte Euch nicht widersprechen. Zweifellos war dieser Mann Euer Diener, Euer Freund vielleicht, aber die Zeit kann die Herzen verwandeln. Die Räuber von Oca sind furchtbare Geschöpfe, und dieser Mann war bei ihnen. Seine Seele wurde durch ähnliche Verbrechen, wie sie sie begingen, belastet. Warum wollt Ihr Euer Leben für einen dieser Verfluchten aufs Spiel setzen?«

»Ihr versteht das nicht! Ihr begreift nichts! Wie könntet Ihr auch? Kennt Ihr denn Gauthier? Wißt Ihr, was für ein Mensch er ist? Nehmt zur Kenntnis, Meister Hans: Es gibt im ganzen Königreich Frankreich niemand mit einem besseren Herzen, mit einer treueren Seele als ihn. Es sind erst einige Monate her, daß ich ihn verloren habe, und ich weiß, daß er sich weder für Gold, noch um seine Haut zu retten, in dieser Hinsicht geändert hat. Hört weiter, dann könnt Ihr urteilen!«

In wenigen einfachen Sätzen, ohne irgendwelche sensationellen Wirkungen erzielen zu wollen, schilderte sie dem Deutschen das Leben Gauthiers in ihrer Nähe, wie er sie beschützt, viele Male gerettet hatte, wie er aufgebrochen war, um Arnaud zu suchen, wie er schließlich in einer Schlucht der Pyrenäen verschwunden war. Hans hörte ihr wortlos zu.

»Versteht Ihr jetzt?« fragte sie schließlich. »Versteht Ihr, daß ich ihn unmöglich sterben lassen kann? Und ganz besonders nicht diesen schrecklichen Tod.«

Noch einen Augenblick schwieg Hans, seine Hände mit einer mechanischen Bewegung öffnend und schließend. Schließlich hob er den Kopf:

»Ich habe verstanden! Ich werde Euch unterstützen!«

»Warum solltet Ihr uns helfen?« fuhr Josse mit jäher Heftigkeit dazwischen. »Wir sind für Euch Unbekannte, und Ihr habt keinen Grund, Euer Leben für Unbekannte aufs Spiel zu setzen! Das Leben hat auch sein Gutes. Es muß Euch doch etwas daran liegen. Außer Ihr hofft, den Smaragd der Königin zu gewinnen …«

Hans stand so plötzlich auf, daß die Bank, auf der er gesessen hatte, mit lautem Krach hinter ihm umfiel. Er war hochrot geworden, und seine geballte Faust hob sich bis zu Josses Nase. »Sag das noch einmal, Freundchen, und ich schlage dich in Klumpen! Hans von Köln hat sich niemals für seine Dienste bezahlen lassen, merke dir das!«

Cathérine warf sich heftig zwischen die beiden Männer und zog mit ihrer kleinen Hand sanft die Josse bedrohende Faust zurück, die dieser übrigens völlig kaltblütig betrachtete.

»Verzeiht ihm, Meister Hans! Es ist heutzutage schwer, dem erstbesten Vertrauen zu schenken, aber ich glaube Euch. Es gibt zwei Augen, die sich nicht täuschen, und Ihr hättet nicht so gehandelt, wenn Ihr einen Hintergedanken gehabt hättet. Aber in gewissem Sinne hat Josse doch recht. Weshalb wollt Ihr Euer Leben für uns aufs Spiel setzen?«

Je länger die junge Frau sprach, desto mehr hatte Hans' Gesicht seine normale Farbe wieder angenommen. Als sie geendet hatte, widmete er seinem Gegner eine Grimasse, die zur Not als eine Art Lächeln gelten konnte. Dann zuckte er mit den Schultern und erwiderte:

»Wie soll ich das wissen? Sicherlich, weil Ihr mir gefallt, aber auch für mich selbst! Dieser Gefangene kommt aus dem Norden wie ich, wie Ihr. Und dann fängt er an, mich zu interessieren. Ich habe keine Lust, ihn von diesen blutrünstigen Tieren wie auf der Schlachtbank in Stücke schneiden zu lassen. Ich glaube, ich könnte danach nicht mehr ruhig schlafen. Und schließlich … hasse ich den Herrn Alkalden, der einem meiner Leute unter dem Vorwand, er habe gestohlen, die Hand hat abschlagen lassen. Mit Vergnügen würde ich ihm einen Streich spielen …«

Er ging in den Hintergrund des Raums, zog aus einer Ecke eine zusammengerollte Matratze und breitete sie nicht weit vom Feuer aus. »Legt Euch hier nieder und versucht, ein wenig zu schlafen«, sagte er, zu Cathérine gewandt. »In den dunklen Stunden nach Mitternacht werden wir auf die Türme steigen und versuchen, an den Käfig zu gelangen.«

»Glaubt Ihr, wir werden ihn befreien können?« fragte Cathérine mit hoffnungsvoll blitzenden Augen.

»Heute nacht? Das glaube ich nicht. Man muß sehen, wie das alles von oben aussieht, und man muß die Flucht auch vorbereiten. Aber vielleicht werden wir ihm etwas zu essen und zu trinken geben können!«

Die Stimme des Nachtwächters hatte schon geraume Zeit Mitternacht ausgerufen, als die Tür der Werkstatt sich geräuschlos öffnete, um drei Schatten, zwei große und einen kleinen, durchzulassen. Außer den am Fuße der Türme wachestehenden Soldaten war keine Menschenseele auf dem Platz. Nur eine Katze flitzte vor den nächtlichen Spaziergängern davon … Cathérine, Josse und Hans glitten in den Schatten des Kreuzgangs der Kathedrale in Richtung auf das Seitenportal del Sarmental, zu dessen kleiner Tür Hans einen Schlüssel besaß. Er baute nämlich eine Kapelle neben diesem Portal. Den Atem anhaltend, schritten sie langsam weiter, sorgfältig achtgebend, daß sie nicht über die Steine am Boden stolperten. Unter dem Arm trug Josse einen Krug Wasser, während Hans eine Speckseite und einen kleinen Laib Weißbrot bei sich hatte. Nur Cathérine trug nichts. Sie ging, die Augen auf den Boden geheftet, und wagte nicht, den Kopf zu dem dunklen Käfig zu heben, der sich in der klaren Nacht abzeichnete.

»Achtung!« warnte Hans, als sie das Portal über einen Treppengang erreichten. »Kein Geräusch in der Kirche. Sie hallt wie eine Trommel wider, und es sind immer zwei betende Mönche da. Sie lösen sich die ganze Nacht über ab. Gebt mir Eure Hand, Dame Cathérine, ich werde Euch führen.«

Sie schob ihre Hand in die rauhe Pranke des Baumeisters und ging folgsam mit, während Josse den Saum ihres Mantels ergriff. Die kleine, in das hohe Portal eingelassene Tür knarrte unter der vorsichtigen Hand Hans' nicht. Die drei bemerkten im Chor die beiden betenden Mönche, die auf den Fliesen knieten und deren Tonsuren das gelbe Licht einer einzigen Öllampe reflektierten. Man hörte nur das Murmeln der beiden Stimmen, die sich in einem monotonen Singsang antworteten.

Hans bekreuzigte sich schnell. Dann zog er seine Gefährten durch die Kapelle, die sich im dichten Schatten der Pfeiler öffnete. Sie glitten wie Geister zur Treppe des Turms. Aber dort war es stockfinster. Hans schloß die Tür und schlug dann Feuer. Fackeln lagen auf der Erde bereit.

Er zündete eine von ihnen an, hob sie über dem Kopf empor, um die Wendeltreppe zu beleuchten.

»ich werde sie wieder auslöschen, wenn wir oben angelangt sind!« sagte er. »Schnell jetzt …«

Einer hinter dem anderen, stiegen sie die schmale Treppe hinauf, tasteten sie sich nach oben. Als Hans die Fackel mit dem Fuß austrat, waren alle außer Atem, so schnell waren sie hinaufgestiegen. Die scharfe Luft schlug Cathérine ins Gesicht. Man trat ins Freie, doch obgleich die Nacht klar und sternenübersät war, brauchten sie einige Zeit, um ihre Augen daran zu gewöhnen.

»Paßt auf, daß Ihr nicht fallt«, warnte Hans. »Es liegen überall Steine und Bohlen herum.«

Man befand sich tatsächlich auf der Hauptbaustelle des Deutschen, der über den viereckigen Türmen mit Blumenzierat versehene Spitzendächer errichtete, die seiner Begabung alle Ehre machten. Die riesige Winde hob sich mit ihrem großen Eichenrad gegen den Himmel ab, und Cathérine betrachtete sie mit dem Entsetzen, das man gegenüber einem Folterwerkzeug empfindet.