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Auf Samtfüßen, den keuchenden Atem angehalten, glitten Cathérine und ihre Gefährten langsam zum Portal. Sie hatten es beinahe erreicht, als Gauthier plötzlich ein Stöhnen ausstieß, das in der von dem monotonen Gemurmel der Mönche kaum unterbrochenen Stille in Catherines Ohren wie die Posaunen des Jüngsten Gerichts klang. Die drei Männer hatten gerade noch Zeit, sich mit ihrer Last in den Schatten eines riesigen Pfeilers gegen das geschlossene Gitter einer Seitenkapelle zu drücken, während die junge Frau dem Verwundeten schnell die Hand auf den Mund preßte.

Die Angst, die die Flüchtlinge während der folgenden Minuten erfüllte, war entsetzlich. Cathérine fühlte ihr Herz in schweren Schlägen in der Brust klopfen. An ihrem Ohr nahm sie den keuchenden Atem Hans' wahr, gegen den sie sich preßte. Die beiden Mönche im Chor hatten ihr Gebet unterbrochen. Sie wandten die Köpfe nach der Seite, von der das Geräusch gekommen war. Cathérine sah das scharfe Profil des einen im Schein einer Kerzenflamme. Der andere machte sogar eine Bewegung, als wollte er aufstehen, aber sein Begleiter hielt ihn zurück.

»Es un gato!«[1] sagte er. Und ohne sich weiter zu beunruhigen, nahmen sie ihr Gebet wieder auf. Aber die Lage der kleinen Gruppe hatte sich durchaus nicht gebessert. Unter ihrer Hand spürte Cathérine, wie der Mund Gauthiers Leben gewann. Er versuchte, das Hindernis abzuschütteln. Und der zarte Knebel, den ihre Hand bildete, würde das Geräusch nicht ersticken, wenn er wieder stöhnen sollte.

»Wie kann man ihn zum Schweigen bringen?« flüsterte Cathérine bestürzt und preßte ihre Hand so stark, wie sie konnte, auf Gauthiers Mund. Ein schwaches Stöhnen entrang sich ihm wie Wasser unter einem Fels. Von neuem sahen sie sich verloren. Die Mönche würden wieder innehalten. Diesmal würden sie nachsehen …

»Wenn man sie totschlagen muß, dann schlagen wir sie tot«, flüsterte Josse unerschütterlich. »Aber hier müssen wir raus.« Plötzlich erklang in der Tiefe der Kirche das Geläute einer Glocke, dem unmittelbar der ernste, allmählich anschwellende unheimliche Gesang von etwa fünfzig Männerstimmen folgte. Cathérine fühlte, wie Hans vor Freude bebte. »Die Mönche«, sagte er. »Sie kommen uns mit ihrem Gesang zu Hilfe! Jetzt ist der Augenblick!«

Zusammen ergriffen die drei Männer Gauthier von neuem, hoben ihn auf, als wöge er überhaupt nichts, und schleppten ihn schnell an der Mauer entlang. Es war höchste Zeit. Gauthiers Stöhnen ließ nicht mehr nach. Aber die kräftigen Stimmen der heiligen Männer trugen den Gregorianischen Kirchengesang in die riesigen Gewölbe der Kirche und erfüllten sie mit einer strengen Harmonie, in der sich die Stimme des Verletzten verlor. Die Portale wurden fast im Laufschritt durchmessen. Es war wichtig, von der sich aus dem Kreuzgang nähernden Prozession nicht gesehen zu werden. Außer Atem, mit klopfenden Herzen fanden die vier Gefährten sich wieder unter dem Portalvorbau ein. Der Mond schien immer heller, aber entlang der Kathedralmauer zeichnete sich ein breiter, sehr schwarzer Schattenstreifen ab.

»Noch eine letzte Anstrengung«, keuchte Hans freudig, »und wir sind da. Vorwärts …«

Einige Augenblicke später schloß sich die niedrige Tür der Werkstatt geräuschlos hinter ihnen. Cathérine ließ sich erschöpft und überglücklich auf den Brunnenrand fallen. Unfähig, ihre überanstrengten Nerven noch länger im Zaum zu halten, brach sie danach in krampfhaftes Schluchzen aus.

6

Gelassen ließen Hans, Josse und Hatto Cathérine sich ausweinen. Sie trugen Gauthier unter den Schuppen, wo der Steinmetz seine Blöcke aus Sandstein und Travertin lagerte, legten ihn auf ein Bett aus Stroh, das Hatto schnell zusammengelesen hatte, und machten sich daran, ihn zu untersuchen. Cathérine, die sich plötzlich ihres Alleinseins bewußt wurde, hörte auf zu weinen, trocknete sich die Augen und gesellte sich zu ihren Gefährten. Die Tränen hatten ihr gutgetan. Sie fühlte sich außerordentlich entspannt und von ihrer körperlichen Ermüdung befreit. Es war wunderbar, Gauthier der Grausamkeit Don Martins entrissen zu wissen! Selbst wenn die Hälfte der Arbeit noch zu leisten war, selbst wenn er im Sterben lag …

Aber die Freude hielt nicht an, als sie den ersten Blick auf den großen, lang ausgestreckten Körper warf. Er war mager, furchtbar schmutzig, und wenn sich seine Augen manchmal öffneten, blieb ihr grauer Blick verschwommen, matt. Als sie sich auf die junge Frau richteten, wurden sie von keinem Schimmer der Überraschung oder des Erkennens erhellt.

Cathérine konnte sich noch so sehr über ihn beugen, ihn leise beim Namen rufen, der Normanne sah sie zwar an, blieb aber teilnahmslos.

»Ist er wahnsinnig geworden?« fragte die junge Frau besorgt, »Offenbar erinnert er sich an nichts. Er muß sehr krank sein! Warum hat man ihn dann hierhergetragen statt in die Küche?«

»Weil es bald Tag wird«, antwortete Hans. »Wenn Urraca aufsteht, darf sie ihn nicht vorfinden.«

»Was macht das schon aus? Sie ist ja taub!«

»Taub, ja, aber weder blind noch stumm und vielleicht auch nicht so dumm, wie sie scheint. Wir werden diesen Mann behandeln, ihn so gut wie möglich waschen, ihn angemessen kleiden, ihn stärken, soweit es uns irgendwie möglich ist! Dann wird es Tag sein. Dann müssen wir ihn unverzüglich aus der Stadt hinausschaffen.«

»Aber wie kann man ihn in diesem Zustand mitnehmen? Was macht man mit ihm unterwegs?«

»Die Mittel, ihn mitzunehmen, werde ich Euch geben«, entgegnete Hans ernst. »Danach, Dame Cathérine, wird es Eure Aufgabe sein, das Schicksal dieses Mannes zu bestimmen. Ich kann Euch weder folgen noch ihn hierbehalten. Es hieße meinen Kopf riskieren und den aller meiner Leute … Außerdem, wenn ich Euch geholfen habe, aus instinktiver Sympathie und aus Haß gegen Don Martin, bin ich doch nicht lebensmüde und habe auch nicht die Absicht, die Arbeit, die ich hier leiste, aufzugeben. Ich muß Euch sagen, daß Ihr nicht mehr mit mir rechnen könnt, wenn Ihr diese Stadt einmal verlassen habt. Ich bedaure das … aber ich kann's nicht ändern.«

Cathérine hatte den Worten Hans' aufmerksam zugehört. Ein wenig Scham und Verwirrung durchfuhren sie. Dieser Mann hatte ihr spontan geholfen, und im Grunde ihres Unterbewußtseins hatte sie beinah geglaubt, daß er ihr weiterhelfen werde. Aber sie besaß zu viel gesunden Menschenverstand, um sich nicht sogleich einzugestehen, daß er völlig recht hatte, daß sie nicht noch mehr von ihm verlangen konnte. Mit einem Lächeln streckte sie ihm die Hand hin.

»Ihr habt schon viel zuviel getan, mein Freund, und für alle diese zum Nutzen einer Unbekannten übernommenen Risiken bin ich Euch zutiefst und ehrlich verbunden. Und was mich betrifft, so seid beruhigt, ich habe den Problemen, die sich mir stellten, immer ins Auge sehen können. Ich werde mit dem da bestimmt zurechtkommen.«

»Und schließlich bin ich ja auch noch da«, brummte Josse in seiner lässigen Art. »Gehen wir zu den realistischen Dingen über. Ihr habt gesagt, Meister Hans, Ihr würdet uns die Mittel geben, ihn fortzuschaffen. Was für Mittel sind das?«

»Ein Fuhrwerk mit Steinen. Ich muß eine Ladung ins Hospiz des Königs neben dem Kloster Las Huelgas, eine halbe Meile vor der Stadt, fahren, um dort Reparaturen auszuführen. Wir brechen nach Öffnung der Stadttore auf. Euer Freund wird zwischen den Steinen versteckt werden. Die Lanzen der Wachen können nicht in der Ladung herumstochern. Wir werden Eure Pferde an den Wagen spannen, und im Kloster werde ich Euch einen anderen Wagen zum Transport dieses Mannes besorgen, wie ich mir auch andere Pferde besorge, um mein Fuhrwerk zurückzubringen. Das Folgende müßt Ihr der Gnade Gottes empfehlen.«

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1

»Es ist eine Katze!«