Der schlurfende Schritt des stummen Eunuchen vom Morgen, der mit einem neuen Tablett ankam, ließ sie zusammenfahren. Das Fläschchen verschwand in ihrer Hand. Sie sah, daß der Diener das Tablett ganz nahe auf dem Bett abstellte, statt es auf ein niedriges Tischchen zu setzen, wie es der Brauch war. Gereizt wollte sie die Mahlzeit zurückweisen, nach der ihr nicht verlangte, als ein bedeutsamer Blick des Schwarzen ihre Aufmerksamkeit erregte. Der Mann zog ein Papierröllchen aus seinem Ärmel und ließ es auf das Tablett fallen, dann verneigte er sich bis zur Erde und zog sich, der Etikette gemäß rückwärts schreitend, zurück.
Auf dem hastig entrollten Papier las Cathérine mit plötzlicher Freude einige Zeilen, die ihr Freund, der Arzt, ihr geschrieben hatte: »Wer einen tiefen Schlaf schläft, weiß nichts von den Leiden und den äußeren Begebenheiten. Die Rosenkonfitüre, die dir jeden Abend vorgesetzt wird, wird dir einige Stunden so tiefen Schlafes schenken, daß nichts und niemand dich aufwecken kann …«
Das war alles, aber Cathérine empfand große Dankbarkeit für ihren treuen Freund, dem es auf nur ihm bekannten Wegen gelang, so aufmerksam über sie zu wachen. Sie hatte verstanden: Jeden Abend, wenn Morayma käme, um sie zu holen, würde sie so fest schlafen, daß der Kalif gezwungen wäre, sein Vorhaben aufzugeben. Und wer würde schon die unschuldige Konfitüre verdächtigen, ohne die es in Granada keine angemessene Mahlzeit gab?
Das Fläschchen schnell wieder in sein Versteck zurückstellend, machte Cathérine sich an ihr Mahl. Sie mußte außerdem noch etwas essen, um keinen Verdacht zu erregen. Es war nicht leicht, denn sie hatte wirklich keinen Hunger, aber sie zwang sich, von mehreren Tellern etwas zu kosten. Schließlich aß sie drei Löffelchen von dem berühmten parfümierten Gelee und streckte sich dann, von einem Triumphgefühl erfüllt, auf ihrem Bett aus. Sie hatte ein zu großes Vertrauen in ihren Freund Abu, um sich nicht ganz seinen Befehlen zu unterwerfen. Sie war auch ziemlich sicher, daß die Fürsorge des kleinen Arztes sich nicht allein auf sie erstreckte. Vielleicht war er über die tragische Lage Arnauds ebensogut unterrichtet. Die Anwesenheit Gauthiers unter den Gärtnern der Alhambra war ihr eine Art Beweis dafür. Langsam entspannten sich Catherines Nerven. Die der Konfitüre beigemischte geheimnisvolle Droge tat ihre Wirkung …
14
Am Fuße der roten, die Pforte der Sieben Stockwerke flankierenden Doppeltürme versammelte sich die Menge, als die Hitze des Tages nachzulassen begann. Davor lag ein großer, freier Platz, auf dem der Kalif die Parade seiner Truppen abzunehmen pflegte und die größten öffentlichen Feste abgehalten wurden. Dort, unter den Festungswällen der Alhambra, waren Gerüste für das Publikum und mit bunter Seide ausgeschlagene Tribünen für den Kalifen und seine Würdenträger errichtet, aber es kam so viel Volk, daß die Gerüste sofort überfüllt waren und ein großer Teil des Publikums stehen mußte.
Tagelang vorher waren Priester und Bettler durch die Stadt gegangen, um überall zu verkünden, daß der Herr der Gläubigen an diesem Tag ein großes Fest anläßlich der Bestattung seiner vielgeliebten Schwester geben werde, in dessen Verlauf der Ungläubige, der sie getötet habe, hingerichtet werde. Und die ganze Stadt war zur festgesetzten Stunde gekommen: Männer, Frauen, Kinder, Greise, zu einer wogenden, farbigen, schreienden und aufgeregten Masse vereint. Die Bauern waren von den benachbarten Bergen heruntergekommen, mischten ihre braunen, erdfarbenen Dschellabas unter die roten, weißen, blauen oder orangefarbenen Gewänder der Städter. Man zeigte sich einige Gruppen aus dem Maghreb gekommener Söldner, deren langes Haar in Zöpfen über die Rücken herunterhing, andere wieder in Dunkelblau gekleidet und wie Frauen verschleiert, mit fremdartigen Schilden aus bemaltem Leder, furchterregender vielleicht noch in ihrer geheimnisvollen Aufmachung als die maurischen Reiter in ihren blitzenden Helmen.
Die ganze Oberstadt war heruntergekommen, in Festkleidern, gold- und silberglänzend, die sich von den makellosen Behängen der Tribüne des Kalifen abhoben. Da und dort liefen die großen sudanesischen Palastsklaven herum, von auffälliger Eleganz in ihrer grellbunten Kleidung, den Ring der Knechtschaft im Ohr und wie die Kinder lachend in Erwartung des großen Schauspiels.
Über allem lag eine Kirmesatmosphäre. Bis das Schauspiel begann, waren alle Possenreißer der Stadt aufs Manöverfeld gezogen, in der Gewißheit, dort ihr Publikum zu finden. Gaukler, Erzähler, die ihren Vortrag mit kurzen Trommelschlägen begleiteten, Schlangenbeschwörer, die ihre gefährlichen Pfleglinge sich in frenetischen Tänzen wiegen ließen, Akrobaten, noch gelenkiger als die Schlangen, Zauberinnen, die die Zukunft aus einem Weidenkorb mit schwarzen und weißen Muscheln lasen, näselnde Sänger, die Koranverse oder Liebesgedichte mit Muezzinstimme herunterleierten, alte graubärtige Hanswurste, deren Grimassen einen Sturm von Gelächter auslösten, Bettler und fleißige Taschendiebe – ein einziges Gebrodel in dem aufgewirbelten roten Staub, dazu der Geruch von Pferdemist und Stroh.
Über dem Eingangstor der Alhambra erschienen einige Männer zwischen den Zinnen. Einer, groß und in ein orangegestreiftes Gewand gekleidet, ging den anderen voran, die, nachdem sie respektvoll die Hände gekreuzt hatten, seine Befehle zu erwarten schienen. Kalif Mohammed kam, um sich mit einem letzten Blick zu vergewissern, daß alles in Ordnung war und das Schauspiel beginnen konnte. Die Schwadronen der Reiter mit ihren spitzen Helmen und weißen Turbanen bezogen um den riesigen Platz Stellung. Auf den Türmen der Alhambra träumten Störche, unbeweglich auf einem Bein stehend … Inzwischen bereiteten in den Gemächern der Sultaninnen die Frauen unter Leitung der aufgeregten Morayma die augenscheinlich teilnahmslose Cathérine vor. In der Mitte des Gemachs stehend, zwischen Bergen von Schleiern, Seidenstoffen, neben offenen Kasten voller kostbarer Fläschchen, ließ sie sich wortlos, bewegungslos gleich einer Statue mit lebenden Augen anziehen. Man hörte im Gemach nur das Geschimpfe Moraymas, die nie mit der Arbeit der gereizt seufzenden Dienerinnen zufrieden war. Die Herrin des Harems nahm die Haltung einer Priesterin ein, die einen Ritus zelebriert, dessenungeachtet aber die Frauen anpfiff, die Cathérine Stück um Stück, von Kopf bis Fuß in Gold hüllten. Aus feinem goldbesticktem Leder waren die Pantoffeln, goldverziert und mit Smaragden besetzt die weiten Hosen aus goldschimmerndem Musselin. Das kurze Leibchen, das ihre Brust umschloß, war aus Goldbrokat. Juwelen im Übermaß vervollständigten ihre Kleidung: Reifen bis zur Mitte ihrer Arme, dicke Armspangen, eine Halskette mit großen, tropfenförmigen Smaragden bis zu den halb entblößten Brüsten des tiefen Dekolletés, schließlich ein fabelhafter breiter Gürtel, ein wahres Meisterwerk persischer Kunst, mit Diamanten, Rubinen und Smaragden besetzt, den Morayma mit einer Art respektvoller Furcht der jungen Frau um die Hüfte gelegt hatte: »Der Herr zeigt dir mit dem Geschenk dieses Gürtels seinen festen Vorsatz, dich zu seiner Gemahlin zu machen. Dieses Kleinod, einst vom Kalifen von Bagdad, Harun al-Raschid, für seine Lieblingsfrau bestellt, ist die Perle seines Schatzes. Nach der Plünderung des Palastes von Bagdad kaufte der Emir von Cordoba das Kleinod für seine Geliebte, und dann wurde es gestohlen. Der Seigneur Rodriguez de Bivar, el Cid, schenkte es seiner Gemahlin, Donna Ximena, aber später, nach ihrem Tod, kam der Gürtel wieder zurück. Alle Sultaninnen haben ihn an ihrem Hochzeitstag getragen …«