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Morayma verstummte. Cathérine hörte nicht hin. Seit einer Woche lebte sie wie eine Schlafwandlerin, in einer Art wachen Alptraums, der Morayma alsbald und dann den ganzen Harem mit abergläubischer Furcht erfüllt hatte. Der seltsame, tiefe Schlaf, in den sie seit der Festnahme ihres Gatten jeden Abend fiel, hatte Mohammed zuerst heftig erzürnt, dann aber in ein gewisses furchtsames Erstaunen versetzt. Nichts konnte diesen Schlaf bezwingen, der mehrere Nachtstunden währte, und es war, als hätten die Hände Allahs selbst die Augen der Gefangenen geschlossen. Anfänglich hatte man wohl an eine Droge gedacht, aber in dem Verhalten der jungen Frau, die scharf überwacht wurde, hatte sich nichts Anomales gezeigt. Mohammed war schließlich zu dem Schluß gekommen, daß es ein Zeichen des Himmels sei. Er durfte diese Frau, Gemahlin eines Mörders, nicht berühren, solange ihr legitimer Herr noch lebte, und nach dem dritten Abend hatte er es aufgegeben, sie zu sich zu beordern. Doch Morayma, abergläubisch bis zum Exzeß und als gute Tochter Judas Anhängerin der Geheimlehren, war nicht weit davon entfernt, in der neuen Favoritin ein außergewöhnliches Wesen zu sehen. Ihre Wortkargheit, ihr hartnäckiges Schweigen schienen ihr Anzeichen einer von unsichtbaren Geistern Gezeichneten zu sein.

Um die Wahrheit zu sagen, wirkte die Droge Abu al-Khayrs auf Catherines Bewußtsein immer nachhaltiger. Sie lebte durch den Tag in einer Art zweiter Existenz, ihr Geist war benebelt, was zumindest den Vorteil hatte, daß ihr Kummer und ihre Sorgen gedämpft und ihr Schmerz eingeschläfert waren. Ohne dies wäre sie wahnsinnig geworden, so unerträglich war ihr der Gedanke, daß Arnaud im Turm der Alhambra von Hunger, Durst und Schlaflosigkeit gequält wurde. Doch hatte Cathérine, beunruhigt über die Betäubung ihrer Sinne und Reflexe, an den beiden letzten Abenden der Woche die Rosenkonfitüre nicht angerührt und sich einfach schlafend gestellt. Am Hinrichtungstag wollte sie im Besitz aller ihrer Sinne sein.

Noch einen Tusch Kohle auf die Augenlider, und Morayma hüllte Cathérine in einen gewirkten bestickten Schleier, der das Bild eines fremden, barbarischen Idols vervollständigte.

»Es ist Zeit …«, flüsterte sie und bot ihr die Hand, um sie über die Schwelle zu führen. Aber Cathérine lehnte die dargebotene Hand ab. Sie war überzeugt, daß der Weg, den sie jetzt ging, zum Tode führte, daß ihr nicht mehr viel Zeit zu leben blieb und die fabelhaften Geschmeide, die man ihr angelegt hatte, nur der Ornat für das dem Tode bestimmte Opfer waren. Gleich würde sie Arnaud erdolchen, um ihm die fürchterlichsten Qualen zu ersparen, dann würde sie die Waffe flink gegen sich selbst richten, und alles wäre zu Ende. Ihre Seele würde mit der ihres Mannes in die blaue, warme Luft steigen, dieser Sonne entgegen, die bald hinter den schneebedeckten Bergen untergehen würde, und sie wären für immer vereint, von Schmerz, Zweifel und Eifersucht befreit, würden nur ein Stück fühllosen Fleisches in den Händen ihrer Henker zurücklassen. Alles in allem war dieser Tag ein schöner Tag, weil Cathérine und Arnaud nur noch nach der letzten Ruhe strebten …

Als die zukünftige Sultanin, von Frauen umgeben und einer starken Eunuchentruppe begleitet, im Rund erschien, hatten der Kalif und sein Gefolge bereits auf der erhöhten, grün-gold ausgeschlagenen Tribüne Platz genommen, die für ihn vorbereitet worden war. Die zahlreichen Spaßmacher der Menge hatten mit ihren Kunststücken aufgehört, aber es trat keine Stille ein. In der Menge ging es wie in einem aufgestörten Vogelhaus zu. Die Erscheinung der jungen Frau zügelte sie einen Augenblick. Inmitten der zarten blauen, rosenfarbenen, safrangelben oder mandelgrünen Schleier ihrer Frauen schimmerte sie geheimnisvoll, ihr funkelndes Geschmeide ließ sich unter der goldenen Wolke ihres Schleiers erraten. Still nahm Cathérine auf einer etwas niedrigeren Tribüne neben der des Kalifen Platz. Sie war mit blauer Seide verkleidet, und einige Stufen verbanden sie mit dem Sand der improvisierten Arena. Schweigend sah auch Mohammed die junge Frau sich nähern, strich mit nervöser, mechanischer Gebärde über seinen blonden Bart. Ihre Blicke kreuzten sich, aber unter dem Eindruck ihrer wild funkelnden Augen wandte er den Blick ab. Stirnrunzelnd schenkte er seine Aufmerksamkeit der Arena, wo eine Truppe junger berberischer Tänzer zum Klang einer näselnden, klagenden Musik aufgetreten war. In lange weiße Gewänder gekleidet, mit Juwelen bedeckt und wie Mädchen geschminkt, Stirn und Taille mit roten Seidenkordeln umbunden, lag auf den außergewöhnlich zarten Gesichtern dieser hübschen Jünglinge ein versteinertes Lächeln. Mit ihren behenden Füßen stampften sie auf den Boden, sie bogen sich wollüstig in den Hüften, ahmten in einem fremdartigen Tanz mit komplizierten Figuren die Bewegungen der Liebe nach. Einige sangen mit hohen Kopfstimmen, sich selbst auf dreisaitigen, schrill klingenden Geigen begleitend, andere schlugen mit ihren Fingern Kastagnetten aus Bronze zum Takt ihrer Schritte.

Diese zweideutigen Tänze mißfielen Cathérine, die den Kopf abwandte, eine Bewegung, die ihr haßerfüllte Blicke der jungen Tänzer eintrug, aber sie konnte ihre gezierten Bewegungen das Weichlich-Weibische ihrer Attitüden auf diesem Fest des Todes nur mit Mühe ertragen. Denn es war das Fest des Todes. Diese Menge war gekommen, um Blut zu sehen!

Oben, in der königlichen Moschee, dröhnten dumpf die Trommeln. Ihr Rollen ging über die Tänzer wie ein Gewittersturm hinweg, sie warfen sich keuchend zu Boden, blieben bewegungslos liegen, während ihre leidenschaftliche Musik erstarb. Langsam öffneten sich die schweren Flügel der Pforte der Sieben Stockwerke, einem feierlichen Zug den Weg freigebend. Vor einer Gruppe von Querpfeifern und Tamburinschlägern wurde die einbalsamierte Leiche Zobeidas, starr und rot unter dem langen Purpurschleier, der sie von Kopf bis Fuß bedeckte, von zwanzig Sklaven auf einer Silberbahre herausgetragen. Priester in weißen Gewändern umgaben sie, dann folgte ein großer Trupp schwarzer Eunuchen, angeführt von ihrem Befehlshaber, einem riesigen Sudanesen mit bronzefarbenem Gesicht, der sein Krummschwert zum Zeichen der Trauer umgekehrt trug.

Das Erscheinen ihrer Feindin weckte Cathérine aus ihrer verächtlichen Gleichgültigkeit. Zobeida war tot, aber ihr Haß lebte noch. Cathérine fühlte ihn, und eine kalte Wut bemächtigte sich ihrer beim Anblick dieses erstarrten Körpers, dem sie in Bälde ihren Gatten und sich selbst opfern müßte. Inzwischen stellten die Sklaven die Bahre auf einer Art niedrigen Podests vor der Tribüne des Kalifen ab, der sich erhob und mit Banu Saradj und mehreren Würdenträgern die sterblichen Überreste seiner Schwester grüßte. Wieder wollte Cathérine die Augen abwenden, aber etwas zwang sie, es nicht zu tun. Mit fast unerträglicher Beharrlichkeit hatte sie einen Blick auf sich gefühlt und wandte sich instinktiv nach der Seite, von derer kam. Und da entdeckte sie unter dem Gefolge des Kalifen Abu al-Khayr. Die hohe, breite Gestalt des Hauptmanns der maurischen Wache hatte bis dahin die schmächtige Gestalt ihres Freundes verdeckt. Unter seinem riesigen orangefarbenen Turban sah der kleine Arzt sie beharrlich an, und Cathérine bemerkte, als ihre Blicke sich schließlich kreuzten, daß er ihr ein flüchtiges, schnelles Lächeln zusandte, dann den Kopf wandte, als wollte er sie veranlassen, der Richtung seines Blickes zu folgen. Und sie erspähte in den ersten Reihen der Menge, die er mit seiner hohen Gestalt überragte, Gauthier, der mit verschränkten Armen sehr gut den Neugierigen spielte. Nach wie vor in seinem groben Gärtnerkittel, eine Art kegelförmigen Filzhut auf dem Kopf, machte er den völlig ruhigen, friedlichen Eindruck eines Mannes, der einem frohen Fest beiwohnt und nicht einer Hinrichtung.

Dann wanderten die Augen Abu al-Khayrs zu einer Gruppe maurischer Reiter weiter hinten, und Cathérine erkannte unter einem vergoldeten Spitzhelm Josse. Allerdings mit einiger Mühe. Sonnengebräunt wie seine Kameraden, das Gesicht von einem schwarzen Bärtchen umrahmt, steif in seinem verzierten Sattel sitzend, die Lanze in der Faust, bot der Pariser einen ebenso wilden und militärischen Anblick wie seine Kameraden. Nichts unterschied ihn von den anderen Reitern, und Cathérine bewunderte die Kunst, mit der der einstige Strolch seine Rolle spielte. Augenscheinlich interessierte er sich nicht für das, was vor ihm vorging, war ganz damit beschäftigt, sein Pferd in Reih und Glied zu halten. Tatsächlich schien das Tier außerordentlich nervös zu sein, tänzelte auf der Stelle und hätte ohne die Fertigkeit seines Reiters zweifellos einige Unordnung verursacht.