Bernard de Calmont d'Olt, der junge Abt von Montsalvy, war ein energischer und intelligenter Mann. Sie überreichte ihm in Anerkennung des Schutzes, den er ihrer Familie gewährt hatte, einen wundervollen Ordensstern aus Rubinen, den er an seinen Chormantel heften konnte, und begann, die ersten Pläne für den Wiederaufbau zu skizzieren. Einer der Mönche der Abtei, Bruder Sebastian, wurde beauftragt, die Pläne auszuarbeiten, ein anderer, den Steinbruch zu suchen, aus dem man die Bausteine beziehen würde. Wie in allen großen Abteien traf man in Montsalvy fast alle Handwerks- und Gewerbegruppen an.
»Auf jeden Fall«, hatte der Abt zu ihr gesagt, »könnt Ihr hier bleiben, solange Ihr wünscht. Das Gästehaus liegt abseits genug vom Klostergebäude, so daß die Anwesenheit einer jungen Frau, selbst für längere Zeit, keinen Stoff zu Skandalen bietet.«
Über diesen Punkt beruhigt, hatte sich Cathérine sodann um Tristan l'Hermite und seine Männer gekümmert, die am folgenden Morgen nach Parthenay aufbrechen sollten. Die Soldaten hatten eine großzügige Vergütung erhalten. Was Tristan betraf, so hatte sie ihm eine schwere, mit Türkisen besetzte Goldkette geschenkt, die einst Garin de Brazey gehört hatte.
»Sie soll Euch an uns erinnern!« sagte sie zu ihm, als sie sie ihm um den Hals legte. »Tragt sie oft in Erinnerung an Cathérine.«
Er hatte sein seltsames Lächeln im Mundwinkel gelächelt und mit zweifellos bewegterer Stimme, als er gewollt hatte, gemurmelt:
»Glaubt Ihr, es bedürfte eines königlichen Juwels, um mich an Euch zu erinnern, Dame Cathérine? Und lebte ich zweihundert Jahre, würde ich Euch nicht vergessen! Aber ich werde mit Freuden diese Kette aus großen Tagen tragen. Mit Stolz auch, da sie von Euch kommt.«
Das gemeinsam eingenommene Abendessen sollte das letzte vor ihrer Trennung sein. Cathérine empfand echten Schmerz, sich von diesem guten, wortkargen Kameraden trennen zu müssen, der sich so aufopfernd und von so großem Mut beseelt gezeigt hatte. Auch wollte sie, trotz des Zustandes ihrer Schwiegermutter, daß diese Mahlzeit einen festlichen Charakter annehmen sollte. Mit Hilfe Donatiennes und dem guten Willen des Wirtschaftshofes des Klosters gelang es ihr, wenn auch kein prächtiges, so doch ein achtbares Souper zusammenzustellen. In eine der wenigen eleganten Roben gekleidet, die sie noch besaß, setzte sie sich neben ihren Gast unter einen herrschaftlichen Baldachin, und Gauthier servierte das Festmahl mit mehr gutem Willen als Stil. Aber die beiden Freunde sprachen der Kohlsuppe und den gebratenen Kapaunen des Abtes deshalb nicht weniger herzhaft zu.
Als man sich von der Tafel erhob, sah Cathérine, daß die Nacht voll hereingebrochen war, und erkundigte sich nach Fortunat. Den ganzen Tag hatte sie auf seine Rückkehr gewartet, mit der absurden Hoffnung auf neue Nachrichten. Als ob er überhaupt Nachrichten haben könnte, wo es sich doch um einen Leprakranken handelte? … Es war eine Enttäuschung zu hören, daß er noch nicht zurückgekommen sei. Und dieser Enttäuschung fügte sich noch eine Unruhe hinzu, als sie feststellte, daß Gauthier besorgt zu sein schien.
»Er muß sich verspätet haben«, sagte sie, als er von einem letzten Besuch beim Bruder Pförtner zurückkam. »Dann wird er eben morgen zurückkehren.«
Aber der Normanne schüttelte den Kopf.
»Fortunat? Der ist pünktlich wie eine Uhr! Er bricht stets in derselben Stunde auf und kehrt stets zur selben Stunde zurück, genau vor dem Abendessen. Es geht nicht mit natürlichen Dingen zu, daß er nicht hier ist!«
Sein Blick kreuzte den Cathérines. Beide hatten denselben Gedanken. Etwas war Fortunat zugestoßen, aber was? Ein unglückliches Zusammentreffen war immer möglich, obgleich das Gebiet ziemlich sicher war, seitdem die Armagnacs die Garnison von Carlat verstärkt hatten und der energische Bernard de Calmont der Abtei vorstand. Außerdem räumte der Engländer einen der befestigten Plätze nach dem anderen in der Auvergne.
»Warten wir!« sagte Cathérine nur.
»Morgen bei Tagesanbruch gehe ich ihm entgegen.«
Cathérine hatte Lust zu sagen: »Ich komme mit …«, aber sie besann sich eines Besseren. Sie konnte Isabelle in diesem Augenblick nicht allein lassen. In ihren wenigen lichten Augenblicken verlangte die alte Dame sofort nach ihr und zeigte eine solche Freude über ihre Anwesenheit, daß Cathérine es nicht übers Herz brachte, sie ihrer zu berauben.
Sie begnügte sich zu seufzen: »Es ist gut! Du wirst tun, was du für richtig hältst!«
Ehe sie schlafen ging, machte sie einen Rundgang im Hause, bedacht darauf, alle ihre Pflichten als Haushaltungsvorstand peinlich zu erfüllen. Da der Abt ihr freie Verfügung über das Gästehaus ließ, sorgte sie dafür, daß alles in bester Verfassung war. Sie ging sogar in den Stall, wo die Pferde der Eskorte standen, doch eher aus einem sentimentalen Grund als der Ordnung halber. Tatsächlich war sie überrascht, Morgane dort wiederzufinden, ihre weiße Stute, die der Schotte Hugh Kennedy, treu seinem ihr gegebenen Versprechen, nach Carlat hatte zurückbringen lassen. Morgane war für sie ebenso eine wichtige Persönlichkeit wie eine Freundin. Beide verstanden sich wunderbar und hatten sich mit großer Freude wiedergefunden.
»Es ist uns bestimmt, allmählich zusammen alt zu werden«, sagte Cathérine etwas melancholisch, das schneeige Fell Morganes streichelnd. »Du wirst nichts mehr als der weise Zelter einer noch weiseren Dame sein!«
Die großen, gescheiten Augen Morganes blickten sie mit einem Ausdruck an, den Cathérine für diabolisch hielt, und das kampflustige Wiehern, das ihn begleitete, gab deutlich zu verstehen, daß die kleine Stute, was sie betraf, nichts dergleichen glaubte … Dies war so erstaunlich, daß Cathérine lachen mußte. Sie reichte Morgane ein Stück Zucker, das sie extra für sie mitgebracht hatte, und tätschelte ihr dann die Kruppe.
»Wir haben Lust auf Abenteuer, wie mir scheint, was? Gut, meine Schöne, wir müssen dir einen Grund dazu finden!«
Nachdem sie den Stall verlassen hatte, bekam Cathérine Lust, sich noch etwas im Hof aufzuhalten, weil die Nacht außergewöhnlich schön war, aber Donatienne kam, um ihr zu sagen, sie habe ihr ein Bett in einem Zimmer neben dem Isabelles hergerichtet.
»Ich wollte mich neben ihr niederlassen!« protestierte Cathérine. »Ihr habt genug gewacht, Donatienne. Ihr müßt schlafen …«
»Bah! Ich schlafe ebensogut auf einer Bank!« sagte die alte Bäuerin gutmütig lächelnd. »Und dann glaube ich, daß sie heute nacht gut schlafen wird. Der Bruder Apotheker hat mir für sie einen Absud aus Klatschmohn gegeben … Ihr solltet eigentlich auch etwas davon trinken. Ihr scheint recht nervös zu sein!«
»Ich glaube, ich werde auch ohne das ausgezeichnet schlafen!«
Sie ging Michel umarmen, der unter dem gleichmütigen Blick Gauthiers sein Gebet herunterhaspelte. Die Kameradschaft, die das Kind und den riesenhaften Normannen verband, hatte sie gleichermaßen belustigt und überrascht. Beide verstanden sich wunderbar, und wenn Gauthier dem kleinen Herrn gegenüber eine gewisse Nachgiebigkeit zeigte, so ließ er ihm doch nicht alles durchgehen. Was Michel betraf, so betete er Gauthier an, dessen Kräfte er sichtlich bewunderte.
Er hatte seine Mutter empfangen, als wäre sie erst tags zuvor abgereist. Er war ihr auf seinen noch etwas unsicheren Beinchen in die Arme geeilt, sobald er sie von weitem erblickte, und hatte, die Händchen um ihren Hals schlingend, seinen blonden Kopf zärtlich an den Cathérines gelegt und einen glücklichen Seufzer ausgestoßen.
»Mama!« hatte er nur gesagt. Und Cathérine waren die Tränen gekommen.