»Das Feuer muß erst vor kurzem gewütet haben«, sagte er. »Die Steine sind noch warm!«
»Mein Gott!« seufzte Cathérine mit schwacher Stimme. »Wenn ich daran denke, daß er da unten liegt … mein vielgeliebter Mann … meine Liebe!«
Sie ließ sich zwischen den Trümmern auf die Knie fallen und versuchte, die Steine wegzuräumen, an denen sich ihre zitternden, unbeholfenen Hände verletzten. Gauthier hob sie mit Gewalt auf.
»Bleibt nicht hier, Dame Cathérine, kommt mit mir!«
Aber sie sträubte sich mit unerwarteter Heftigkeit.
»Laß mich … ich will hierbleiben! Er ist hier, sage ich dir!«
»Ich glaub's nicht und Ihr auch nicht! … Aber selbst wenn er hier wäre, was würde es Euch nützen, Euch an diesen heißen Steinen die Finger zu verbrennen?«
»Ich sage dir, er ist tot!« rief Cathérine außer sich. »Ich sage dir, daß ich seinen Geist gestern nacht gesehen habe … Er ist mir erschienen, maskiert, im Zimmer meiner Schwiegermutter. Er hat sich über ihr Bett gebeugt, und dann ist er verschwunden!«
»Und er ist nicht zu Euch ins Zimmer getreten? War die Dame Isabelle wach, oder schlief sie?«
»Sie schlief. Sie hat nichts gesehen! Zuerst glaubte ich an einen Traum, aber jetzt weiß ich, daß ich nicht geträumt habe, daß ich den Geist Arnauds gesehen habe …«
Sie begann wieder zu schluchzen. Gauthier packte sie an den Schultern, schüttelte sie heftig und brüllte sie an:
»Und ich sage Euch, daß Ihr keinen Geist gesehen habt! Daß Ihr auch nicht geträumt habt … Ein Geist wäre zu Euch gekommen! Ganz bestimmt wußte Messire Arnaud nichts von Eurer Rückkehr, also hat er gar nicht versucht, sich Euch zu nähern.«
»Was willst du damit sagen?«
Mit einem Schlag zur Ruhe gebracht, blieb Cathérine der Mund offen, und sie starrte Gauthier an, als wäre er plötzlich verrückt geworden.
»Ich will sagen, daß ein Geist alles, was die Lebenden betrifft, weiß. Er hätte sich zu Euch umgewandt. Und dann, wozu die Maske?«
»Du glaubst doch nicht, daß ich Arnaud gesehen haben könnte … Arnaud in Person?«
»Ich weiß nichts! Aber es geschehen seltsame Dinge. Angenommen, Fortunat ist zu Messire Arnaud gegangen und hat ihm gesagt, seine Mutter liege im Sterben! Selbst auf der Schwelle des Todes, hat sie von Leprakranken nichts mehr zu fürchten … Vielleicht hat er sie noch ein letztes Mal sehen wollen, während er nicht zu Euch hinüberging, weil er von Eurer Rückkehr nichts wußte. Fortunat wußte ja auch nichts davon …«
»Wo kann er also jetzt sein? Und was ist hier vorgegangen? Was bedeuten diese Ruinen, diese Stille, diese Einöde?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Gauthier nachdenklich, »aber ich werde versuchen, es herauszubekommen. Und was die Frage betrifft, wo er ist, so habe ich eine Idee, daß Fortunat es uns sagen könnte … Wie er uns vielleicht auch sagen könnte, wo Morgane und Roland geblieben sind!«
Sanft führte er sie aus den Ruinen heraus. Cathérine hängte sich wie ein ängstliches Kind bei ihm ein und sah ihn mit verwunderten Augen an.
»Glaubst du wirklich, was du da sagst?«
»Hab' ich schon etwas gesagt, was ich nicht glaube? Besonders zu Euch?«
Ein zitterndes Lächeln lag auf ihren Lippen, den Tränen noch so nahe, daß der Normanne sein Herz vor Mitleid schmelzen fühlte. Er liebte sie genug, um seine eigene Liebe zu vergessen und nichts anderes zu wünschen, als sie glücklich zu sehen. Ach, das Schicksal bestrafte sie allzu hart. Wie viele gegenwärtige und kommende Tränen für eine Schwäche, deren sie sich schuldig gemacht hatte!
»Mach mir nicht zuviel Hoffnung«, bat sie ihn. »Siehst du, ich könnte daran sterben …«
»Bleibt stark, wie Ihr es immer gewesen seid. Und bemühen wir uns, es herauszubekommen … Brechen wir auf. Wir werden sicher jemand finden, der wissen wird, was sich zugetragen hat.«
Sie nahmen ihre Pferde und verließen das einsame Tal, kehrten zu den bewohnten Gefilden, zum freieren Himmel zurück … Diesmal ritt Gauthier an der Spitze, nach einer Spur von Leben in der verlassenen Landschaft suchend. Cathérine folgte, den Kopf gesenkt, bemüht, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen, die gleichermaßen zwischen Hoffnung und Kummer schwankten. Mit einem Schlag war all das, was bislang für sie von Wichtigkeit gewesen war, unwichtig geworden. Nur eins zählte jetzt noch: herauszubekommen, ob Arnaud tot war oder lebte. Denn es konnte für sie keine Ruhe mehr geben, bevor sie sich darüber nicht Gewißheit verschafft hätte.
Als sie das düstere Gehölz hinter sich hatten, hob Gauthier sich in den Steigbügeln, sah sich um und wies dann nach Süden:
»Ich sehe den Rauch eines Bauernhauses auf einer Anhöhe … Von da oben muß man die Dächer des Hospitals sehen können. Dann müßte man auch …«
Es war ein ganz kleines Haus, bescheiden unter seinem verwaschenen Strohdach. Um den Bewohnern keinen Schreck einzujagen, banden Gauthier und Cathérine ihre Pferde an einen Baum und kletterten zu Fuß den steilen Pfad hinauf, der bis zur Tür führte. Das Geräusch ihrer Schritte rief eine alte Bäuerin in gelber Haube auf die Schwelle. Sie mußte sehr alt sein, denn sie war ganz bucklig und stützte sich mit der freien Hand auf einen Kornelkirschstock, aber die Augen, die sie zu den Fremden emporhob, waren jung und durchdringend geblieben.
Cathérine reichte ihr ein Goldstück und fragte, ob sie ihr eine Auskunft geben wolle.
»Gold«, sagte sie, »schönes, gutes Gold! Es ist schon sehr lange her, daß ich das gesehen habe! Was wollt Ihr wissen, mein junger Edelknappe?«
»Wann ist das Hospital abgebrannt?«
Trotz des Goldstücks wandte die Alte den Kopf zur Seite, sichtlich abgeneigt zu sprechen. Sie zögerte, umklammerte mit ihrer runzligen Hand das Goldstück und entschloß sich endlich.
»Donnerstag nacht. Die Leprakranken sind närrisch geworden. Das heißt … der Mönch, der sie behütete und über sie wachte … ein Heiliger! … ist abends zuvor gestorben, am Biß einer Viper. Was für einen Heidenlärm sie gemacht haben! Den ganzen Abend konnte man sie weinen und kreischen hören … wie Dämonen! Die Berge hallten davon wider. Es war, als hätte sich die Hölle aufgetan … Die Leute vom Dorf hatten Angst. Sie glaubten, die Leprakranken seien ausgezogen, um sie anzugreifen! Sie sind deshalb nach Carlat gelaufen, um die Besatzung um Hilfe zu bitten. Darauf sind die Soldaten gekommen …«
Sie hielt inne und warf, offenbar in Erinnerung an die Schreckensbilder, die sie gesehen hatte, ängstliche Blicke in Richtung der Ruinen. Dann bekreuzigte sie sich.
»Und dann?« fragte Cathérine keuchend.
»In der Nacht sind sie gekommen«, fuhr die Alte mit abnehmender Stimme fort. »Die Leprakranken schrien unaufhörlich ihren Schmerz hinaus … Es war entsetzlich! Doch danach … war es noch schlimmer!«
Cathérine wurde übel. Sie ließ sich auf eine vor der Hütte stehende Steinbank sinken und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.
»Um Himmels willen … Weiter, weiter!«
»Die Bewaffneten waren alte Landsknechte, richtige Barbaren«, platzte die Alte mit plötzlicher Heftigkeit heraus. »Sie haben das Portal des Hospitals verbarrikadiert … und dann haben sie das Feuer angelegt!«
Ein doppelter Entsetzensschrei antwortete ihr. Cathérine, zutiefst getroffen, hatte sich an die Wand gelehnt.
»Arnaud!« flüsterte sie. »Mein Gott!«
Die Alte war jetzt in Fahrt. Mit einer Art Wut fuhr sie fort:
»Die Soldaten waren betrunken, weil die Leute vom Dorf ihnen zu trinken gaben, um ihnen Mut zu machen, zum Hospital zu gehen. Sie brüllten, man müsse dieses Nest der Ausgestoßenen zerstören … das Tal müsse gesäubert werden! … Die ganze Nacht hat es gebrannt. Doch schon vor Mitternacht hörte man nichts mehr schreien … nur noch das Knattern der Flammen!«