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Sie schwieg, und es war auch Zeit. Cathérine war es schwindlig geworden.

Gauthier neigte sich über sie und packte ihren Arm.

»Kommt«, sagte er sanft. »Wir gehen …«

Aber wie teilnahmslos blieb sie unbeweglich sitzen. Die Alte sah sie neugierig an.

»Der junge Herr scheint zu leiden! Kannte er denn einen der Unglücklichen?«

»Der junge Herr ist eine Frau«, erwiderte Gauthier kurz. »Sie kannte … tatsächlich einen von ihnen!«

Cathérine hörte nichts mehr. Ihr Körper schien ihr wie Stein, und in ihrem leeren Kopf hallte ein einziger Gedanke wie der Schlag einer Glocke:

»Er ist tot! Sie haben ihn mir getötet!«

Sie hatte alles vergessen, was Gauthier ihr gesagt hatte. Vor ihren Augen war nur noch die flammende Feuersbrunst in der Nacht, und ihr Herz schmerzte, als ob Eisenkrallen es ihr aus der Brust reißen wollten …

Die Alte war still ins Haus zurückgegangen und kehrte mit einem Napf wieder zurück.

»Da, arme Dame«, sagte sie, »trinkt das! Es sind in Wein eingeweichte Kräuter. Es wird Euch guttun.«

Cathérine trank, fühlte sich gleich ein wenig besser und wollte aufstehen, aber die Alte hielt sie zurück.

»Nein, bleibt! Die Nacht bricht gleich herein, und die Straßen sind nicht sicher. Wenn Euch niemand erwartet, bleibt hier bis zum Morgen … Ich habe Euch wenig zu bieten, aber ich gebe es Euch gern.«

Gauthier blickte fragend in das blasse Gesicht der jungen Frau, die sich nur mit Mühe aufrecht halten zu können schien. In dieser Nacht konnte sie auf keinen Fall nach Montsalvy zurückreiten.

»Wir bleiben hier«, sagte er einfach. »Habt Dank!«

Die ganze Nacht verbrachte Gauthier am Kopfende der Strohmatratze, auf die Cathérine, vergebens Schlaf suchend, sich ausgestreckt hatte. Die ganze Nacht versuchte er, der wunden Seele der jungen Frau das Vertrauen einzuflößen, das ihn beherrschte. Er sagte es immer wieder, wiederholte unablässig dieselben Dinge! Cathérine hatte keinen Geist gesehen! Sie hatte Arnaud selbst gesehen, der zweifellos mit Hilfe Fortunáis dem Feuer entronnen war … und die beiden Männer hatten fliehen und die Pferde nehmen müssen. Aber sie wollte ihm nicht glauben. Arnaud hatte keinen Grund, von Montsalvy zu fliehen. Er konnte zumindest bei Saturnin Zuflucht suchen, der ihn trotz der Angst vor der Krankheit aufgenommen hätte … Nein, erwiderte Gauthier, der Herr fürchtete, die Seinen zu infizieren. Wenn er sich seiner Mutter genähert hatte, dann nur, weil er wußte, daß sie im Sterben lag … und Fortunat hatte ihn vielleicht in ein anderes Hospital geführt. Bei Conques solle es eines geben …

»Verzweifelt nicht, Dame Cathérine … Wir werden nach Montsalvy zurückkehren, und in einigen Tagen werdet Ihr Fortunat wiedersehen. Glaubt mir!«

»Ich möchte dir gerne glauben«, seufzte Cathérine, »aber ich wage es nicht! Allzuoft bin ich getäuscht worden!«

»Ich weiß! Aber mit Mut und Zähigkeit kann man die Not überwinden! Eines Tages, Dame Cathérine, werdet Ihr auch noch …«

»Nein. Sag nichts mehr. Ich werde versuchen, vernünftig zu sein … Ich werde versuchen, dir zu glauben …«

Aber es gelang ihr nicht. Als der Tag anbrach, war sie noch ebenso entmutigt, ebenso verzweifelt. Sie bedankte sich großzügig bei der alten Bäuerin für ihre Gastlichkeit und schlug dann im herrlichsten Sonnenschein, der gleichermaßen ihren müden Augen und ihrem schweren Herzen weh tat, mit Gauthier den Weg nach Montsalvy ein.

Von der wundervollen Landschaft des Tals der Truyère mit ihren grünen, bewaldeten Bergrücken bemerkte Cathérine nichts. Sie ritt mit gebeugtem Rücken und halbgeschlossenen Augen dahin, in ihre quälenden Gedanken versunken. Die Vision, die ihr neulich nacht zuteil geworden war, hatte sie so nachhaltig vom Tode Arnauds überzeugt, daß die ganze Welt plötzlich ihre Farbe verloren hatte. Es war, als sei etwas in ihr selbst gestorben. Ihr leerer Geist fand nicht einmal mehr ein Gebet, um den Himmel um Hilfe anzuflehen. Der Gotteslästerung nahe, dachte Cathérine nur an Gott, um ihn ungerechter Grausamkeit zu bezichtigen. Welchen Preis ließ er sie für jede der Gunstbezeigungen, die er ihr so knausrig gewährte, bezahlen!

Außerdem entdeckte sie, daß sie Arnaud bisher nicht wirklich verloren gegeben hatte. Gewiß, man hatte ihn aus der Liste der Lebenden gestrichen, aber irgendwo unter dem Himmel atmete er, und sie, Cathérine, hielt es für möglich, ihn wiederzufinden, sobald ihre Aufgabe beendet sein würde. Was blieb ihr jetzt? Eine ungeheure Leere und der Geschmack von Asche auf den Lippen … Von Zeit zu Zeit trieb Gauthier sein Pferd neben das ihre und sprach mit ihr, um zu versuchen, sie aus ihrer selbstzerstörerischen Traurigkeit zu reißen. Sie antwortete einsilbig, dann gab sie ihrem Pferd die Sporen und ritt einige Klafter voraus. Für sie war nur noch die Einsamkeit erträglich.

Als Cathérine indessen in den Hof von Montsalvy einritt, regte sich eine Empfindung in ihr, die fast ein wenig wie Freude war, denn auf der Schwelle des Gästehauses stand Sara, den kleinen Michel auf dem Arm! Sie stand bewegungslos da, hatte das Kind ans Herz gedrückt und glich in dieser Haltung einer ländlichen Madonna; doch als die Reiter näher kamen, bemerkten die scharfen Augen der Zigeunerin das verwüstete Gesicht und den schlafwandlerischen Blick Cathérines. Der anfangs strenge Ausdruck ihrer Züge milderte sich. Die fast mütterliche Liebe, die Sara für Cathérine empfand, erriet ihr Leid allein aus ihrer gedrückten Haltung. Ohne die Augen von ihr zu wenden, reichte sie Michel Donatienne, die das Klappern der Hufe herbeigelockt hatte, und ging den Ankömmlingen entgegen.

Kein Wort wurde gesprochen. Als Sara neben ihrem Pferd angelangt war, ließ Cathérine sich zu Boden gleiten und warf sich schluchzend in die ihr entgegengestreckten Arme. Wie tröstlich sie ihr schien in diesem Augenblick der Verzweiflung, diese vorübergehend verlorene Zuflucht! Aber so jammervoll war der Anblick der jungen Frau, daß nun auch Sara in Tränen ausbrach.

Ohne sich voneinander zu lösen, kehrten sie zusammen ins Haus zurück.

Drinnen bekam Cathérine ihre Nerven wieder ein wenig in die Gewalt und wandte der alten Freundin ihr tränenüberströmtes Gesicht zu.

»Sara! Meine gute Sara! … Daß du zurückgekommen bist! Ich bin also doch nicht ganz verflucht!«

»Verflucht? Du? Armes Ding! … Wer hat dir denn diese Idee in den Kopf gesetzt?«

»Sie ist überzeugt, daß Messire Arnaud in dem Brand umgekommen ist, der das Hospital von Calves zerstört hat!« sagte hinter ihr die ernste Stimme Gauthiers. »Sie will keinen Trost empfangen, will keinen Zweifel gelten lassen!«

»Sieh mal einer an!« sagte Sara, deren Kampflust beim bloßen Anblick ihres alten Feindes sofort wiedererwacht war. »Erzählt mir das!«

Und während Cathérine ihren Sohn mit einer Heftigkeit umarmte, die auf ihr übersprudelndes Herz schließen ließ, zog Sara den Normannen zum Kaminsims. In wenigen Worten hatte Gauthier alles berichtet: Cathérines Rückkehr, die Krankheit der Dame Isabelle, die seltsame nächtliche Vision der jungen Frau, das Verschwinden der beiden Pferde und schließlich das Drama von Calves. Sara hörte ihn an, ohne ihn zu unterbrechen, mit gerunzelter Stirn, nicht die geringste Einzelheit des Berichts übersehend. Als er geendet hatte, verharrte sie einen Augenblick mit verschränkten Armen, das Kinn in der Hand, stumm auf den Rost des Kamins starrend, wo man Reisig aufgehäuft hatte.

Schließlich ging sie zu Cathérine zurück, die sie von ihrem Schemel aus angstvoll beobachtete, während sie Michel mechanisch auf den Knien wiegte.

»Was haltet Ihr davon?« fragte Gauthier.

»Daß Ihr recht habt, mein Junge! Der Herr ist nicht tot! Das ist nicht möglich!«

»Wie hätte er dann entkommen können?« fragte Cathérine.

»Ich weiß es nicht! Aber einen Geist hast du nicht gesehen. Geister tragen keine Masken, ich kenne sie!«