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Cathérine antwortete nicht. Zwischen Isabelle und ihr bedurfte es keiner Worte mehr! Schweigsamkeit genügte ihnen, sie konnten sich in Zukunft aufeinander verlassen, sie verstanden sich, übrigens trat in diesem Augenblick der Abt Bernard ins Zimmer, um, wie er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, die Kranke abends zu besuchen. Cathérine zog sich zurück, nachdem sie seinen Hirtenring geküßt hatte, und ließ die beiden allein. Sie wollte zu Sara gehen, die in der Küche Michel badete, doch als sie den Gemeinschaftsraum durchschritt, sah sie den Bruder Pförtner herbeieilen.

»Dame Cathérine«, sagte er, »der alte Saturnin bittet Euch, sich gütigst zu ihm zu bemühen. Er sagt, es handle sich um etwas Wichtiges!«

In seiner Eigenschaft als Amtmann von Montsalvy war Saturnin beauftragt, die Arbeiter für den Wiederaufbau des Schlosses anzuwerben. In der Annahme, es handle sich um Probleme der Anwerbung oder der Bezahlung, hielt Cathérine es für unnötig, Sara von ihrer Abwesenheit zu unterrichten.

»Es ist gut, ich komme!« erwiderte sie. »Danke, Bruder Eusebius!«

Nachdem sie sich mit einem schnellen Blick in den Spiegel ihres Zimmers vergewissert hatte, daß ihr blaues Barchentkleid proper und ihre hohe Linnenhaube makellos weiß waren, verließ Cathérine das Kloster und wandte sich zu dem Hause Saturnins, das sich, nur wenige Schritte entfernt, in der Hauptstraße befand. Die Bauern kehrten eben nach ihrer Tagesarbeit vom Felde zurück, denn man war mitten in der Ernte. Zum erstenmal seit Jahren hatte es keine Katastrophe gegeben, die Weizen und Hafer am Wachsen hätte hindern können. Die Leute beeilten sich, die Ernte zu bündeln und einzufahren …

Auf der Straße traf Cathérine ihre Bauern in fröhlichen Gruppen an, die Gesichter unter den nach hinten geschobenen Strohhüten sonnverbrannt, die Kittel über der schwitzenden Brust weit geöffnet. Die Frauen hatten ihre Kleider geschürzt und gingen mit nackten Beinen, den Rechen oder die Forke auf der Schulter. Alle grüßten Cathérine mit einem Lächeln, einem Lüpfen des Hutes oder einem kurzen Knicks und einem freundlichen »Le bonsoir, not' dame!«, so daß es ihr warm ums Herz wurde. Diese braven Leute hatten sie spontan unter sich aufgenommen, der Leiden wegen, die sie mit ihnen geteilt hatte, und in Erinnerung an Arnaud … Sie war wirklich zu Hause in Montsalvy!

Das Haus des Amtmanns Saturnin und seiner Frau Donatienne lag dem Südtor Montsalvys und seinem viereckigen Wehrturm unmittelbar benachbart. Mit seinem hohen Giebel war es eines der schönsten Häuser des Dorfs, fast ein Bürgerhaus, und Donatienne hielt es auf geradezu flämische Weise sauber. Als Cathérine es erreichte, erwartete sie schon der alte Saturnin auf der zwei Stufen hohen Schwelle, die Kappe in der Hand. Die Sorge ließ sein Gesicht noch runzliger erscheinen, und das vorspringende Kinn schien sich um ein Haar mit der langen, messerscharfen Nase zu treffen. Er begrüßte Cathérine respektvoll und reichte ihr die Hand, um ihr beim Eintreten ins Haus behilflich zu sein.

»Es ist ein Schäfer hier, Dame Cathérine … Er ist soeben aus Vieillevie eingetroffen, einem Dorf etwa vier Meilen von hier im Tal des Lot, und er hat merkwürdige Dinge zu berichten. Aus diesem Grunde habe ich es vorgezogen, ihn nicht in die Abtei zu bringen, sondern Euch bitten lassen – ich hoffe, Ihr vergebt mir die Kühnheit – hierherzukommen.«

»Das habt Ihr gut gemacht, Saturnin«, beeilte Cathérine sich zu erwidern, der es ein wenig den Atem verschlagen hatte, als er vom Tal des Lot sprach. »Was hat er denn so Merkwürdiges zu erzählen?«

»Ihr werdet es gleich hören. Tretet nur ein!«

In der Küche, in der das Zinn auf dem Kaminsims wie Silber glänzte und der Steinboden so weiß war, daß er wie Samt aussah, saß ein in einen Kittel aus Schafsfell über grobem Leinen gekleideter junger Mann auf einer Bank neben dem Tisch aus dunklem Kastanienholz. Er aß Brot und Käse, die Saturnin ihm hingestellt hatte, sprang aber sofort höflich auf, als er Cathérine eintreten sah, grüßte linkisch und erwartete stehend, daß man zu ihm sprechen würde.

»Dieser Junge«, sagte Saturnin, »ist einer der Schäfer des Herrn de Vieillevie. Du, mein Junge, stehst vor der Dame de Montsalvy. Sage ihr, was du am Sonntagmorgen gesehen hast.«

Der Schäfer wurde ein wenig rot, zweifellos durch die Anwesenheit dieser großen Dame verschüchtert, und seine Stimme war zuerst kaum hörbar; doch schon bei seinen ersten Worten spürte Cathérine, wie ihr leidenschaftliches Interesse erwachte.

»Am Sonntagmorgen hütete ich meine Schafe auf der Ebene über der Garrigue …«

»Sprich lauter!« befahl Saturnin. »Man kann dich schlecht hören!«

Der Junge räusperte sich und hob die Stimme.

»Ich sah zwei Reiter, die aus Montsalvy zu kommen schienen. Der erste, groß und von schöner Gestalt, war ganz in Schwarz gekleidet: er trug sogar eine schwarze Maske, aber er ritt eine wundervolle schneeweiße Stute …«

»Morgane!« murmelte Cathérine gefesselt. »Morgane und …«

»Der andere war ein kleiner, magerer gelber Mann mit kohlschwarzen Augen und einem Spitzbärtchen. Sie hielten neben mir, und der Kleinere sprach mich an. Von dem anderen … dem Reiter mit der Maske, habe ich kein Sterbenswörtchen gehört. Er sah mich nicht an. Er hielt sich etwas abseits, mit seiner behandschuhten Rechten den Hals seines Tieres tätschelnd, das ungeduldig auf dem Boden scharrte.«

»Was hat der Kleinere zu dir gesagt?« fragte Saturnin.

»Er hat mich gefragt, ob ich den Amtmann von Montsalvy kenne. Ich habe geantwortet, ich hätte ihn zwei- oder dreimal gesehen und ich sei Schäfer des Herrn de Vieillevie. Dann hat der kleine gelbe Mann gefragt, ob ich bereit sei, Meister Saturnin etwas zu überbringen, ob man mir vertrauen könne. Ich habe ja gesagt, aber ich brauche einen Vorwand, um hierherzukommen. Zufällig hatte ich Käse zu verkaufen. Ich sagte also, daß ich in dieser Woche nach Montsalvy gehen würde. Dann hat er mir noch eine Frage gestellt. Er hat mich gefragt, ob ich lesen könne. Ich habe geantwortet: Nein …«

»Und dann?« fragte Cathérine, auf die Folter gespannt. »Was hat er hinzugefügt?«

»Nicht viel. Er hat aus seinem Wams ein zusammengefaltetes und versiegeltes Pergament gezogen und mir aufgetragen, es so schnell wie möglich zu Meister Saturnin zu bringen. Und er hat mir einen Taler für meine Mühe gegeben!«

»Dieser Brief«, fragte Cathérine, »wo ist er?«

»Hier!« antwortete Saturnin, Cathérine die versiegelte Botschaft reichend, die sie mit zitternder Hand in Empfang nahm.

»Ihr habt ihn nicht geöffnet?«

»Das ist nicht meine Sache«, entgegnete der Amtmann, den Kopf schüttelnd. »Lest nur!«

Tatsächlich waren einige Worte auf das Pergament geschrieben: »Für Dame Cathérine de Montsalvy, sobald sie zurück ist.«

Plötzlich schien es Cathérine, als drehten sich die gekalkten weißen Wände vor ihren Augen. Diese Worte, daran gab es keinen Zweifel, hatte Arnaud selbst geschrieben! Mit einer instinktiven Bewegung drückte sie das Pergament ans Herz, während sie gegen die Erregung ankämpfte, die in ihr aufstieg. Saturnin bemerkte es, wollte den Schäfer entlassen.

»Du hast deine Botschaft gut überbracht, mein Junge. Geh nun und ruh dich aus.«

Doch Cathérine hielt ihn zurück:

»Warte! Auch ich möchte dir danken, Schäfer …«

Sie wühlte in ihrem Almosenbeutel, aber der junge Mann machte eine abweisende Bewegung.

»Nein, edle Dame! Ich habe meinen Lohn schon erhalten! Kauft meinen Käse, wenn Ihr wollt, sonst nehme ich nichts an.«

»Ich kaufe deinen ganzen Käse, Kleiner! Und Gott segne dich!«

In die Hand des sprachlosen Schäfers leerte sie ihre Börse. Der Junge trat zurück, sie mit Segenswünschen überhäufend, die sie nicht einmal mehr hörte. Sie wollte allein sein, um die kostbare Botschaft zu lesen … Als der Schäfer verschwunden war, hob sie die Augen zu Saturnin.