Bruder Etienne hüstelte ein wenig und sagte dann mit leisem Vorwurf:
»Madame … Ihr tut Euch großen Schaden an! Gibt es denn wirklich nichts, was Euren Schmerz lindern könnte?«
»Nichts, Pater! Mein Gemahl war mein ganzes Leben. Ich hörte an dem Tage auf zu existieren, an dem …«
Sie beendete den Satz nicht, schloß die Augen … Auf dem dunklen Grand ihrer Lider rief ihr mitleidsloses Gedächtnis ihr wieder das Bild eines kräftigen Mannes ins Bewußtsein, ganz in Schwarz gekleidet, der in die Sonne schritt, die Hände unter einer wogenden Haarflut vergraben, ihrem Haar, das sie geopfert hatte, um es wie einen fabelhaften Teppich unter die Füße des Mannes zu werfen, der von seinen Brüdern ausgestoßen worden war. Seitdem war das Haar nachgewachsen. Es lockte sich goldschimmernd um ihre Wangen, doch sie zog es erbarmungslos nach hinten, verbarg es unter ihrem schwarzen Witwenschleier oder unter der Haube aus weißem, gestärktem Linnen, die nur das reine Oval ihres Gesichts sehen ließ. Auch hatte sie sehnlichst gewünscht, diesem Gesicht den Glanz zu nehmen, wenn sie den bewundernden Blick Kennedys auffing oder den Ausdruck leidenschaftlicher Ergebenheit in den Augen ihres Knappen Gauthier bemerkte. Darum nahm sie auch nur selten ihren schwarzen Kopfschleier ab … Bruder Etienne musterte mit nachdenklichem Blick die schmale Gestalt, deren Grazie die strenge schwarze Kleidung nicht zu unterdrücken vermochte, das süße Gesicht mit den zärtlichen Lippen, die der Schmerz nur berührt hatte, um sie zu verfeinern und noch erregender zu machen, die großen veilchenblauen Augen, die im Leiden brannten, wie sie in der Leidenschaft gebrannt hatten. Und der gute Mönch ertappte sich beim Grübeln. Hatte Gott solche Schönheit wirklich geschaffen und gewollt, nur um sie verkümmern, ersticken zu lassen unter Trauerschleiern hinter den Mauern eines alten Schlosses in den Bergen der Auvergne? Hätte sie nicht einen zehn Monate alten Sohn gehabt, wäre Cathérine de Montsalvy ohne Zögern, das hatte sie ihm nicht verhohlen, Arnaud zu den Aussätzigen gefolgt und hätte sich freiwillig dem entsetzlichen Schicksal des langsamen Todes geweiht. Und nun suchte Bruder Etienne nach geeigneten Worten, die den Panzer des Kummers, den die junge Frau angelegt hatte, durchdringen konnten. Was sollte er ihr sagen? Von Gott zu sprechen war unnütz. Was bedeutete Gott einer so leidenschaftlich liebenden Frau, der Geliebten eines einzigen Mannes, die ihre Liebe zu einem Idol erhoben, auf einen geheimen Altar gestellt hatte? Für Arnaud, dem sie immer mit Leib und Seele angehören würde, hätte Cathérine freudig und ohne Zögern Satan und Hölle eingetauscht … Daher war er sehr erstaunt, sich sagen zu hören:
»Man darf nie an der Vorsehung verzweifeln, Dame Cathérine. Sehr oft schlägt sie die, welche sie liebt, nur um sie desto höher zu belohnen …«
Der schöne, traurige Mund verzog sich verächtlich. Cathérine hob überdrüssig die Schultern.
»Was bedeutet schon Belohnung? Was gilt mir der Himmel, von dem Ihr mir zweifellos sprechen wollt, Bruder Etienne? Käme Gott, als ein Wunder, zu mir, würde ich zu ihm sagen: ›Seigneur, Ihr seid der allmächtige Gott. Gebt mir meinen Gatten wieder … und nehmt den Rest, selbst meine Unsterblichkeit, aber gebt ihn mir zurück!‹«
Innerlich schalt der Mönch sich einen Idioten, trug aber dennoch eine verdrossene Miene zur Schau.
»Madame, Ihr lästert! ›Nehmt den Rest‹, sagtet Ihr? Schließt Ihr in diesen Rest auch Euren Sohn ein?«
Das schmale, von weißem Linnen umrahmte Gesicht wandte sich ihm mit Entsetzen zu.
»Warum sagt Ihr das? Glaubt Ihr, ich sei noch nicht genügend heimgesucht worden? Seid versichert, ich habe nicht meinen Sohn gemeint, sondern nur so nutzlose Dinge wie Macht, Schönheit … oder das hier!«
Sie deutete mit dem Finger auf den funkelnden Juwelenhaufen auf dem Tisch. Sie trat brüsk heran, nahm die Geschmeide in ihre Hände und hob sie ans Licht.
»Das hier genügte, ganze Provinzen zu kaufen, und vor weniger als einem Jahr wäre ich glücklich gewesen, sie zurückzuerhalten, um sie ihm zu geben … ihm, meinem Gatten! In seinen Händen hätten sie sich in ein Leben des Glücks für uns und für unsere Leute verwandelt. Jetzt aber –«, langsam rollten die Steine in vielfarbigem Feuerregen aus ihren Fingern auf den Tisch, »– jetzt sind sie nicht mehr, als was sie sind, Juwelen, leblose Juwelen.«
»Die Eurem Hause Leben und Macht geben werden. Dame Cathérine, beenden wir diese bittere Philosophie! Ich bin nicht einzig und allein hierhergekommen, um Euch einen Schatz zu bringen. Man hat mich zu Euch geschickt: Die Königin Yolande verlangt nach Euch.«
»Nach mir? Ich glaubte nicht, daß sich die Königin meiner noch erinnert.«
»Sie vergißt nie jemand, Madame … und am wenigsten diejenigen, die ihr treu gedient haben! Eins ist sicher: Sie wünscht Euch zu sehen. Fragt mich nicht, warum, die Königin hat sich nicht darüber ausgelassen … wenn ich auch nicht daran zweifeln kann.«
Die dunklen Augen Cathérines musterten den Mönch. Sein unstetes Wanderleben schien ein erstaunlicher Jungbrunnen zu sein. Er hatte sich nicht verändert. Sein Gesicht war nach wie vor rund, frisch und offen. Doch Cathérine hatte so viel gelitten, daß sie sich angewöhnt hatte, allem zu mißtrauen. Die engelhafteste Gestalt schien ihr eine Drohung zu bergen, selbst die eines alten Freundes wie Bruder Etiennes.
»Was hat die Königin Euch gesagt, als sie Euch zu mir schickte, Bruder Etienne? Könnt Ihr mir ihre Worte wiederholen?«
Er neigte zustimmend den Kopf, doch sein Blick lag weiter auf der jungen Frau.
»Gern. ›Es sind unstillbare Schmerzen‹, hat die Königin zu mir gesagt, ›aber selbst bei äußerstem Leid kann Rache zuweilen Linderung bringen. Geht und holt mir die Dame Cathérine de Montsalvy, und erinnert sie daran, daß sie nie aufgehört hat, dem Kreis meiner Hofdamen anzugehören. Ihr großes Leid sollte sie nicht von mir entfernen.‹«
»Ich weiß ihr Dank, daß sie sich an mich erinnert, aber hat sie vergessen, daß alle Montsalvys verbannt sind, zu Verrätern und Treuebrüchigen erklärt wurden und vom königlichen Profos gesucht werden? Daß man tot oder aussätzig sein muß, um den Häschern zu entwischen? übrigens, die Königin hat mein Leid erwähnt. Weiß sie davon?«
»Sie weiß stets alles. Messire Kennedy hat sie auf dem laufenden gehalten.«
»Das heißt also, daß der gesamte Hof sich daran weidet!« bemerkte Cathérine bitter. »Was für ein Triumph für La Trémoille, den heldenmütigsten der Hauptleute des Königs im Siechenspital zu wissen!«
»Niemand weiß davon außer der Königin! Und die Königin kann schweigen, Madame«, sagte der Mönch tadelnd. »Messire Kennedy hat sie unter dem Siegel der Verschwiegenheit unterrichtet. Außerdem hat er den Leuten dieser Gegend wie seinen Soldaten angedroht, jedem, wer immer es sei, eigenhändig die Gurgel durchzuschneiden, der das wahre Schicksal Messire Arnauds verraten würde. Für die Welt ist Euer Gatte tot, Madame, selbst für den König! Mir scheint, Ihr wißt wenig davon, was unter Eurem eigenen Dach vorgeht.«
Cathérine errötete. Es stimmte. Seit dem verwünschten Tag, an dem Arnaud zur Leprastation von Calves gebracht worden war, hatte sie sich in ihren Gemächern eingeschlossen, die sie nur bei Einbruch der Nacht verließ, um auf dem Wehrgang ein wenig Luft zu schöpfen. Dort verweilte sie einen langen Augenblick, unbeweglich zwischen zwei Stützbalken, immer in dieselbe Richtung starrend. Gauthier, der Normanne, den sie einst vor dem Galgen gerettet hatte, begleitete sie, hielt sich aber respektvoll zehn Schritte hinter ihr, wagte nicht, sie in ihren Gedanken zu stören. Nur Hugh Kennedy, der Gouverneur von Carlat, hatte den Mut, sich ihr zu nähern, wenn sie wieder hinunterstieg. Die Soldaten betrachteten diese Frau, die, schwarz gekleidet und verschleiert, stets aufrecht und stolz, außerhalb ihrer Gemächer nie ihr Gesicht zeigte, mit einer Mischung aus Mitleid und Besorgnis. Abends, am Feuer, sprachen sie von ihr, riefen sich die blendende Schönheit ins Gedächtnis zurück, die seit sechs Monaten keiner von ihnen wieder gesehen hatte. Die phantastischsten Geschichten machten die Runde. Man erzählte sich sogar, die schöne Gräfin habe sich das Haar abrasiert und sich entstellt, um nie wieder die Liebe eines Mannes erregen zu können. Die Leute im Dorf bekreuzigten sich, wenn sie ihr düsteres Musselintuch sanft im Abendwind gegen den roten Himmel flattern sahen. Und mählich wurde die schöne Gräfin de Montsalvy eine Legende …