Es blieb ihm keine Zeit, den Satz zu vollenden. Ganz in ihren Wortwechsel vertieft, hatten weder er noch Cathérine bemerkt, daß Kennedy, von Gauthier gefolgt, in den Saal getreten war. Erst als der Schotte sich auf den Spanier stürzte, wurde man seiner Anwesenheit gewahr. Mit einem Wutschrei packte Kennedy Villa-Andrado am Kragen seiner Rüstung und am Hosenboden, hob ihn halb über den Boden und beförderte den Heulenden und Schimpfenden derart bis zur Tür.
»Es gibt etwas, was die Schotten noch mehr lieben als das Gold, Meister Schacher, und das ist ihre Ehre! Richtet das Eurem Herrn aus!« schrie er wütend.
Mit verdrießlicher Miene, weil man ihm ein so kümmerliches Wild übriggelassen hatte, nahm nun Gauthier den Pagen unter den Arm und tat genau das gleiche, was sein zorniger Gouverneur ihm vorgemacht hatte. Als beide verschwunden waren, wandte sich Bruder Etienne mit einem gütigen Lächeln an Cathérine, die immer noch zitterte:
»Nun, Madame, das hat Euch eine Antwort erspart. Was haltet Ihr von der Sache?«
Sie sagte nichts, blickte ihn nur an, schämte sich, sich einzugestehen, daß sie zum erstenmal seit langem Lust hatte zu lachen. Den Anblick des wie eine rote Spinne in den Fäusten des schottischen Feldhauptmanns zappelnden Villa-Andrado würde sie nie vergessen.
Zweites Kapitel
Als der Abend kam, war dieser erheiternde Zwischenfall schon vergessen. In dem hohen Raum des Schloßturms, in dem Kennedy kurz nach dem Tod des alten Jean de Cabanes vor drei Monaten sein Quartier eingerichtet hatte, waren Cathérine, Sara, Gauthier, Bruder Etienne, Hugh Kennedy und der Seneschall von Carlat, ein Gaskogner namens Cabriac, der diesen Posten seit zehn Jahren bekleidete, versammelt. Er war ein rundlicher Mann, einfach und gutmütig, der nichts mehr als seine Ruhe liebte. Ohne Ehrgeiz, hatte er nie nach dem Gouverneursposten der Festung getrachtet, fand es unendlich bequemer, diese Verantwortung auf kriegerischeren Schultern ruhen zu sehen als den seinen. Aber er kannte die Feste und ihre Umgebung wie kein zweiter.
Sobald der kurze, winterliche Tag jäh zu Ende gegangen war wie eine Kerze, die man ausbläst, waren alle zum Verschlag des Ausgucks hinaufgestiegen, um die Stellungen des Feindes zu beobachten.
Villa-Andrados Landsknechte richteten sich ein. Zelte aus dicker Sackleinwand wuchsen empor wie ebenso viele giftige Pilze, die durch den weißen Mantel des Schnees stachen. Eine Anzahl Soldaten nahm von den Häusern des Dorfs Besitz. Die entsetzten Bauern waren geflohen und hatten hinter den gewaltigen Mauern der Festung Zuflucht gesucht. Man hatte sie überall ein wenig verteilt, da und dort, wo Platz war, in der alten Komturei, in den geräumigen Scheunen und in den Ställen. Innerhalb der Umwallung des Schlosses gab das ein Tohuwabohu wie auf einem Wochenmarkt, denn die Tiere waren ihren Besitzern gefolgt. Und jetzt, nach Einbruch der Nacht, bildete das Lager der Angreifer um den riesigen Felsen einen Kranz, dessen Feuer leuchtenden Blumen glichen. Rote, rauchumwölkte Flammen tupften die tiefschwarze Nacht, erhellten flüchtig da und dort verzerrte, von der Kälte blau angelaufene Fratzen, die nichts Menschliches mehr hatten, über den Mauerkranz des Schloßturms gebeugt, schien es Cathérine, als blicke sie in einen höllischen, von Dämonen bevölkerten Abgrund hinab. Dieser Anblick hatte Kennedys Optimismus beträchtlich verringert. Er hatte die drohenden roten Zangen sich um Carlat schließen sehen.
»Was sollen wir jetzt tun, Messire?« fragte Cathérine. Er wandte ihr sein stolzes Doggengesicht zu und zuckte die Schultern.
»Zur Stunde, Madame, mache ich mir über uns weniger Sorgen als über MacLaren. Wir sind so gut wie eingeschlossen. Wie soll er morgen wieder zu uns stoßen, wenn er von Montsalvy zurückkommt? Er wird diesen Leuten direkt in die Arme laufen, und sie werden ihn gefangennehmen … oder schlimmer! Villa-Andrado schreckt vor nichts zurück, um Euch zur Kapitulation zu zwingen. Man wird ihm Fragen stellen … mit allen unangenehmen Nebenerscheinungen, die dieses Wort bei dem Kastilier einschließt. Unser Feind wird wissen wollen, wo er herkommt.«
Cathérine spürte, daß sie blaß wurde. Wenn MacLaren, gefangengenommen, unter der Folter sprach, würde der Spanier wissen, wo er Michel finden konnte.
Und welch sichereres Unterpfand gäbe es als das Baby, um die Mutter zur Räson zu bringen? Um ihren Sohn vor den Klauen Villa-Andrados zu retten, würde Cathérine, das wußte sie wohl, alles akzeptieren.
»Also«, sagte sie mit müder Stimme, »ich wiederhole meine Frage. Messire Kennedy, was sollen wir tun?«
»Zum Teufel, ich weiß es nicht!«
»Ein Mann«, ließ Bruder Etienne sich ruhig vernehmen, »müßte heute nacht von Carlat ausgesandt werden und in Richtung Montsalvy marschieren, so daß er sie morgen träfe und sie warnen könnte. Das ganze Problem besteht darin, einen Mann durchzuschleusen. Mir scheint, daß die Einschließung der Feste noch nicht vollkommen ist. Dort drüben, jenseits der Nordmauer, gibt es eine breite Stelle, wo ich kein Feuer leuchten sehe.«
Kennedy hob ungeduldig die schweren, lederbekleideten Schultern.
»Habt Ihr Euch noch nie den Felsen an dieser Stelle angesehen? Ein glattes schwarzes Riff, das senkrecht zum Tal abfällt und durch den Wall darüber noch beträchtlich erhöht wird. Man müßte ein verdammt langes Seil und ungeheuren Mut haben, um da hinunterzusteigen, ohne sich den Hals zu brechen.«
»Ich würde es gern wagen«, sagte Gauthier, in den vom Kaminfeuer erhellten Kreis vortretend.
Cathérine öffnete schon den Mund, um zu protestieren, als der Seneschall ihr zuvorkam.
»Ein Seil ist gar nicht nötig, weder für das Mauerwerk noch für den Felsen … Es gibt eine Treppe!«
Sofort richteten sich alle Blicke auf ihn. Kennedy packte ihn an der Schulter, um ihn besser ins Auge fassen zu können.
»Eine Treppe? Träumst du?«
»O nein, Messire. Eine richtige, in den Felsen geschlagene Treppe, natürlich sehr schmal. Sie beginnt im Innern eines der Türme. Nur der alte Sire von Cabanes und ich kennen sie. Escorneboeuf ist auf diesem Wege geflohen, Dame Cathérine, damals, als …«
Cathérine erinnerte sich mit Schaudern an den Tag, an dem in diesem selben Turm der gaskognische Haudegen versucht hatte, sie ins Verlies zu stürzen. Manchmal sah sie in ihren Alpträumen das rote, schwitzende Gesicht des groben Sergeanten wieder, in dessen Augen Mordlust funkelte.
»Wieso kannte er das Geheimnis?« stieß sie hervor.
Der kleine Seneschall senkte den Kopf und drehte die Kappe in den Händen.
»Wir … wir stammten aus derselben Gegend der Gascogne«, stammelte er. »Ich wollte nicht, daß er aus diesem Grunde zu Tode käme.«
Cathérine enthielt sich einer Antwort. Dies war nicht der Augenblick, von diesem Mann, der eine so wertvolle Auskunft gegeben hatte, Rechenschaft dafür zu fordern, daß er einen Mörder beschützt hatte. Kennedy, der in tiefes Sinnen versunken war, hätte es sowieso nicht geduldet. Mit gekreuzten Armen, den Kopf auf eine Schulter geneigt, starrte er völlig ausdruckslos ins Feuer. Mechanisch fragte er, ob die Treppe für Frauen benutzbar sei, und als dies bejaht wurde:
»Gut, wir werden es noch besser machen. Man muß von der Tatsache profitieren, daß Villa-Andrado noch nicht die Möglichkeit gehabt hat, das Schloß ganz einzuschließen. Vermutlich hält er es in Anbetracht der Höhe der Nordwand auch nicht für so dringlich; aber er kann seine Meinung schon morgen ändern. Wir haben also keine bessere Chance als heute nacht. Dame Cathérine, bereitet Euch auf den Aufbruch vor.«
Leichte Röte stieg der jungen Frau in die Wangen, und sie preßte die Hände gegeneinander.
»Soll ich allein gehen?« fragte sie einfach.