»Ich bin am anderen Tag zu ihm gegangen …«
»Und seid mit roten Augen wieder herausgekommen, mit der entschlossenen Miene eines Menschen, der eine ernste Entscheidung getroffen hat. Ihr seht, ich bin gut unterrichtet.«
»Etwas sagt mir, daß Eure Spione Euch belügen! Sie haben Euch nicht alles gesagt!« erwiderte Cathérine, gezwungen lächelnd. Aber sofort war Bernard wieder ernst geworden:
»Doch, Cathérine! Ihr habt mit ihm gebrochen, und die Erinnerung an Euren Gatten hat Euch zur Besinnung gebracht. Wenn das nicht so wäre, warum reist Ihr dann ab? Warum hat Brézé vor einer Stunde an der Spitze seiner Lanzenreiter die Zugbrücke dieses Schlosses passiert? Er bricht zur Unterstützung Lores auf, dessen Festung Saint-Ceneri die Engländer angegriffen haben.«
»Ah!« sagte die junge Frau mit ganz leiser Stimme. »Er ist fort?«
»Ja, er ist fort! Weil Ihr ihn abgewiesen habt! Ich habe mich nicht in Euch getäuscht, Cathérine, Ihr seid ganz die, die der große Montsalvy sich erwählt hat! Nur neulich nacht hab' ich mich irreführen lassen. Wollen wir nicht Frieden schließen? Ich habe den großen Wunsch, wieder Euer Freund zu werden.«
Seine Zerknirschung und sein Bedauern waren echt. Und Cathérine konnte gegen jemand, der seine Fehler so freimütig eingestand, keinen Groll hegen. Plötzlich lächelte sie und streckte dem jungen Mann beide Hände entgegen.
»Ich täuschte mich auch. Vergessen wir das alles, Bernard … und kommt nach Montsalvy, wenn Ihr nach Lectoure zurückkehrt! Ihr werdet immer willkommen sein! Später werde ich Euch Michel anvertrauen, wenn die Zeit gekommen sein wird, einen Pagen aus ihm zu machen. Ich glaube, Ihr werdet das aus ihm zu machen verstehen, was Arnaud erwartet hätte. Und jetzt sagt mir auf Wiedersehen!«
»Verlaßt Euch auf mich! Auf Wiedersehen, schöne Cathérine!«
Ehe sie sich's versah, packte er sie an den Schultern und versetzte ihr auf beide Wangen einen schallenden Kuß. Dann ließ er sie los.
»Ich werde Xaintrailles und La Hire erzählen, was für eine tapfere Kameradin Ihr seid! Ich wollte Euch eine Eskorte auf den Heimweg mitgeben, aber anscheinend hat der König da schon vorgesorgt.«
»Gott sei Dank«, sagte Cathérine lachend. »Ich möchte auch lieber etwas Friedfertigeres um mich haben als Eure Teufel aus der Gascogne. Um die im Zaum zu halten, muß man eine Führernatur sein, und ich bin nicht Arnaud de Montsalvy!«
Schon im Begriff, sich zu entfernen, blieb Bernard stehen, machte kehrt und sah Cathérine einen Augenblick prüfend an. Dann, ernst:
»Ich glaube doch!« sagte er.
Die Morgenröte ließ die Dächer von Chinon und das ruhige Wasser der Vienne aufglühen, als Cathérine in der Frühe des folgenden Tages unter dem Fallgatter des Uhrenturms hindurchritt. Alle Glocken der Stadt läuteten zum Morgengebet, und ihr Klang stieg in die reine Luft bis zu der kleinen Reitergruppe hinauf, die das Schloß verließ. Die Eskorte, die der König zu Cathérines Verfügung gestellt hatte, bestand aus Bretonen, wie die mit Hermelinschwänzen gesprenkelten Wappenröcke der Soldaten bezeugten. Tristan l'Hermite befehligte sie, und als er am Abend zuvor zu Cathérine gekommen war, um ihr zu sagen, daß er sie nach Montsalvy begleiten würde, bevor er zum Konnetabel de Richemont nach Parthenay gehe, hatte sie große Freude darüber empfunden. Der König hätte keine bessere Maßnahme zu ihrem Schutze treffen können, als ihr diesen schweigsamen Flamen mitzugeben, dessen Tapferkeit sie schätzengelernt hatte. Er besaß gelassene Schlauheit, ruhigen Mut und eine Begabung für Verwaltung und Regierungsgeschäfte. Sie hatte zu ihm gesagt:
»Ihr werdet es weit bringen, Freund Tristan. Ihr habt alle Eigenschaften eines Staatsmannes.«
Worauf er lachte.
»Das hat man mir auch schon gesagt … sogar erst gestern! Wißt Ihr, Dame Cathérine, daß unser zehnjähriger Dauphin sich für meine Person interessieren will? Er hat mir versprochen, mein Glück zu machen, wenn er einmal König sein wird. Offenbar haben ihn unsere Taten gegen La Trémoille beeindruckt. Wohlverstanden, ich werde dieser Art Versprechungen nicht allzuviel Glauben schenken. Die Fürsten, besonders, wenn sie so jung sind, haben ein schlechtes Gedächtnis.«
Aber Cathérine hatte den Kopf geschüttelt. Sie erinnerte sich an den forschenden, bis zur Unerträglichkeit scharfen Blick des Dauphins Louis. Ein Blick, der bestimmt nicht vergessen würde.
»Ich glaube, er wird sich erinnern!« sagte sie nur.
Tristan hatte sich damit begnügt, zweifelnd den Kopf zu schütteln. Und nun ritt er ruhig an ihrer Seite, lässig im Sattel hängend wie jemand, den man über die Eintönigkeit langer Ritte nicht mehr zu belehren braucht und der es sich angewöhnt hatte, im Sattel zu schlafen. Seine Kappe hatte er auf die Augen heruntergezogen, um sie gegen die Strahlen der aufgehenden Sonne zu schützen, und überließ sich dem ausgewogenen Gang des Pferdes.
Cathérine war wieder in das Jünglingskostüm geschlüpft, das sie beim Verlassen Angers' getragen hatte. Sie liebte es, sich als Mann anzuziehen, der größeren Bewegungsfreiheit wegen und weil es sie mit einer Art von Verwegenheit erfüllte. Gut in ihre Steigbügel gestützt, betrachtete sie die Stadt, als sähe sie sie zum erstenmal. In ihr hatte sie den Sieg davongetragen, den sie sich wünschte, und dazu noch einen weiteren, unerwarteten, über sich selbst. In dem Augenblick, in dem sie Chinon verließ, wurde es ihr plötzlich teuer.
Die guten Leute begannen ihren Tag. Überall knarrten die Fensterläden, die Boutiquen wurden geöffnet, und die Hausierer mit Blumen und Gemüse setzten sich in Bewegung. Ein starker Regen hatte abends zuvor die kleinen, runden Pflastersteine frisch gewaschen. Als sie zum Grand Carroi kamen, sah Cathérine neben dem Brunnen ein junges Mädchen von etwa fünfzehn Jahren, das, auf dem Brunnenrand sitzend, Rosensträuße band. Sie waren so frisch, diese Rosen, und sie erinnerten Cathérine an einen anderen Strauß, den man ihr eines Abends durchs Fenster von Meister Agnelets Herberge geworfen hatte. Sie hielt ihr Pferd neben dem Blumenmädchen an.
»Deine Rosen sind hübsch!« sagte sie. »Verkauf mir einen Strauß!«
Die Kleine reichte ihr sofort das schönste ihrer duftenden Gebilde.
»Das macht einen Sou, edler Herr!« sagte sie lächelnd und knicksend. Aber gleich wurde sie rot wie eine Kirsche und rief freudig: »Oh, danke, edler Herr!«, als sie von Cathérine ein Goldstück für den Strauß bekam.
Cathérine setzte ihr Pferd wieder in Bewegung und ritt auf die befestigte Brücke zu, die über die Vienne führte. Sie hatte ihr Gesicht in den Blumen vergraben und roch mit geschlossenen Augen den köstlichen Duft. Tristan begann zu lachen:
»Das sind zweifellos die letzten Rosen, die wir lange Zeit zu sehen bekommen werden. In Eurer armen Auvergne gedeihen sie nicht. Hier sind sie zu Hause. Die Touraine ist ihre Domäne!«
»Aus diesem Grund habe ich sie auch gekauft. Sie repräsentieren für mich dieses schöne Land der Loire und einige Erinnerungen … Spuren, die vielleicht verwehen, wenn sie verwelkt sind.«
Der Bewaffnetentrupp ritt über die Brücke, von den Soldaten der Wache gegrüßt, die das Wappen des Konnetabels erkannten. Nachdem man den Fluß hinter sich hatte, setzte man die Pferde in Galopp. Cathérine und ihre Eskorte verschwanden in einer Staubwolke.
Dritter Teil
Die Straße nach Compostela
Vierzehntes Kapitel
Es war nach zehn Uhr abends und dunkle Nacht, als Cathérine, Tristan l'Hermite und ihre Eskorte am Ende einer ermüdenden Reise vor Montsalvy ankamen. Das freundliche Sommerwetter hatte den Schlamm der Straßen ausgetrocknet, ihn aber auch in ebensoviel Staub verwandelt. Glücklicherweise hatte es den Reisenden auch ermöglicht, die Nächte unter freiem Himmel zu verbringen und täglich lange Wegstrecken zurückzulegen. Man hatte reichlich Verpflegung mitgeführt, und die Aufenthalte in Herbergen waren selten gewesen. Die meisten von ihnen hatten ohnehin nicht viel zu bieten.