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»Wer seid Ihr?« fragte Gauthier verächtlich.

»Tristan l'Hermite, Stallmeister des Herrn Konnetabel, vom König beauftragt, die Gräfin de Montsalvy nach Hause zu geleiten und darüber zu wachen, daß ihr nichts zustößt. Zufrieden?«

Gauthier nickte. Aus ihrer Eisenklammer nahm er eine Fackel, die dicht unter dem Kreuzgewölbe brannte, und ging schweigend den Reisenden zum Gästehaus der Abtei voraus. Nach der Aufregung und dem Gelärm des Dorfes war die Stille des Klosters auffallend. Die Mönche hatten sich bereits in ihre Zellen zurückgezogen, der Abt war unsichtbar. Nur einige Kerzen brannten hinter den kleinen Fenstern des Gästehauses. Auf der Schwelle stand niemand, und Cathérine hielt Gauthier plötzlich an, indem sie seinen Arm ergriff:

»Und Sara? Ist sie hier?«

Er sah sie mit überraschten Augen an.

»Warum sollte sie hier sein? Sie hat Euch nie verlassen …«

»Doch, sie hat mich verlassen«, entgegnete Cathérine betrübt. »Sie hat mir gesagt, sie kehre nach Montsalvy zurück. Mehr weiß ich nicht, auch unterwegs habe ich sie nicht getroffen.«

Gauthier antwortete nicht sofort. Seine grauen Augen hefteten sich für einen Moment prüfend auf die Cathérines. Er hob die breiten Schultern und murmelte mit bitterer Ironie:

»Sie auch! Dame Cathérine, wie konntet Ihr uns das alles antun?«

Im höchsten Grad erbittert, schrie sie fast:

»Was antun? Was habe ich denn getan, um euer aller Mißbilligung zu verdienen? Was werft ihr mir vor?«

»Uns diesen Mann geschickt zu haben!« erwiderte Gauthier schroff. »Ihr hättet Euch ihm hingeben können, wenn Euch das richtig erschien, ohne ihn herzuschicken und ihn mit seiner angeblichen großen Liebe hier paradieren zu lassen! Woran, glaubt Ihr, stirbt die Dame de Montsalvy … in Wahrheit? An den vertraulichen Mitteilungen Eures Geliebten!«

»Er ist nicht mein Geliebter!« wandte Cathérine wütend ein.

»Eures künftigen Gatten also! Das ist dasselbe.«

Mit beiden Händen umklammerte Cathérine die riesige Hand des Normannen. Ein unwiderstehlicher Drang, sich zu rechtfertigen, erfüllte sie. Sie konnte es einfach nicht mehr aushalten, noch länger unter dieser Anklage zu stehen.

»Hör zu, Gauthier. Wirst du mir glauben, wenn ich dir versichere, daß er es nicht und niemals sein wird, daß ich ihn aller Wahrscheinlichkeit nach niemals wiedersehen werde?«

Zunächst antwortete der Riese nicht. Er schien eher in den Augen Cathérines nach einer Antwort zu suchen, doch nach und nach schwand die Härte aus seinem Gesicht. Spontan nahm er beide Hände der jungen Frau in die seinen.

»Ja«, sagte er mit neuer Wärme, »ich werde Euch glauben! Und wie gern! Jetzt kommt, kommt schnell und sagt ihr, daß es nicht wahr ist, daß Ihr nie daran dachtet, Messire Arnaud zu ersetzen! Sie hat so sehr darunter gelitten!«

Tristan l'Hermite beobachtete sie erstaunt. Offensichtlich begriff er nichts von dem, was sich vor ihm abspielte. Daß Cathérine, eine große Dame, sich dazu hergab, sich vor diesem Bauernlümmel zu rechtfertigen, ging nun wirklich über sein Verständnis! Cathérine bemerkte es, wandte sich ihm mit der Andeutung eines Lächelns zu und sagte kurz:

»Ihr könnt nicht verstehen, Freund Tristan! Ich werde es Euch erklären!«

Er verneigte sich, ohne zu antworten, dachte, daß er bis auf weiteres zweifellos überflüssig sei, und fragte, ob man ihn freundlicherweise an einen Ort führen würde, wo er seine Männer für die Nacht unterbringen und sich selbst ausruhen könne. Gauthier wies auf einen dicken, schläfrigen Mönch, der ein paar Schritte hinter ihnen gähnte, als ob er sich gleich die Kinnlade ausrenken würde.

»Das ist Bruder Eusebius, der Pförtner, der sich um Euch kümmern wird. Die Tiere kommen in den Stall, die Männer finden ein Strohlager in einer Scheune, und Ihr bekommt eine Zelle.«

Wieder verneigte sich Tristan vor Cathérine und folgte dann Bruder Eusebius an der Spitze seiner Männer. Die junge Frau schritt nicht ohne Bewegung über die Schwelle dieses Gästehauses, das sie vor so vielen Monaten mit Arnaud und Bernard verlassen hatte, um nach Carlat zu gehen und dort das zu finden, was sie für das Glück hielt. Aber mit aller Kraft verjagte sie diese niederdrückenden Bilder, denn das, was sie jetzt erwartete, erforderte ihren ganzen Mut.

In der kleinen Halle mit ihrer niedrigen, gewölbten Decke blickte sie Gauthier an:

»Mein Sohn?«

»Er schläft zu dieser Stunde.«

»Laß mich ihn sehen! Es ist so lange her!«

Ein kurzes Lächeln spielte um Gauthiers Lippen, und er nahm Cathérine bei der Hand.

»Kommt! Das wird Euch Mut machen.«

Er zog sie in ein kleines dunkles Zimmer, von dem eine offene Tür in einen anderen, schwach erleuchteten Raum führte, in dem Cathérine Donatienne, die Frau Saturnins, bemerkte. Sie hockte auf einem Bänkchen und schien eingeschlafen zu sein. Der Schein der Kerze zuckte über die verbrauchten Züge der alten Frau und verriet ihre Müdigkeit. Gauthier zeigte mit einer Bewegung auf sie und murmelte:

»Seit drei Nächten schon wacht sie über unsere Dame. Gewöhnlich schläft sie neben dem kleinen Herrn. Sie ist eingeschlafen …«

Während er sprach, nahm er eine Kerze von einer Truhe, ging leise zu einer draußen neben der Tür brennenden Fackel und zündete die Kerze an der rauchigen Flamme an. Dann kam er zurück, begab sich ans Kopfende des Bettes, in dem der kleine Michel schlief, und hob das zitternde Licht über den Kopf des Kindes. In größtem Erstaunen ließ Cathérine sich auf die Knie fallen und faltete die Hände wie vor dem Tabernakel.

»Mein Gott!« stammelte sie. »Wie schön er ist! Und … wie er ihm schon ähnlich sieht!« fügte sie mit heiserer Stimme hinzu.

Es stimmte. Unter dem dichten Gewirr seiner zerzausten goldenen Locken hatte der kleine Michel schon das klare Profil seines Vaters. Seine runden, rosigen Wangen, auf die die gebogenen Wimpern einen zarten Schatten warfen, waren noch ganz von kindlicher Süße, aber das Naschen hatte etwas Stolzes an sich, und eine eigenwillige Falte zeichnete den fest geschlossenen Mund.

Cathérines Herz schmolz vor Zärtlichkeit, doch sie wagte nicht, sich über den Kleinen zu beugen. Er sah wie ein schlafendes Engelchen aus, und sie fürchtete, daß die geringste Bewegung ihn wecken würde.!

Gauthier, der das Kind gleichfalls mit einer Art Stolz betrachtete, bemerkte es.

»Ihr könnt ihn umarmen«, sagte er lächelnd. »Wenn er einmal schläft, kann neben ihm der Blitz einschlagen. Er zuckt nicht mit der Wimper.«

Darauf beugte sie sich hinunter und drückte die Lippen mit Entzücken auf die kleine, ein wenig feuchte Stirn. Tatsächlich wachte Michel nicht auf, aber ein Lächeln huschte über seinen kleinen, fest zusammengepreßten Mund.

»Mein Kleiner!« flüsterte Cathérine, von Liebe erstickt. »Mein ganz Kleiner!«

Sie hätte ohne weiteres die ganze Nacht neben dem Bett ihres Sohnes kniend und seinen Schlaf bewachend zugebracht, doch aus dem anschließenden Zimmer drang ein Röcheln. Donatienne fuhr aus ihrem Schlummer auf, hastete in den hinteren Teil des Raums und war nicht mehr zu sehen.

»Dame Isabelle muß aufgewacht sein!« flüsterte Gauthier.

»Ich gehe hinein!« sagte Cathérine.

Jetzt drang ein erschütterndes Atemgeräusch, von trockenem Husten unterbrochen, zu ihr heraus. Rasch betrat sie das Zimmer, das kaum größer als eine Mönchszelle und auch kaum weniger kahl war. Auf dem schmalen Bett in einer Ecke lag, sehr abgemagert, Isabelle de Montsalvy. Donatienne beugte sich über sie und versuchte, ihr etwas dampfenden Heilkräutertee aus einer Schale einzuflößen, die sie von einem kleinen Ölkocher genommen hatte.

Aber die alte Frau war unfähig, auch nur einen Schluck hinunterzubringen. Wie sie gealtert und seit ihrer Abreise geschrumpft war, und wie zerbrechlich sie jetzt schien! Ihr Körper wirkte ätherisch, ohne jede Substanz, und im fahlen, völlig blutlosen Gesicht sah man nur noch den eingefallenen Mund, der nach Luft rang, und die zu groß gewordenen Augen.