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Er sollte es bald erfahren. Als erfahrener Legionär hatte Saxum seine Qualitäten als Lehrer, auch wenn seine rohe Art mehr als gewöhnungsbedürftig war. Immerhin würden sich die Trainingsstunden bei Pertinax in Arausio auswirken, dessen war sich Lucius ganz sicher. Er hatte durch das Schwerttraining kräftige Oberarme und Schultern bekommen.

Heute stand der erste Geländemarsch an. Saxum hatte ihn ein Bündel packen lassen, mit den gleichen Habseligkeiten, die ein Legionär gewöhnlich mit sich trug: Essbesteck, Kleidung, eiserne Rationen und die sonstigen Dinge des täglichen Bedarfs. Das Bündel, die Sarcina, wurde an einem Stock befestigt und über der Schulter getragen. Lucius maulte, als er es zuerst einmal probeweise trug. Was für eine unbequeme Angelegenheit! Saxum nannte ihn ein Muttersöhnchen und riet ihm, ein Stück Tuch unter den Stock zu legen. Zu Sergius, der interessiert zusah, sagte er: „Wir sind heute Abend zurück. Halte ein Bad und einen Masseur für den jungen Herrn bereit! Das wird er brauchen!“ Und nach einem Seitenblick auf Lucius fügte er noch spöttisch hinzu: „Wenn wir bis zur Cena nicht zurück sind, schicke uns Männer mit einem Karren, damit wir ihn nach Hause schaffen können!“

Lucius schoss das Blut in den Kopf. Na warte, dir werde ich es zeigen! Du wirst sehen, was ein durchtrainierter Städter alles kann! Es geht doch nur zum Rande des Grundstücks und zurück. Das sind gerade mal zwanzig Meilen. Zwanzig Meilen sollten auch schneller zu schaffen sein.

Nach einer halben Stunde mussten sie die erste Pause machen, da ein Stein unter Lucius’ Fuß gerutscht war und ihm höllische Schmerzen verursachte. Saxum besah sich die Sache: „Du Idiot, die Riemen sind viel zu lose geschnürt. So schaffst du keinen Tagesmarsch!“ Er wies ihn an, die Sandalen enger zu schnüren. Danach waren zumindest die Sandalen kein Problem mehr.

Nach einer Stunde wusste Lucius, dass er sich geirrt hatte. Er war nicht in Form. Ganz und gar nicht. Der Schweiß floss in Strömen. Zu allem Überfluss setzte auch noch ein anhaltender Regen ein, dessen Tropfen nach geraumer Zeit ihren Weg unter Lucius’ Mantel und Tunica fanden und ihm kalt den Rücken herunterliefen. Er spürte den Druck der Sarcina auf der Schulter. Nach zwei Stunden war er sich sicher, dass der Stock, an dem die Sarcina hing, ihm eine Delle in die Schulter gedrückt hatte, die für immer dableiben würde. Nach drei Stunden war er sich sicher, dass seine Füße mindestens doppelt so groß sein mussten wie vorher. Außerdem sein Rücken, der würde krumm werden, und er hätte den Rest seines Lebens einen Buckel und müsste durchs Leben hinken. Sie erreichten nach dreieinhalb Stunden die Grenze des Grundstückes. Erschöpft sank Lucius zu Boden, als Saxum eine Pause anordnete.

„Wie … viel?“, keuchte Lucius und deutete auf das Bündel. „Wie … viel Blei ist denn da drin?“

„Stell dich nicht so an!“, brummte der alte Legionär mit einem breitem Grinsen, wobei er seine gelben Stummelzähne zeigte. „Das sind vielleicht fünfzig librae! Als richtiger Soldat müsstest du noch Schild und Speer tragen, das sind noch einmal fünfzig librae. Von Kettenhemd, Schwert und Helm ganz zu schweigen.“

Lucius war zu schwach, um zu widersprechen. Gierig trank er aus der Feldflasche und verzog sofort das Gesicht. „Was ist das denn für ein Gebräu?“, fragte er angewidert.

„Posca. Das Essigwasser der Soldaten. Gewöhne dich schon mal an den Geschmack!“

Lucius biss schnell in ein Stück Brot, um den widerlichen Geschmack aus dem Mund zu bekommen, dann klaubte er noch ein Stück Speck aus dem Bündel und biss hinein. Er beeilte sich mit dem Essen, da Saxum ihm nur eine kurze Pause zugestanden hatte. Er verstaute alles wieder im Bündel und nahm in Ermangelung an Alternativen doch noch schnell einen Schluck von dem widerlichen Gesöff, bevor sie sich auf den Rückweg machten.

Der kam ihm doppelt so lang vor wie der Hinweg. Jeder Schritt schmerzte, die Stange bohrte sich unbarmherzig in seine Schulter. Verbissen setzte Lucius Schritt vor Schritt. Wie ein Esel, der ein Wasserrad bediente und dabei stundenlang im Kreise lief, ging er, den Kopf gesenkt, Schritt für Schritt, immer weiter. Bei Einbruch der Dämmerung erreichten sie den Hof und Lucius war froh, sich ins Bad schleppen zu können.

Als ihm Saxum nachrief: „Ein Legionär marschiert mindestens zwanzig Meilen am Tag, und das fünf Tage hintereinander!“, konnte er das nur als Drohung auffassen.

Zwei Meilen vom Hof entfernt zum Fluss hin erhob sich ein sanfter Hügel. Von dort aus hatte man einen schönen Blick bis zum Rhodanus. An seinem Südhang hatte Sergius die besten Trauben gepflanzt. Über seinen Kamm führte einer der Wege, die das Grundstück in Centurien einteilten. Die Wege durften nicht bepflanzt und jeder fünfte musste befestigt werden. Die Länge dieser Wege bis zur nächsten Kreuzung betrug jeweils eine halbe Meile. Diese Wege und diesen Hügel hatte Saxum sich ausgesucht, um Lucius auf Vordermann zu bringen, wie er es nannte. Jeden Morgen marschierten sie die zwei Meilen. Danach musste Lucius mehrere Runden um die Centurie laufen. Die ersten Tage noch ohne Gepäck, um ihn zu schonen, wie Saxum süffisant bemerkte, aber schon bald lud ihm der Veteran allmorgendlich die schwere Sarcina auf. Für die Übungsläufe befanden sich in dem Bündel nur Steine. Alle drei Tage musste Lucius das Lauftraining mit voller Ausrüstung, also zusätzlich mit Schild, Schwert und Helm, absolvieren.

Lucius keuchte und war vollkommen außer Atem. Mit jeder Runde kam ihm der Hügel steiler vor. Der April war in diesem Jahr ungewöhnlich heiß. Es war verrückt: Noch vor sechs Wochen hatte er den Regen verflucht, jetzt wünschte er ihn zurück. Er machte kurz Halt, um abzuschätzen, wie lange er noch zur Kuppe des Hügels brauchen würde. Er seufzte und kletterte weiter bergauf. Oben angekommen, gönnte er sich keine Pause, sondern machte sich direkt an den Abstieg.

Unten am Fuße des Hügels saß Saxum auf einem Felsen, genoss die Sonne und wartete, während Lucius seine Runden drehte.

Als Lucius schweißgebadet bei ihm ankam, warf Saxum ihm einen Schlauch zu. Lucius trank gierig die Posca. Der Geschmack war ihm mittlerweile egal. Hauptsache, sie stillte den Durst.

„Noch eine Runde“, rief Saxum fröhlich und nippte genüsslich an seinem eigenen Schlauch. Er selbst trank natürlich keine Posca, sondern gönnte sich einen halbwegs vernünftigen Wein. Lucius trank noch einen großen Schluck und warf den Schlauch zurück, ehe er sich an seine letzte Runde machte.

Nachdem sie sich auf diese Art und Weise „ein bisschen aufgewärmt“ hatten, wie Saxum es nannte, würden sie nachmittags „ein bisschen mit den Waffen spielen“. Zuerst sollte Lucius seine Arme lockern und mit den leichten Wurfspeeren trainieren, so hatte ihm Saxum den Trainingsplan erläutert. Danach stünde das Werfen mit dem schweren Pilum auf dem Programm.

Dies stellte sich als wahre Tortur heraus. Nach den ersten Trainingseinheiten hatte Lucius das Gefühl, dass seine Arme abfallen würden.

„Memme!“, kommentierte Saxum lakonisch Lucius’ Stöhnen.

Das Schwertkampftraining mit Pertinax, der einige Tage nach Lucius auf dem Hof eingetroffen war, durfte jedoch auch keinesfalls vernachlässigt werden. Pertinax ließ keine Ausflüchte zu und trieb Lucius selbst dann gnadenlos an, wenn der eigentlich schon glaubte, keinen Finger mehr heben zu können. So war Lucius’ Zeit komplett ausgefüllt. Abends war er meist zu erschlagen und zu müde, um sofort einzuschlafen. Eigentlich mache ich gute Fortschritte, lobte sich Lucius selbst. Ich hätte mal eine kleine Belohnung verdient, dachte er bei sich. Ein paar Tage in Arausio mit Wein und Mädchen wären jetzt genau das Richtige!