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„Du hast es gut!“, sagte Sextus neidisch. „Ich muss mit zwanzig anderen Kindern dieses blöde Lesen und Schreiben lernen, und du darfst so tolle Sachen machen!“

Kinder, dachte Lucius bei sich. Sextus glaubt tatsächlich, dass ich diesen Mist toll finde. Ich wüsste ja schon etwas Besseres mit meiner Zeit anzufangen!

Er winkte zum Abschied und ging ins Haus. Er durchquerte das Atrium, um das Buch wieder in die Bibliothek zu legen. Am Eingang des Atriums, gegenüber vom Hausaltar, lagen schon die Schriftrollen mit den Reden Ciceros bereit. Er zog sie auseinander, um sich zu vergewissern, dass es die richtigen waren. Bis er seine glanzvolle Karriere im Dienste des Imperiums und bei den Adlern starten konnte, würde es noch ein paar Jahre dauern, und so lange würde er hier in Arausio bleiben müssen. Er warf sich unwillig den Kapuzenmantel über, den Stephanos ihm hinhielt, und verließ das Haus.

Nach dem Unterricht war Lucius’ Laune auf einem Tiefpunkt angelangt. Servius öffnete die Tür schon nach dem zweiten Klopfen. Aber bereits das dauerte Lucius viel zu lange, nachdem er den Nachmittag schon mit Cicero vergeudet hatte.

„Wird auch Zeit!“, fauchte er den Sklaven an und drängte sich an ihm vorbei ins Haus. Der stämmige Gallier, der im Haushalt für die schweren Arbeiten zuständig war, sah ihm verdutzt nach. Lucius stürmte die Treppe hinauf zu den Schlafkammern und hastete durch den Gang im Dachgeschoss zu seinem Zimmer. Das wenige Licht, das durch die Dachluke fiel, reichte nicht, um einen aufgebrachten jungen Mann vor der Dachschräge zu warnen. Schmerzhaft wurde Lucius daran erinnert, dass er mit fünfeinhalb Fuß zu groß war, um in diesem Gang unachtsam zu sein. Benommen stand er da. Sein Kopf brauste, ihm war schwarz vor Augen geworden. Er betastete die schmerzende Stelle an seiner Stirn. Bei Äskulap, das würde eine Beule geben! Und er würde sich wieder dumme Sprüche über seine Herkunft anhören dürfen. Nicht, dass der eine oder andere seiner Freunde nicht selbst gallische Vorfahren hatte, aber bei ihm schlugen die gallischen Merkmale sichtbar durch: blaue Augen, ein breite Nase, und überdies war er eine Handbreit größer als seine Freunde. Der Schmerz und der Gedanke an den Spott besserten seine Laune nicht, und als er sein Zimmer erreichte, stieß er die Tür so heftig auf, dass sie mit einem lauten Knall gegen die Wand schlug. Er warf die Schriftrollen und Schreibutensilien auf das Bett und zerrte dann seinen Mantel über den schmerzenden Kopf. Dabei berührte er natürlich die frische Beule und wimmerte vor Schmerz. Er warf den Mantel zu Boden und trat an die Kleidertruhe. Der Deckel flog auf und schlug so heftig gegen die Wand, dass der rote Putz absplitterte und ein hässlicher weißer Kratzer sichtbar wurde.

Er suchte seine Badesachen heraus. Öl, Strigilis, Schwamm, eine frische Leinentunica. Wo war denn nur seine neue blaue Tunica? Während seiner Suche warf er die Kleidungsstücke, die er nicht brauchte, achtlos auf den Boden. Angewidert betrachtete er den Strigilis, auf dessen Griff Kinder beim Nüssespiel zu sehen waren. Am liebsten hätte er diesen Strigilis fortgeworfen und sich einen vernünftigen Schaber, einen für Erwachsene, geholt. Er hatte auf dem Markt welche gesehen, auf deren kunstvoll gearbeiteten Griffen amouröse Szenen dargestellt waren. Am besten hatte ihm der mit dem Satyr und der Nymphe gefallen, aber sein großer Bruder Gaius hatte sich nur an die Stirn getippt und ihm geraten, aus der Sonne zu gehen.

Endlich hatte er alles gefunden und rollte die Sachen zu einem Bündel zusammen. Er hob seinen Mantel wieder auf. Ohne sich um das Chaos zu kümmern, das er angerichtet hatte, verließ er die Schlafkammer. Sein schmerzender Schädel mahnte ihn zur Vorsicht und er ging deutlich langsamer als auf dem Hinweg.

Ein bisschen Wein im Bad wäre nicht schlecht. Er überlegte und drehte sich dann zu der Tür, die zum Aufenthaltsraum der Sklaven führte. Einen halben Schritt vor der nur angelehnten Tür blieb er wie erstarrt stehen. Servius sprach über ihn. Lucius spähte vorsichtig in den Raum.

„Der junge Herr ist wieder bester Laune! Rhetorikunterricht?“, fragte Servius an die anderen Haussklaven gewandt, während er sich seiner Schnitzarbeit widmete. Stephanos, der gerade die Vorratslisten überprüfte, bestätigte kurz: „Rhetorikunterricht!“

Brigit, die gerade ein Gewand ausbesserte, sah auf und lachte: „Sein gallisches Blut macht sich bemerkbar.“

„Seine Mutter war Römerin!“, bemerkte Stephanos irritiert.

Brigit seufzte: „Natürlich war Pompeia Römerin. Aber obwohl ihre Familie seit zwei Generationen das römische Bürgerrecht besitzt, ist trotzdem gallisches Blut in ihm. Und dieses Blut will mit fünfzehn Jahren nicht lesen, sondern kämpfen! Gaius und Marcus waren da ganz anders, die konnten gar nicht früh genug damit anfangen, Reden zu lernen und zu halten!“

Sie musste es wissen, sie war die Kinderfrau seiner Brüder gewesen, nachdem die damalige Hausherrin Cornelia bei Marcus’ Geburt gestorben war. Auch um Lucius hatte sie sich nach dem Tod seiner Mutter gekümmert.

„Ich weiß noch, wie Gaius auf der Bank im Garten stand und den Bäumen eine Ansprache hielt. Als ich ihn hereinholen wollte, sah er mich finster an und sagte: ‚Siehst du nicht, dass ich von der Rostra aus eine Rede an die Volksversammlung halte? Einer Frau geziemt es nicht, Männer bei den Staatsgeschäften zu unterbrechen!’ Und dann sagte er zu den Bäumen: ‚Mitbürger, leider rufen mich dringende Geschäfte fort, ich werde morgen wiederkommen und euch sagen, warum Marcus Antonius eine finstere Kreatur ist!’ Er kletterte von der Bank und stolzierte zum Abendessen. Da war er dreizehn.“ Sie lächelte bei der Erinnerung.

Die beiden Männer erwiderten das Lächeln höflich. Sie kannten Brigits Kindheitsgeschichten der Herrschaft zur Genüge. Als Brigit das aufgesetzte Lächeln der anderen bemerkte, widmete sie sich wieder schweigend ihren Näharbeiten.

Lucius war verlegen gewesen, als er die Sklaven über sich sprechen hörte, aber angenehme Gerüche, die aus der Küche herüberzogen, lenkten ihn nun ab. Liebend gern wäre er nachsehen gegangen, was Geminia Feines kochte, aber sie konnte zur Furie werden, wenn jemand sie im falschen Moment störte. Außer ihrer Tochter Briseis durfte sich niemand beim Kochen in der Küche aufhalten.

Da bemerkte Lucius plötzlich aus den Augenwinkeln eine Bewegung im Durchgang zum Atrium und zuckte erschrocken zusammen. Er war beim Lauschen vor dem Sklavenquartier ertappt worden! Hastig, mit brennenden Wangen, drehte er sich um und eilte auf die Haustüre zu. Schritte näherten sich von hinten und er hörte die Stimme von Julia, der Frau seines Bruders.

„Lucius, auf ein Wort!“ Lucius ließ die erhobene Hand, mit der er gerade die Tür hatte öffnen wollen, sinken und drehte sich halb zu ihr um:

„Was?“, fragte er und hoffte, an seiner Stimme wäre zu erkennen, dass er an einer Belehrung über das Erwachsenwerden nicht interessiert sei. Aber Julia hatte etwas anderes auf dem Herzen. „Rogata war heute Morgen hier!“, sagte sie ernst.

Rogata war die Nachbarin, deren Wohnung an ihren Garten grenzte. Eine sehr redselige Frau, dachte Lucius, die einem mit dauernden Ratschlägen auf die Nerven ging. Als Entschädigung hatte sie aber mit Sabellia eine entzückende Tochter. Lucius kannte Sabellia und ihren älteren Bruder, seit sie ein kleines Mädchen war. Der kleine Sextus, mit dem er ab und zu spielte, war Sabellias jüngster Bruder. Mittlerweile war Sabellia vierzehn und sah gar nicht mehr wie ein kleines Mädchen aus. Julias durchdringender Blick holte Lucius unsanft ins Jetzt zurück.

„Sie möchte es wegen Sabellia nicht mehr!“

Lucius war verwirrt. Was wollte Rogata wegen Sabellia nicht mehr?

Julia schimpfte verärgert: „Du hast wieder nicht zugehört!“

Ja, ja, dachte Lucius entnervt, jetzt red schon.

„Rogata und ihr Mann Titus Sabellius haben nichts gegen deine Besuche einzuwenden und freuen sich, wenn du mit dem kleinen Sextus spielst, aber sie sagen, es geht nicht, dass du einfach über die Mauer in ihren Hof kletterst.“