Lucius schickte ein Gebet zu Jupiter und ritt langsam weiter. Als die Licaten beinahe auf Wurfweite der Speere herangekommen waren, rammte Lucius seinen Speer in den Boden und ritt mit erhobenem rechten Arm weiter. Die Licaten zügelten ihre Pferde und berieten sich aufgeregt. Entweder sie überlegen, wen sie als Unterhändler schicken sollten, oder sie streiten darüber, wer meinen Kopf bekommt, dachte Lucius nervös und ritt langsam weiter. Endlich legte einer der Krieger seine Waffen ins Gras und kam ihm ebenfalls mit erhobenem rechten Arm entgegen. Lucius hielt sein Pferd an und stieg ab. Der Licate war nun auf Rufweite herangekommen, er bellte eine Frage und Lucius brauchte einen Augenblick, bis er den Sinn verstand.
„Feldherr Tiberius Claudius Nero schickt uns, um mit eurem Häuptling zu sprechen!“
Der Kelte winkte ihm, zu folgen, aber Lucius blieb stehen: „Moment, ich bin nur der Dolmetscher. Legat Varus wird mit deinem Häuptling reden!“
Der Kelte sah nervös von Lucius zu den anderen Römern hinüber und wieder zurück. Er leckte sich die Lippen und winkte dann hektisch: „Dann hol diesen Legaten!“
Lucius schwang sich auf sein Pferd und ritt zurück. Die Kelten bedeuteten ihnen, zu folgen.
Die Legionsreiter blieben vor dem Lager der Barbaren zurück. Lucius klopfte das Herz bis zum Halse, als er hinter Varus in das Lager ritt. Feindliche und hasserfüllte Blicke waren auf sie gerichtet und einige Barbaren hielten ihre Waffen so fest, dass die Fingerknöchel weiß hervortraten. Varus schien dies nicht zu bemerken. Er ritt so sorglos durch die Reihen der Licaten, als würden sie aus den Albaner Bergen zurückkehren und sich ihren Weg durch die Reisenden auf der Via Appia bahnen. Lucius dagegen starrte stur geradeaus, als könnte sein Blick die Barbaren provozieren.
In der Mitte des Lagers stiegen sie ab und wurden von ihrem Führer in den Kreis der Häuptlinge geführt. Diese machten einen abgekämpften, müden Eindruck, wirkten ungepflegt und verdreckt. Ihre Mienen zeigten eine finstere Entschlossenheit. Kein einziger freundlicher Blick war zu sehen, aus allen Augen sprachen Hass und Ablehnung.
Schließlich ergriff einer der Häuptlinge das Wort. Er hatte nur noch ein Auge, die Wunde an der Stelle, wo das andere gewesen war, sah frisch aus. Sein rechter Arm war verletzt, eine üble Blessur, rot und geschwollen. Würde sie nicht bald vernünftig behandelt werden, würde dieser Häuptling seinen Arm verlieren. Der Häuptling wiederholte seine Frage und Lucius zuckte zusammen, als Varus ihm einen Rippenstoß versetzte.
„Er fragt nach unserem Begehr!“, übersetzte Lucius hastig.
„Dann los, Marcellus!“, entgegnete Varus. „Dann sag mal deinen Spruch auf!“
„Tiberius Claudius Nero, Legatus Agusti pro praetore und consulares, Stiefsohn des Imperator Caesar Augustus, des Sohnes des Divis Julius und Princeps des Imperium Romanum und Publius Quintilicius Varus, Senator von Rom, Legat des Tiberius Claudius Nero, grüßen euch!“
Der Häuptling hatte aufmerksam zugehört. „Senator? Dieser Mann ist ein Senator?“, fragte er, auf Varus deutend, und als Lucius zustimmend nickte, fuhr der Häuptling plötzlich auf Griechisch fort: „Ich bin Cingetorix, Häuptling der Licatier und Anführer dieses Heeres!“
Wenn Varus überrascht war, dass der Häuptling ihn auf Griechisch anredete, ließ er es sich nicht anmerken. „Ich grüße dich, Cingetorix!“, erwiderte er. „Wenn du Griechisch sprechen kannst, wird das unsere Gespräche vereinfachen!“
Cingetorix schüttelte den Kopf und zeigte auf die anderen Männer. „Sie sind alle freie Männer und haben das Recht, bei den Angelegenheiten des Stammes zuzuhören, betrachte es daher nicht als unhöflich, wenn wir trotzdem in unserer Sprache verhandeln!“
Varus’ Gesicht hatte sich verdüstert. „Es ist mir egal, wie eure Sitten und Gebräuche sind!“, sagte er wütend. Cingetorix’ Miene versteinerte sich bei diesen Worten. „Aber vielleicht ist es in diesem Fall besser so! Centurio, erläutere ihnen die Lage!“
Lucius und zeigte nach Süden und sagte: „Von dort marschiert das römische Heer mit zwei Legionen auf euch zu! Von Osten nähern sich unsere belgischen Verbündeten mit 1.200 Reitern. Im Westen ist der Fluss!“
Ein erregtes Stimmengewirr setzte unter den Kriegern ein, die aufgebracht durcheinander redeten. Cingetorix war erbleicht. „Was verlangt ihr?“, fragte er mit bebender Stimme.
„Dieses unnötige Blutvergießen muss ein Ende haben! Unterwerft euch und unterschreibt einen Vertrag!“, dolmetschte Lucius Varus’ Worte.
Wütendes Murren erhob sich und Lucius sah sich besorgt um.
„Du willst, dass wir eure Sklaven werden?“, brüllte einer der anderen Häuptlinge. „Niemals, lieber sterbe ich!“
Lucius dolmetschte für Varus, der den Häuptling ruhig ansah und dann über Lucius antwortete: „Das kannst du haben, wenn du unbedingt willst, und deine ganze Sippe dazu!“
Der Häuptling griff nach seinem Schwert und bleckte die Zähne: „Vorher hole ich mir aber noch eure beiden Köpfe!“
„Sehr mutig!“, spottete Varus. „Das wird eine Heldentat sein, die noch in Generationen besungen wird. Zweitausend Likatier töten zwei Römer, bevor sie selbst niedergemetzelt werden!“
Nachdem Lucius zu Ende übersetzt hatte, lachte der Häuptling höhnisch auf: „Ich brauche keine Hilfe, um euch beide zu töten. Mit euch nehme ich es alleine auf!“
„Das glaube ich kaum!“, entgegnete Lucius ruhig. Diesen Prahlhans würde ich im Schwertkampf jederzeit erledigen, dachte er bei sich.
„Mit dir Kind wäre ich mit drei Schlägen fertig!“, höhnte der Kelte.
„Wenn du meinst!“, versetzte Lucius kühl und legte die Hand an den Schwertgriff.
„Verzeih die Störung, Centurio!“, warf Varus sarkastisch ein. „Darf ich vielleicht erfahren, was es da so Wichtiges zu bereden gibt?“
Lucius schluckte errötend und erläuterte ihm dann den Wortwechsel.
„Gut!“, sagte Varus zufrieden. „Wenn du aber anfängst, Provinzen zu verschenken, informiere mich vorher!“
„Was ist, kleiner Junge, hast du Mut, zu kämpfen?“, höhnte der Häuptling wieder.
„Ein anderes Mal vielleicht!“, entgegnete Varus, nachdem Lucius gedolmetscht hatte.
Darauf drehte sich der Häuptling zu den Kriegern um und rief: „Seht ihr, die Römer haben keine Ehre. Erst fordert mich dieser Krieger zum Kampf heraus, und jetzt versteckt er sich hinter seinem Häuptling und drückt sich!“
Lucius und Varus schwiegen dazu, auch niemand sonst sagte etwas, bis Cingetorix das Schweigen brach: „Das muss in der Versammlung der Krieger besprochen werden! Gebt uns Beratungszeit!“
„Zwei Stunden!“, willigte Varus ein, und sie gingen zu ihren Pferden zurück, um das Lager zu verlassen.
Während die römischen Gesandten aufbrachen, trafen die ausgesandten keltischen Kundschafter im Lager ein und berichteten, dass das römische Heer in der Tat nahe war. Großes Geschrei folgte auf diese Worte. Krieger und Häuptlinge sprachen gleichermaßen aufgeregt durcheinander und versuchten sich gegenseitig zu übertönen. Cingetorix war müde und erschöpft. Wenn Teutates es bestimmt hatte, dass sie untergehen sollten, war ihm das egal. Aber was war mit Frauen und Kindern? Es gab immer noch Stimmen, die für den Krieg sprachen, so wie Lugurix. Er stand da und forderte die Krieger hitzig auf, weiterzukämpfen.
„Habt ihr diesen Kindersoldaten gesehen?“, rief er. „Das ist das, was die Römer gegen uns zu Felde führen! Jeder unserer Jungmänner hätte ihn besiegt!“
„Lugurix“, warf einer der Krieger zaghaft ein, „hast du die Form des Helmbusches gesehen? Dieser junge Römer ist ein Häuptling!“