Выбрать главу

„Wenn sie verlassen ist, was soll er dann aufklären?“, fragte Varus.

„Er soll nach Spuren von Germanen suchen!“, sagte Tiberius mit Nachdruck.

Ein Schaudern ging durch seinen Stab und die Tribune sahen sich bedeutungsvoll an. Sie näherten sich dem Gebiet der Germanen!

Zwei Legionslager und mehrere Lager der Hilfstruppen waren errichtet worden. Tiberius nannte das Lager zwischen Vinda und Licca das Castra Vindelicorum. Einzelne Abteilungen der Hilfstruppen durchstreiften noch das Land auf der Suche nach flüchtenden Kriegergruppen, aber das Gros des römischen Heeres hatte sich hier versammelt. Es galt jetzt, das Ende des Feldzuges mit der offiziellen Unterwerfung aller Stämme zu besiegeln.

Die Häuptlinge der Briganten, der Estionen, der Licaten und Cattenaten waren von Tiberius hergebracht worden, die überlebenden Häuptlinge der Cosuaneten und Rucinaten begleiteten Drusus.

Zwischen den Lagern war ein großes Podium errichtet worden, auf dem zwei curulische Stühle für Tiberius und Drusus aufgestellt worden waren. Daneben standen die einfachen Stühle für die Legaten und die Tribune. Vor dem Podium standen die Primipili und die Aquilifer der vier Legionen sowie ein Feldzeichenträger, der das Imago des Augustus trug, damit dieser symbolisch an der Handlung teilnehmen konnte. Auch die Häuptlinge warteten vor dem Podium. Gesäumt wurde der Platz von den Centurionen der vier Legionen sowie einer Abordnung der Kohorten.

Vielleicht hatte der eine oder andere Häuptling gedacht, er könnte bessere Vertragsbedingungen für seinen Stamm herausschlagen. Die Häuptlinge waren Herrscher ihres Stammes und damit Drusus und Tiberius mehr als ebenbürtig. Diese waren schließlich nur Heerführer unter ihrem Herrscher.

Um jedoch jeden Gedanken an Widerstand von vorneherein im Keim zu ersticken, war die Prozession der Häuptlinge zuvor durch die Reihen der Legionen geführt worden. Angesichts der zehntausend Legionäre und Hilfstruppen war der Gedanke an Widerstand so schnell geschmolzen wie Schnee in der Sonne.

Jedem Stamm wurde ein eigener Vertrag vorgelegt, der in Griechisch und Latein verfasst war. Da die Häuptlinge nicht lesen konnten, las man ihnen die Vereinbarungen vor. Darin wurden die Grenzen der Civitas der Stämme festgelegt sowie ihre Rechten und Pflichten und die Tribute, die sie zu zahlen hatten. Die Häuptlinge nahmen alles ruhig hin.

Nur bei einem Punkt flammte noch einmal Widerstand auf: Jeder Stamm musste Kontingente von jungen Männern an Rom übergeben, die in den Hilfstruppen dienen sollten. Die Kelten fanden es erniedrigend, dass ihre jungen Männer für fremde Herrscher kämpfen sollten. Außerdem brauchten sie diese, um das Land vor den Germanen zu schützen. Letzteren Einwand wies Drusus allerdings mit dem Hinweis auf die Anwesenheit Roms zurück: Solange ihr Land zum römischen Reich gehörte und von römischen Legionen geschützt werde, bräuchten sie sich um die Germanen keine Sorgen mehr zu machen. Roms Geduld mit den Germanen sei ohnehin am Ende. Rom werde eine Reihe von Lagern errichten, um die Germanen im Zaum zu halten.

Nachdem unter den Jubelrufen der Legionäre auch der letzte Häuptling sein Zeichen unter den Vertrag gesetzt hatte, riefen die Trompeten zum Antreten. Es dauerte einige Zeit, bis der Befehl ausgeführt war, dann kam das Kommando: „Ruhe!“

Sofort verstummte das Gerede und eine erwartungsvolle Stille senkte sich über den Platz. Ein Fetialpriester trat vor und hielt die Zeremonie ab. Dabei sprach er Beschwörungen in uraltem Latein und reckte schließlich einen Speer mit beiden Händen zum Himmel.

Drusus stand auf und trat an den Rand des Podiums: „Milites. Dieser Speer wurde vor einigen Wochen in Rom von den Fetialpriestern zuerst geweiht und dann in einer uralten, heiligen Zeremonie im Tempel der Bellona auf Feindesland geschleudert. Der Speer hat den Weg von Rom bis hierher gemacht, und der Krieg wurde zu einem ruhmreichen Ende gebracht.“

Die Legionäre jubelten.

Drusus wartete, bis sich der Lärm gelegt hatte. „Milites. Ihr habt einen Feldzug mit großer Tapferkeit und Ausdauer geführt. Die Feinde Roms, die seit Jahren unsere Nordprovinz bedroht haben, habt ihr bezwungen und tributpflichtig gemacht. Und …“ Er machte eine bedeutsame Pause. „Voller Stolz und Freude erzähle ich euch, dass das Geschlecht der Claudier wächst und gedeiht. Mein Bruder Tiberius ist stolzer Vater eines Sohnes geworden, und meine Frau hat unseren ersten Sohn zur Welt gebracht.“ Die Soldaten jubelten ihren Feldherren zu. „Zu Ehren dieses besonderen Ereignisses werden heute die Legionen einige Fässer Wein von uns bekommen!“ Der Jubel wurde noch lauter. „Auf euch warten jetzt neue Aufgaben, aber bevor wir auseinandergehen, sollen die Tapferen unter euch geehrt werden.“

Er wandte sich um und winkte den Primipili zu. Der Primipilus der Gallica trat vor und begann eine Liste mit Namen aufzurufen, zuerst gewöhnliche Soldaten, dann die principales und zuletzt die Centurionen, die mit dem Armreif für Tapferkeit ausgezeichnet wurden. Die Aufgerufenen versammelten sich auf dem Forum und erhielten von ihrem jeweiligen Legaten die Auszeichnungen.

Danach trat Marcus Canidius vor und die gleiche Zeremonie begann von Neuem. Bei jedem Namen stießen die Legionäre laute Beifallsrufe aus.

Lucius glaubte sich verhört zu haben, als sein Name fiel. Er brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, dass auch er unter den geehrten Soldaten war.

„Lucius Justinius Marcellus, zweite Centurie der Hastaten in der 8. Kohorte.“

Er ging wie ein Schlafwandler nach vorn und es war wie ein Traum, als man ihm den Armreif überreichte. Einen silbernen Armreif, verliehen für Tapferkeit. Er wandelte auf seinen Platz zurück, immer noch mit dem Gefühl, gleich mit einem lauten Knall wach zu werden.

Es folgte die Ehrung der Rapax und der Gemina. Lucius war benommen. Sein erster Feldzug, seine erste Auszeichnung. Er hatte es allen gezeigt. In dem ganzen Theater der altgedienten Centurionen um Erfahrung und Tapferkeit steckte doch ein großer Teil Heuchelei. Dieser Feldzug war erfolgreich verlaufen, aber er stand nicht für die Tapferkeit und den Mut seiner Teilnehmer. Er war vielmehr hauptsächlich durch Marschieren und die Einhaltung eines Zeitplanes gewonnen worden. Entscheidend für diesen Feldzug waren der hohe Ausbildungsstand der Soldaten, die Organisation der Legion und die exakte Planung.

Dies waren Dinge, für die man keine zwanzig Jahre Diensterfahrung brauchte. Wenn er sich anstrengte und weiterhin sein Bestes gab, käme er auch vorwärts. Er hatte in diesem Jahr bewiesen, dass er den Aufgaben eines Centurios gewachsen war.

Als sich jedoch abends die anderen Centurionen trafen, um den Abschluss des Feldzuges zu feiern, erging an Lucius keine Einladung. Sie begegneten ihm zwar nicht mehr mit offener Feindseligkeit, aber doch mit betonter Gleichgültigkeit. Ein Feldzug und eine Tapferkeitsauszeichnung, was war das schon? Da hatte er eben Glück gehabt.

Auch im Feldherrenzelt wurde gefeiert und die Tribune erzählten sich gegenseitig von ihren Abenteuern und Gefechten. Drusus horchte auf, als Tiberius von seinem Besuch bei den Latobrigen, die auf den Höhen des Abnoba lebten, berichtete.

„Wir haben leider nicht so viel Getreide bekommen, wie wir gehofft hatten, da sie sehr unter den Überfällen der Germanen leiden!“

Drusus’ Augen leuchteten auf. „Das wäre doch ein guter Abschluss eines erfolgreichen Jahres: ein Sieg über die Germanen!“

„Ruhig Blut, Bruder!“, sagte Tiberius beschwichtigend. „Gegen die Germanen ziehen wir noch früh genug!“

„Ja, aber im Norden. Nein, jetzt ist eine gute Gelegenheit, ihnen auf die Finger zu klopfen. Wir haben vier Legionen hier und noch mindestens sechs Wochen, pah, acht Wochen, die wir für den Feldzug nutzen können!“

„Da ist etwas Wahres dran, Tiberius!“, warf Varus ein. „Ein kleiner Vergeltungszug kann nicht schaden!“