Lucius musste seine Einheit irgendwie zusammenhalten, sonst würden sie schwere Verluste hinnehmen müssen.
„Testudo bilden, los, testudo bilden!“, befahl er.
Das Hornsignal erklang und Lucius’ Männer rissen ihre Schilde über den Kopf. Keinen Augenblick zu früh, schon ritten die Germanen links und rechts an der Centurie vorbei und deckten sie mit einem Speerhagel ein. Allerdings vergeblich, denn die testudo bildete einen sicheren Schutz für die Legionäre.
Lucius hörte das Prasseln auf dem Schilddach. Die Germanen ritten hinter ihnen entlang und ließen wieder einen Speerhagel niedergehen. Erneut gab es keine Verluste.
Dafür gerieten nun die Germanen unter Beschuss. Hilarius hatte seine Centurie vorrücken lassen und bedrängte die germanischen Reiter. Die Lage veränderte sich mit einem Male: Auch die gallischen Reiter hatten ihre Richtung geändert und bedrohten die Germanen in ihrer Flanke. Dadurch drohten diese eingekreist zu werden. Sie reagierten sofort und wendeten ihre kleinen, struppigen Pferde. Nach einem letzten Speerhagel auf Lucius’ Männer jagten sie den Hang wieder hinauf. Oben vereinigten sie sich mit den restlichen Germanenkriegern, die von der Verfolgung der gallischen Reiter zurückkehrten. Wieder stießen sie ihr lautes und wildes Kriegsgeschrei aus, dazu schwenkten sie ihre Speere und trommelten damit auf ihre Schilde.
Das alles wirkte so unwirklich und bedrohlich, dass Lucius froh war, Hilarius’ Männer wieder an seiner Seite zu haben. Ahenobarbus erwartete sie mit den Allobrogern auf dem Hügelkamm.
„Gut gemacht, Centurio Marcellus. Du hast schnell und mutig reagiert. Wir sollten uns aber schleunigst zur Legion zurückziehen. Ich habe nicht die Absicht, in der Dunkelheit ohne Lager hier draußen zu übernachten. Marcellus, du übernimmst mit deinen Männern die Nachhut! Ambiorix und drei Contubernia der Allobroger und Flaccus mit zwei Turmae Reiter unterstützen ihn! Die restlichen Allobroger bilden die Spitze! Die anderen Reiter erkunden die Umgebung! Hilarius, du übernimmst die Mitte! Und jetzt los!“
Lucius sah zum gegenüberliegenden Hügel und musste feststellen, dass die Germanen sich nicht zurückgezogen hatten, sondern immer noch in ihrer Position ausharrten. Ja, ihre Anzahl hatte sich sogar noch vergrößert: Lucius schätzte, dass sich mittlerweile etwa zwei Centurienstärken der germanischen Krieger auf dem Hügel befanden, vielleicht auch zweieinhalb, das war durch den Nieselregen schwer abzuschätzen.
Ambiorix kam auf Lucius zu. „Centurio, sie machen sich zu einem neuen Angriff bereit!“
Lucius starrte zu dem Hügel, bis ihm die Augen tränten, aber er konnte nichts erkennen, was auf einen Angriff hindeutete.
„Bist du sicher?“, fragte er unruhig.
„Natürlich!“, sagte Ambiorix erstaunt. „Sie warten ab, bis wir im Marsch sind!“
„Wie reagieren wir darauf?“, fragte Lucius unsicher und gab sich selbst die Antwort: „Mit einem Viereck!“ Lucius war stolz auf seinen Geistesblitz. „Lass die Männer antreten!“
Die Männer folgten unverzüglich den Hornsignalen und stellten sich auf. Unterdessen setzten sich die Germanen aufreizend langsam in Bewegung.
Lucius informierte hastig seine Männer: „Die Germanen werden uns angreifen, wenn wir auf dem Marsch sind. Ihr müsst prompt und schnell auf alle Kommandos reagieren! Fürchtet euch nicht vor ihrem Geschrei! Wenn sie uns angreifen, bilden wir ein Viereck, damit wir uns nach allen Seiten verteidigen können!“
Flaccus kam auf ihn zu. „Welche Befehle hast du für mich?“, fragte er ironisch.
Lucius stutzte. Er wusste gar nicht, wer von ihnen der Ranghöhere war. Der Centurio einer Legionscenturie stand über dem einer Hilfstruppe, aber Flaccus war Präfekt und nicht Decurio, damit war er eigentlich ranghöher.
„Ich habe nicht vor, dir Befehle zu erteilen, aber ich muss trotzdem meine Männer vorbereiten!“ Flaccus hob beschwichtigend die Hand: „Sollte ein Scherz sein! Aber trotzdem, meine drei Schwadronen können die Germanen nicht aufhalten, sie können euch nur etwas Zeit für die Aufstellung verschaffen. Aber was dann?“
„Wir werden ein Viereck bilden!“, erklärte Lucius. „Am besten nehmen wir die Pferde in die Mitte!“
Flaccus schüttelte den Kopf. „Keine gute Idee. Bei einem großen Viereck wäre es sinnvoll, aber bei so einem kleinen? Jeder Speer, der deine Männer verfehlt, trifft unsere Pferde. Das wird sie in Panik und Raserei versetzen! Ich glaube nicht, dass ihr das in eurem Rücken gebrauchen könnt!“ Das hatte Lucius nicht bedacht. Aber Flaccus fuhr bereits fort: „Wir werden zunächst zwischen euch und den Germanen bleiben. Wenn ihr euch aufgestellt habt, ziehen wir uns zurück und bilden die Rückseite des Vierecks.“
Sie brachen auf. Die Germanen begleiteten sie eine Weile. Plötzlich schwenkten sie ein und ritten direkt auf die Legionäre zu. Hastig erteilte Lucius seine Befehle und seine Männer stellten sich auf. Die Germanen überschütteten sie mit Hohngeschrei, blieben aber außer Reichweite.
„Die ersten vier Reihen fertig machen, die letzten vier kehrt Marsch! Ausrichtung nach hinten!“
Die Germanen hatten plötzlich ihre Pferde angetrieben. Ein unruhiges Gemurmel ertönte unter den Legionären. Wer drehte einem angreifenden Feind schon gern den Rücken zu?
Hastig erteilte Lucius seine Befehle. „Los, Beeilung, zwanzig Schritte vor und neue Stellung einnehmen! ACHTUNG! Speere bereit! Mittite!“, brüllte er den Männern zu.
Ein Speerhagel schlug den Germanen entgegen. Diese teilten sich und ritten links und rechts um die Stellung herum. An den Flügeln entstand Unruhe. Die Rückwärtsbewegungen waren noch in vollem Gange und der Angriff vollzog sich schneller als erwartet. Die Germanen drohten, sie zu umfassen und ihnen in den Rücken zu fallen.
Lucius schrie die Befehle heraus. Die Männer rissen ihre Schilde hoch, um den Speerhagel abzufangen. Schmerzens- und Schreckensschreie ertönten unter dem ohrenbetäubenden Geschrei der Germanen. Und zum ersten Mal hörte Lucius die schrecklichen Todesschreie der Pferde, die sich in das furchtbare Getöse mischten.
Lucius’ Stimme überschlug sich, als er versuchte, sich über den beinahe unerträglichen Lärm hinweg bemerkbar zu machen. Die Schreie der Germanen brachten ihn an den Rand der Panik. Er wollte nur noch, dass es aufhörte, dass sie das Gebrüll endlich einstellten.
Und dann war es plötzlich vorbei. Die Germanen hatten einmal die Stellung umritten, ihre Speere geworfen und sich dann wieder zurückgezogen. Lucius sah sich aufatmend um. Er erwartete, überall Tote und Verwundete zu sehen, aber überraschenderweise gab es kaum nennenswerte Verluste.
Ambiorix klärte ihn auf: „Die sind nicht so verrückt, Fußsoldaten frontal anzugreifen. Deshalb haben sie versucht, in unseren Rücken zu kommen, was ihnen nicht gelang. Unsere Flügel sind zwar in Unordnung geraten, aber sie haben es nicht gewagt, eine massive Reiterattacke auszuführen.“
Lucius sah sich die Stellung seiner Leute an. Na ja, ein Quadrat sah anders aus. Es war eher eine Ellipse, aber es hatte seinen Zweck erfüllt.
Jetzt rückte Hilarius’ Centurie wieder näher und die Germanen zogen sich noch weiter zurück. Ahenobarbus wurde ungeduldig. „Wir können nicht jedes Mal kehrtmachen. So können die Germanen uns bis in die Dämmerung aufhalten und uns dann im Dunkeln überfallen! Marcellus, du musst alleine mit ihnen fertig werden! Decke unseren Rückzug und warne uns, wenn sie attackieren! Falls sie die Spitze angreifen, rückst du vor, aber Hilarius, du hältst nur an und marschierst nicht zurück, wenn sie Marcellus attackieren! Das übernehmen die Allobroger!“ Ahenobarbus’ Stimme überschlug sich fast. Hilarius und Lucius wechselten besorgte Blicke.
Sie brachen auf, nachdem sie ihre Pila wieder eingesammelt hatten. Lucius’ Männer begannen zu stöhnen. Nicht nur der Kampf mit den Germanen und der Gewaltmarsch setzte ihnen zu, sondern auch der andauernde Nieselregen. Die Schilde sogen sich voll Wasser und wurden immer schwerer.