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Noch drei Mal ritten die Germanen im Laufe des Nachmittags zur Attacke, noch drei Mal formierte sich die Nachhut zum Viereck, jedes Mal schneller und sicherer.

Aber etwas anderes machte Lucius Sorge: Den Allobrogern gingen nach und nach die brauchbaren Wurfspeere aus. Sie hatten ihre Speere nicht jedes Mal wieder aufsammeln können und Lucius hatte den Legionären das Werfen der Pila untersagt, da sie diese brauchten, um die Reiter auf Distanz zu halten. Die Centurie marschierte immer weiter, doch die Germanen konnten nach jeder Attacke absitzen und seelenruhig ihre Speere wieder einsammeln, bevor sie erneut angriffen. Dadurch waren sie, je länger der Marsch dauerte, umso mehr im Vorteil. Die Verluste waren bis jetzt gering, sechs Tote: ein Legionär, drei Allobroger und zwei Reiter. Aber das würde sich ändern, sobald es den Germanen gelang, die Formation aufzubrechen.

Die Lage wurde immer ernster. Der Sonnenuntergang stand kurz bevor und Lucius hatte im Augenblick keine Ahnung, wo genau die Legionen standen. Im Dunkeln umherzuirren und mit den Germanen im Nacken das Lager zu suchen, das war alles andere als verlockend.

Da erschallten plötzlich römische Trompetensignale in ihrem Rücken. Es wurde zur Kavallerie-Attacke geblasen. Lucius fuhr herum. Eine halbe Ala Reiter brauste mit lautem Geschrei auf sie zu. Lucius starrte sie an wie eine Erscheinung. Er sah sie vorüberziehen wie eine Schattenarmee aus dem Orcus. Es waren aber keineswegs Schatten.

Dies sahen auch die Germanen. Sie rissen ihre zotteligen Gäule herum und flohen. Die Reitertruppe jagte sie Richtung Sonnenuntergang.

Ein einzelner Reiter hielt auf sie zu. Er grüßte Ahenobarbus.

„Unsere Kundschafter haben Spuren der Germanen gesehen. Tribun Quirinius hat den Rest der Ala ausgeschickt, um euch zu suchen und zu unterstützen. Das Lager liegt in dieser Richtung. Folgt mir, ich soll euch führen!“, erklärte er.

Sie folgten ihm, froh, dass sie bald im Lager sein würden. Die Reiter hatten die Verfolgung der Germanen inzwischen abgebrochen und kehrten zu ihnen zurück.

Drusus geriet ganz außer sich, als er von dem Scharmützel hörte. Er ließ am nächsten Tag sofort das Lager abbrechen und folgte den Spuren der fliehenden Germanen im Eilmarsch.

Lucius ging beschwingt an der Spitze seiner Männer. Das Scharmützel mit den Germanen war gut ausgegangen. Er selbst hatte kühlen Kopf bewahrt und ohne zu zögern die richtigen Befehle gegeben. Ahenobarbus hatte ihn gegenüber Varus lobend erwähnt.

Noch vor zwei Monaten hatte er bereits beim Gedanken an einen Feind schweißnasse Hände bekommen – und jetzt war er ruhig wie ein Veteran gewesen.

Drusus stand auf dem Podium und hielt eine Ansprache an die versammelten Legionäre.

„Milites. Wer von euch hat nicht schon von den Niederlagen bei Noreia und Arausio gehört? Wer von euch hat noch nicht von dem Schrecken des furor teutonicus gehört? Viele Jahre lang sind die Teutonen in das Imperium eingefallen oder haben unsere Freunde und Verbündeten angegriffen. Angst und Schrecken haben sie verbreitet. Sie haben geraubt, geplündert und vergewaltigt. Erst ein großer Römer, Gaius Marius, der Onkel des göttlichen Julius, konnte ihrem Schreckensregiment ein Ende setzen. Wer von uns hat in der Schule nicht von den glänzenden Siegen bei Aquae Sextiae und Vercellae gehört? Das habt ihr doch, oder?“

Lauter Jubel erscholl. Die Männer trommelten mit ihren Pila gegen die Schilde. Nur langsam kehrte wieder Ruhe ein, so dass Drusus fortfahren konnte:

„Ihr werdet euch jetzt fragen, warum ich euch das erzähle. Die Teutonen wurden vor unserer Zeit vernichtet. In der Zeit unserer Großväter und Urgroßväter. Das ist lange her. Nicht wahr?“

Er machte eine Pause und ließ seinen Blick über die Versammlung schweifen. Dann rief er aus:

„Nein! Es gibt sie immer noch, die Teutonen. Hier in den Wäldern des Abnoba siedeln sie. Sie warten darauf, wieder groß und stark zu werden, um erneut in das Imperium einzufallen und Rom zu vernichten. Sie haben bereits die Sueben aufgehetzt, in Gallien einzufallen, wo sie vom großen Caesar zurückgeschlagen wurden. Und erst vor wenigen Tagen haben sie die Nachhut der Augusta überfallen. Aber ihre Zeit ist um, jetzt kommt die Rache Roms über sie!“

Ein Beifallssturm brandete auf.

„Drusus! Drusus! Drusus!“ Immer wieder skandierten die Legionäre den Namen ihres Feldherrn. Dieser nahm den Jubel mit erhobenen Armen entgegen. Dann donnerte er plötzlich los:

„Rottet sie aus! Vernichtet ihren Samen und Spross! Tötet und versklavt sie, auf dass nie wieder ein Teutone es wage, einen Römer auch nur schief anzusehen!“

Ein waldreiches Gebiet erwartete sie und damit stiegen wieder die Anforderungen an die Hilfstruppen. Diesmal wurden die Belgen besonders für Vorhut und Flankenschutz eingesetzt, da ihnen diese Art von Wäldern aus ihrer Heimat vertraut war.

Die Germanen lebten nicht in Städten, wie es die Kelten taten, sondern verstreut auf Höfen oder in kleinen Siedlungen. Es gab also nicht die Möglichkeit, sie durch gezielte Angriffe auf feste Orte zum Kampf zu zwingen. Das machte das Vorgehen gegen sie schwierig, da die römische Legion so nicht ihre besonderen Stärken ausspielen konnte.

Die Legionäre konnten nur das dünnbesiedelte Gebiet durchstreifen, die Höfe, die sie fanden, niederbrennen und darauf warten, dass sich die Germanen zum Kampf stellten.

Dann war es so weit. Durch das Lager liefen die wildesten Gerüchte. Eine Schlacht mit den Germanen stand unmittelbar bevor. Man hatte einem Stamm auf dem Rückzug den Weg versperrt und die Germanen konnten der Schlacht nicht länger ausweichen.

Die Römer bauten ihr Lager auf, in dem sie vor der Schlacht übernachten würden und in das sie sich notfalls zurückziehen konnten. Die Germanen errichteten aus Karren und Wagen eine Barrikade als letzte Verteidigungsstellung, an der sie die Frauen und Kinder zurückließen.

Die Hilfstruppen, vor allem die Belgen, wurden als Unterstützung der Reiterei eingesetzt, denn die Alen der Reiter setzten sich fast nur aus Galliern zusammen, die schon oft gegen die Germanen den Kürzeren gezogen hatten. Die Allobroger und Helveter standen bereit, um bei einem Rückzug der Germanen schnell die Verfolgung aufnehmen zu können.

Am Morgen marschierten auf beiden Seiten die Armeen auf. Voller Staunen sahen die Römer zu, wie sich die Teutonen zu acht Kolonnen formierten, von denen jede etwa doppelte Kohortenstärke hatte.

Auch für Lucius, der bisher nur die Reihenformation der Legion kannte, war dies ein ungewohnter Anblick. Die 8. Kohorte der Augusta stand als Reserve in der zweiten Reihe, nachdem die Römer Aufstellung genommen und alle Lücken geschlossen hatten.

In Lucius’ Ohren dröhnten das Geschrei und Gebrüll der Germanen und das wilde Trommeln ihrer Speere, die auf die Schilde schlugen. Er versuchte seine Hände an der Tunica zu trocknen und trank rasch einen Schluck Wasser, um seine Kehle zu befeuchten.

Der Himmel war bewölkt und trübe, die Luft war kalt. Lucius hatte einiges über die Germanen gelesen. Von den Geschichtsschreibern wusste er, dass sie nicht gern bei warmem Wetter kämpften. Dieses trübe Wetter war optimal für sie. Wenigstens regnete es zur Abwechslung mal nicht.

Das Geschrei der Germanen schwoll an, und dann stürzten sie sich trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit auf die römischen Linien. Unruhiges Gemurmel erhob sich in Lucius’ Centurie, als die Legionäre sahen, mit welcher Geschwindigkeit sich die Germanen näherten.

„Ruhe!“, bellte Lucius und die Männer verstummten.

Die ersten Pila wurden geschleudert, aber die Germanen waren so schnell, dass für eine vollständige Pilumsalve keine Zeit blieb. Lucius hörte die anderen Centurionen Befehle schreien.

Die Centurien schlossen ihre Reihen und zogen die Schwerter. Jetzt fegten die Germanen mit dumpfem Gebrüll heran und warfen sich auf die Römer. Lucius konnte erkennen, wie die erste Reihe der 3. Kohorte überrannt wurde, und für einen Moment erstarrte er vor Schreck.