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Da, jetzt war es so weit! Die Germanen konnten dem Druck der Legionäre nicht mehr standhalten, die Reihen brachen auf und die Feinde flohen. Ein Teil floh zurück zur Barrikade, die anderen versuchten, von der Anhöhe herunter zu flüchten. Die Legionäre stürmten vorwärts auf die Barrikade zu, über die sich ein Teil der Männer gerettet hatte.

Die Frauen schleuderten den Römern nun von der Barrikade herab Felsbrocken entgegen.

Der Optio der ersten Centurie stürmte an der Spitze seiner Männer vorwärts, als er getroffen wurde. Er hatte seinen Schild gerade noch hochgerissen, aber die Wucht des Aufpralls schleuderte ihn nach hinten. Wie Hilarius blieb auch er besinnungslos liegen. Die Männer hielten entsetzt inne. Sie starrten voller Grauen auf ihren gefallenen Anführer und auf das, was ihn getroffen hatte.

Drusus war nervös. Unablässig öffnete und schloss er seine Hand. Dies war der Höhepunkt des Feldzuges. Alle Kämpfe in den Bergen und auch die Schlacht am Fuße der Alpen waren wie eine große Übung gewesen. Eine Übung mit scharfen Waffen, aber nichts weiter als eine Übung. Die Raeter und Vindelicer hatten keine Chance gehabt gegen die entfesselte römische Kriegsmaschine. Ein Kampf gegen die Germanen war etwas völlig anderes. Die Schlacht stand nicht gut. Am Vormittag hatten sie die Germanen zurückgeschlagen, einigen Einheiten war es sogar gelungen, die Germanen zu umgehen und ihnen den Rückweg abzuschneiden, aber jetzt war der römische Angriff festgefahren. Das Zentrum kam nicht voran, der rechte Flügel hatte sich zurückziehen müssen, und nun schienen auch auf dem linken Flügel die Legionäre zurückzuweichen. Er musste etwas unternehmen.

„Prätorianer, mir nach!“, rief Drusus und führte seine Wache auf den rechten Flügel.

Lucius erwartete, dass der Signifer, der nun der Ranghöchste in der ersten Centurie war, das Kommando übernehmen würde, aber auch der stand wie versteinert da und starrte auf seinen Optio, der am Boden lag. Es sah aus, als wäre der Signifer vor Angst wie gelähmt. Welch eine absurde Idee! Zum Signifer wurden nur die Tapfersten der Tapferen ernannt.

Lucius sah sich um, auch der Vorstoß des zweiten Manipels war ins Stocken geraten. Die Germanen fassten Mut und begannen die Römer erneut mit Steinen und Speeren zu bewerfen.

Die Männer wichen zurück. Wenn jetzt nichts geschah, würden sie die Flucht ergreifen. Lucius schrie die Männer seines Manipels an.

„Vorwärts, Hastaten!“, brüllte er und lief nach vorn. Hier riss er einen Legionär mit, dort schlug er einen anderen mit der Breitseite seines Schwertes in den Rücken, um ihn anzutreiben. Er riss Ripanus, der dem Feind bereits den Rücken zugekehrt hatte, herum und schrie ihn an: „Du trägst die torquis der Tapferkeit, also vorwärts!“

Langsam lösten sich die Männer aus ihrer Erstarrung und rückten wieder vor, aber allen war ein namenloses Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Lucius drängte sich näher an den Signifer heran.

„Vorwärts, da ist der Feind! Drauf!“, rief er und winkte den hinter ihm stehenden Männern zu, ihm zu folgen.

Plötzlich hörte er einen klagenden Laut, der aus der Luft über ihm zu kommen schien. Er sah nach oben. Etwas flog auf ihn zu. Blitzschnell warf er sich zu Seite und rief dem hinter ihm stehenden Legionär eine Warnung zu. Aber der reagierte nicht, sondern starrte mit Bestürzung im Gesicht dem Geschoss entgegen. Er wurde am Kopf getroffen und fiel zu Boden. Lucius richtete sich wieder auf, um nach ihm zu sehen. Sein Blick wanderte von dem Legionär, dessen unnatürlich verdrehter Kopf auf einen gebrochenen Hals hinwies, zu dem Wurfgeschoss. Da lag mit zerschmettertem Kopf ein wenige Monate alter Säugling. Grauen packte Lucius. Er riss den Blick von dem toten Säugling los und sah voller Abscheu zur Barrikade hinauf: Die Frauen standen hoch oben und hielten ihre Kinder und Säuglinge erhoben. Hass stieg in Lucius auf, Hass und Wut. Er schrie auf, brüllte die Legionäre an, die immer noch vor Angst gelähmt schienen. Er rannte zu Mallius, der wie erstarrt voller Entsetzen auf die toten Säuglinge vor seinen Füßen blickte.

Lucius warf seinen Schild weg und entriss dem Signifer die Standarte.

„Springt, Kameraden, wenn ihr das Signum nicht diesen kinderfressenden Barbaren ausliefern wollt!“, brüllte er und rannte mit der Standarte in der Linken und dem Schwert in der Rechten den Hang hinauf. Zwei Mal noch wich er den grauenhaften Wurfgeschossen der Germanen aus. Er verschloss seine Ohren vor dem Jammern der Kinder, dem Kreischen der Frauen und dem Schreien der Männer. Etwas Scharfes traf ihn an der Schulter, aber er spürte nichts. Seine maßlose Wut trieb ihn vorwärts. Sein Blick war auf eine rothaarige Frau gerichtet, die auf der Barrikade stand, ihr Kind an den Beinen gepackt hatte und ihn so erwartete. Ihr Mund schrie etwas, aber er sah nur ihre flackernden Augen, in denen der Wahnsinn loderte.

Als er die Barrikade erreichte, hob sie das Kind hoch. Blitzschnell stieß er ihr die Standarte ins Gesicht. Sie fiel rücklings vom Karren. Plötzlich kehrte seine Wahrnehmung zurück. Das Getöse und Geschrei um ihn herum hatte nicht nachgelassen. Er sprang auf den Karren und von dort in das Lager der Teutonen. Sofort sah er sich von mehreren Männern angegriffen. Einen Stoß mit dem Speer blockte er mit der Standarte ab. Ein Angreifer schlug mit der Axt nach ihm, er wich aus und stieß ihn mit dem Schwert nieder, als er einen heftigen Schlag in die Seite bekam, der ihn fast umwarf. Er ließ die Standarte herumwirbeln und streckte so einen Angreifer nieder. Etwas schrammte seinen Arm und er ließ mit einem Schmerzensschrei sein Schwert fallen. Er fasste die Standarte mit beiden Händen und sah zwei Germanen mit stoßbereitem Speer näher kommen. Der eine riss den Mund auf, als wollte er schreien, aber es kam nur Blut, der Kopf des anderen flog plötzlich von einem Schwerthieb abgeschlagen durch die Luft. Eine Welle von Legionären stürmte über die Barrikade ins Lager.

Lucius stützte sich auf die Standarte, ihm war auf einmal schwindelig. Sein Arm, seine Schulter, sein Rücken und seine Seite, alles schmerzte. Plötzlich stand Mallius neben ihm, reichte ihm seinen Schild und riss die Standarte wieder an sich. Er warf ihm noch einen bewundernden Blick zu, ehe er den Männern folgte. Lucius sah den Männern nach, dann drehte er sich um und erbrach sich. Danach verlor er das Bewusstsein.

Der Arzt, der ihn versorgte, wollte etwas sagen, aber seine Worte waren unter Lucius’ finsterem Gesichtsausdruck zu einem unverständlichen Murmeln geworden. Lucius’ Blick wanderte über das Lager oder vielmehr über das, was davon noch übrig war. Nachdem die Römer wieder Herr über das grauenvolle Entsetzen geworden waren, das sie gelähmt hatte, hatten sich die Legionäre voller Hass und Zorn in einen Blutrausch gesteigert und die wenigen Teutonen, die noch lebten, brutal niedergemetzelt. Viele waren bereits tot gewesen. Die teutonischen Frauen hatten zuvor nicht nur ihre Kinder getötet, sondern auch die fliehenden Männer erschlagen, bevor sie sich selbst umbrachten, um den Römern nicht in die Hände zu fallen.

Vitellius blieb stehen und sah auf Lucius herunter.

„Schwere Verletzungen?“

Der Arzt schüttelte den Kopf: „Ein Pfeil hat die Schulter getroffen, das ist die schwerste Wunde. Eine tiefe Schnittwunde am Arm, tut weh, ist aber kein Problem; eine Quetschung an der Seite, wo ihn ein Schwert getroffen hat. Es hat das Kettenhemd nicht durchschlagen, ist nicht schlimm, aber auch schmerzhaft.“