Kommt überhaupt nicht in Frage, wollte Lucius ihn anfahren, aber der andere ergriff schon wieder das Wort.
„Wir wissen, dass diese Bitte für dich eine Zumutung ist!“
Wohl wahr, dachte Lucius.
„Und würden dich daher für deine Mühen auch entschädigen!“ Er hielt ihm einen Beutel hin.
Hm, eine Bestechung. Warum eigentlich nicht? Das gehörte immerhin zu den angenehmen Seiten des Daseins als Centurio, an denen er bisher kaum hatte partizipieren können.
Er unterdrückte ein Lächeln und starrte in das unrasierte Gesicht des Legionärs, der auf Grund der langen Stille unsicher wurde. Gerade, als den Arm wieder sinken lassen wollte, nahm Lucius ihm den Beutel ab. Er warf einen gespielt gleichgültigen Blick hinein und brummte: „Na schön!“ Dann ließ er den Beutel in seiner Tunica verschwinden. Die Sesterzen konnte er gut gebrauchen. Bis zur nächsten Soldzahlung waren es noch ein paar Wochen, aber er musste seine neuen Tunicen bezahlen. Während des Feldzuges hatten einige seiner Kleider Schaden genommen und waren nun nicht mehr zu gebrauchen. Ende des Jahres würde neue Kleidung an die Legionäre ausgegeben werden, aber er wollte nicht auf so ein billiges Teil für 16 Sesterzen warten, sondern eine bessere Qualität haben. Er hatte in Basilia bereits mehrere Tunicen bestellt, doch allein die Anwesenheit der Armee hatte den Preis auf elf Denare für eine gute Tunica hochschnellen lassen.
Der September blieb heiß, und den ganzen Tag in der Sonne zu stehen war eine Strapaze. Lucius sah den Ingenieuren zu, die quälend langsam arbeiteten. Ihre Gehilfen rannten mit Stangen scheinbar ziellos einige Schritte nach links, dann wieder nach rechts. Jetzt hielt einer von ihnen seine Stange hoch und brüllte etwas. Der Mann an der Groma sah über den Balken und brüllte zurück. Endlich steckte der Gehilfe den Stab in den Boden. Er versuchte es zumindest, jedoch ohne Erfolg. Er winkte Lucius zu. Dieser stieß einen seiner Männer an, der sofort losrannte, an der bezeichneten Stelle den Boden aufhackte und ein wenig Wasser darauf schüttete. Dann erst konnte die Stange gesetzt werden. Danach ging das Theater für die nächste Himmelsrichtung von vorne los.
Jupiter, für eine Himmelsrichtung hatten sie eine halbe Stunde gebraucht, und es gab vier!
Bis sie fertig waren, würden alle in ihrem eigenen Schweiß ertrunken sein! Lucius seufzte.
Ein Wagen, der sich der Baustelle näherte, lenkte seine Aufmerksamkeit ab. Eine seltsame Prozession begleitete ihn. An seiner rechten Seite erkannte Lucius den Haruspex, den Eingeweideschauer. Dahinter liefen ein Fetialpriester und zwei Auguren. Sie alle waren gut an ihrer Kleidung zu erkennen. Überrascht bemerkte Lucius hinter dem Wagen auch die Priester der Staatsgottheiten Jupiter, Mars, Quirinius und des Divis Julius. Die Anwesenheit eines solchen Aufgebots heiliger Männer bedeutete, dass eine wichtige Zeremonie bevorstehen musste. Doch niemand hatte Lucius darüber informiert.
Er ging der Prozession entgegen. Die Priester erwiderten seinen Gruß unwillig – offensichtlich gefiel es ihnen auch nicht, bei dieser Hitze hier zu sein.
„Kann ich euch behilflich sein?“, fragte er.
Einer der Auguren nickte ungeduldig und wies ihn an: „Lass deine Männer unsere Zelte aufbauen! Heute Nacht werden die Omen für die Zukunft der colonia gedeutet!“
Lucius winkte eilig seine Legionäre herbei, damit sie den Priestern die Zelte aufbauten.
Die Ingenieure waren derweil mit ihrer Arbeit fortgefahren. Der Architekt, der die Arbeiten leitete, trat zu den Priestern und neigte zur Begrüßung sein Haupt.
„Dort drüben ist der locus gromae. Ihr könnt sofort damit beginnen, euren Altar zu errichten.“
Die Priester nickten und holten aus dem Wagen allerlei Gerätschaften hervor. Ihre Gehilfen begannen, in unmittelbarer Nähe des locus gromae Steine aufzuschichten.
Bis zur Dämmerung hatten die Ingenieure die beiden Hauptstraßen und das Forum endlich abgesteckt. Als es dunkelte, packten sie ihre Messinstrumente ein und machten sich auf den Rückweg, ohne sich von den Priestern zu verabschieden. Diese waren bereits in ihre Zeremonie vertieft. Der Jupiterpriester sagte gerade seine Gebete auf und die Arbeiter und Legionäre schlichen vorsichtig von ihm weg, um ihn nicht zu stören. Ein Fehler, eine Unterbrechung, und die ganze Zeremonie musste von vorne beginnen.
Die offizielle Weihezeremonie fand am nächsten Morgen statt. Die Legionen in Basilia traten an und marschierten zu der neu zu gründenden Stadt. Sie standen um den Platz herum, der später das Forum sein würde.
Die Feldherren Piso, Tiberius und Drusus standen bei den Priestern.
Die Auguren verkündeten ihnen, dass die Zeichen in der Nacht günstig gewesen waren.
Dann wurden auf dem Altar ein Hase und ein Fasan ausgenommen. Der Haruspex sah sich die Lebern der Tiere gründlich an. Er drehte, wendete und befühlte sie sorgfältig. Endlich nickte er dem Jupiterpriester zu.
Dieser trat vor und sprach: „Höre, Janus, höre, Jupiter, höret, Mars und Quirinius!
Vernimm mich, oh Donnerer, der du die Dächer der weiten Stadt vom Tarpeafelsen überblickst! Vernehmet mich, oh troische Hausgötter des Juliergeschlechts! Vernimm mich, geheimnisvoller, entrückter Quirinus, fortgetragen zum Himmel! Gott Jupiter, auf der Thronkuppe von Alba! Herdfeuer der Vesta! Vernimm mich, Roma, als die höchste Gottheit! Seid unserem Beginnen gnädig! Ihr habt unser Opfer angenommen, ihr habt uns günstige Zeichen geschickt. So wird der Imperator Caesar Augustus, Sohn des vergöttlichten Julius, hier nun eine colonia errichten, einen Ableger der ewigen und heiligen Stadt Rom. Lasst euren Segen über diese Stadt und ihre Einwohner kommen! Diese colonia soll künftig unter dem Namen Augusta Raurica bekannt werden!“
Die Legionäre brachen in Jubel und Hochrufe aus. Die Priester führten eine weiße Kuh und einen Stier herbei, die vor einen Pflug gespannt waren. Damit zogen sie die Grenze um die Stadt, wie es einst Romulus getan hatte. Dort, wo die Tore stehen sollten, wurde der Pflug angehoben.
Nach dieser zeremoniellen Weihe der Stadt, die nun offiziell Augusta Raurica genannt wurde, kehrten die Legionen nach Basilia zurück.
Für die Ingenieure begann jetzt die Hauptarbeit: Straßen und Häuser mussten geplant werden. Lucius fand diese Arbeit noch langweiliger als die Vermessungen, die zuvor stattgefunden hatten. Immer wieder wurden imaginäre Punkte anvisiert, Linien auf Pergamente gezeichnet und aufgeregt über die Planungen debattiert. Es ging nur langsam voran. Quälend langsam.
Lucius gähnte herzhaft und zuckte erschrocken zusammen, als der Chefarchitekt ihn entrüstet anfuhr: „Eine Stadt zu planen und zu bauen ist viel besser, als zehn zu zerstören. Zerstören kann jeder, aber aufbauen ist eine Kunst! Doch das werdet ihr Soldaten nie verstehen. Ihr zerstört lieber!“ Der Architekt machte eine Pause und fuhr dann fort: „Als Alexander der Große Indien erreichte, weinte er, weil es nichts mehr zu erobern gab. Augustus fand diese Einstellung töricht und fragte, warum Alexander die Kunst des Eroberns über die, das Eroberte zu regieren, stellte!“
Das war mal eine ganz neue Geschichte, dachte Lucius entnervt. Wie alt war ich, als ich die das erste Mal gehört habe? Aber um den Architekten zu besänftigen, fragte er ihn nach dem künftigen Aussehen der Stadt.
Der Architekt entrollte einen Plan. „Hier am Rand des Abhangs wird die Curia sein“, erklärte er Lucius. „Hier wird das Forum liegen und gegenüber der Curia wird der Jupitertempel stehen. Dort hinten auf dem Hügel ein weiterer Tempel und gegenüber ein Theater.“
Die Augen des Architekten leuchteten vor Begeisterung. Für ihn hatten die Linien auf dem Pergament reale Bedeutung. Von seinem Plan aus erwuchs eine blühende Stadt in seiner Vorstellung. Er hielt Lucius die Skizze unter die Nase, der zunächst nur zusammenhanglose Linien erkennen konnte. Aber nach und nach erkannte auch Lucius ein System und bekam eine Ahnung davon, wie die Stadt aussehen würde.