Wolfgang Hohlbein
Die beste Frau der
Space Force
Science Fiction Roman
Bechtermünz Verlag
CHARITY
von Wolfgang Hohlbein
im Bechtermunz Verlagsprogramm
Die beste Frau der Space Force
Dunkel ist die Zukunft
Die Konigin der Rebellen
In den Ruinen von Paris
Die schlafende Armee
Hölle aus Feuer und Eis
Lizenzausgabe mit Genehmigung
der Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co. für Bechtermünz Verlag im
Weltbild Verlag GmbH, Augsburg 1997
© by Bastei-Verlag Gustav H. Lübbe GmbH & Co., Bergisch Gladbach
Umschlagmotiv: David Martin/Agentur Luserke, Stuttgart Umschlaggestaltung: Adolf Bachmann, Reischach Gesamtherstellung: Ebner Ulm
Printed in Germany
ISBN 3-86047-833-8
1. Kapitel - Gegenwart
12. Dezember 1998
Die Stadt unten im Tal brannte immer noch. Der Himmel im Norden - und nicht nur irgendwo im Norden, sondern überall! - glühte in einem tiefen, drohenden Rot, als wäre die ganze Welt dort wie ein Stück trockener Holzkohle aufgeflammt.
Vor ein paar Minuten hatte sie eine Stelle passiert, an der die Straße aufgerissen war. Drei tote Soldaten hatten den gewaltigen Krater flankiert, der in der Asphaltdecke gähnte und sich bereits mit Wasser füllte, und ein kleines Stück daneben hatte ein Panzer gestanden. Oder das, was davon übrig war: fünfundvierzig Tonnen Stahl, die ein Geschoss in ein ausgeglühtes Wrack verwandelt hatte.
Mit aller Kraft versuchte sie, den Wagen auf dem Weg zu halten.
Der Trans-Am schoss mit fast achtzig Meilen die Straße hinauf, und trotzdem hatte sie das Gefühl, nicht von der Stelle zu kommen. Als sie das letzte Mal hier gewesen war (großer Gott, war das wirklich erst drei Monate her?) hatte der Tachometer eine Entfernung von kaum sechs Meilen angezeigt, von der Stadt zum Berg. Aber heute schien die Straße einfach kein Ende zu nehmen. Und als wäre alles übrige noch nicht schlimm genug, hatte es wie aus Kübeln zu regnen begonnen. Wo der Asphalt nicht aufgerissen oder geschmolzen war, glänzte er wie eine Eisbahn und war auch fast genauso glatt.
Der Motor des Trans-Am heulte auf. Der Wagen machte einen Satz, begann zu schlingern und schlitterte durch die nächste Kurve. Es hatte nichts mit Können zu tun, dass sie ihn abfing. Es war nur Glück.
Dahinter lag der Berg. Charity atmete auf, schaltete zurück und beschleunigte wieder. Die Tachometernadel näherte sich der Hundert-Meilen-Marke, berührte sie für einen flüchtigen Moment und sackte wieder zurück, als Charity Gas wegnahm.
Sie kannte die Gegend hier wie ihre Westentasche, aber es war Nacht, die Straße war glatt und nass, und sie hatte keine Garantie, dass es hier wirklich noch so aussah, wie sie in Erinnerung hatte.
Ihre Vorsicht rettete ihr das Leben. Das Wachhäuschen neben der Einfahrt war verwaist, und das riesige Maschendrahttor stand offen, aber quer über der Straße dahinter lag ein ausgeglühter HeliCopter.
Charity fluchte, trat Bremse und Kupplung gleichzeitig und versuchte, den Wagen an dem Hindernis vorbeizusteuern.
Fast hätte sie es sogar geschafft.
Die flache Schnauze des Trans-Am schrammte am Wrack des Hubschraubers entlang. Etwas traf die Windschutzscheibe und verwandelte sie in ein Netz aus blinden Sprüngen, dann platzte ein Reifen. Charity schrie auf und klammerte sich mit aller Kraft am Lenkrad fest, während sich der Wagen in einen Kreisel verwandelte, mit furchtbarer Wucht gegen ein weiteres, unsichtbares Hindernis krachte und schließlich zum Stehen kam, in der gleichen Sekunde, in der sie ernsthaft damit rechnete, dass er einfach umkippen würde.
Der Motor erstarb mit einem Geräusch, das ihr sagte, dass er nie wieder anspringen würde, und plötzlich fiel die Windschutzscheibe einfach in sich zusammen und überschüttete sie mit einem Regen kleiner stumpfer Scherben. Der Wind peitschte eisiges Wasser in den Wagen. Irgendwo in der Nähe züngelten Flammen in den Regen hinaus.
Mit zitternden Händen tastete Charity nach dem Verschluss des Sicherheitsgurtes, löste ihn und beugte sich ganz automatisch vor, um den Zündschlüssel abzuziehen, ehe ihr die Sinnlosigkeit dieser Bewegung bewusst wurde und sie den Arm zurückzog. Statt des Zündschlüssels klaubte sie die Smith & Wesson aus dem Handschuhfach, ließ den Sicherungshebel herumschnappen und stieß mit der Schulter die Tür auf.
Sie hatte Glück gehabt, trotz allem. Der Bunker war nur noch ein paar Schritte entfernt, und sie schien - wider Erwarten - sogar noch im Zeitplan zu liegen: Das riesige Doppeltor war noch nicht ganz geschlossen. Der bleiche Lichtfinger einer Taschenlampe fiel aus dem schmalen Spalt zwischen den beiden hundert Tonnen schweren Stahlflügeln.
Doch seltsam - er bewegte sich nicht. Dabei war ihre Ankunft nun wirklich spektakulär genug gewesen, um bemerkt zu werden.
Einen Moment lang zögerte sie noch, denn der Wagen, obschon zerbeult und fahruntüchtig, war ihr einziger Schutz; alles, was zwischen ihr und dem war, in das sich die Welt im Laufe der letzten sechs Tage verwandelt hatte. Dann prallte irgend etwas gegen das Heck des Wagens; es hörte sich an wie ein Ball aus Leder und kleinen spitzen Stahlstacheln. Sie trieb sich zur Eile an und ließ sich aus dem Wagen fallen - mit einer perfekten Rolle, deren Schwung sie wieder auf die Beine kommen ließ, so rasch, dass sie einen hastigen Schritt machen musste, um nicht sofort wieder im Morast zu landen. Sie fuhr herum, drehte sich einmal im Kreis und begann auf den Spalt im Berg zuzulaufen. Die Bewegung war so schnell und fließend, dass sie sie kaum spürte. Ihr Tae-Kwon-Do-Lehrer wäre stolz auf sie gewesen.
Aber ihr Tae-Kwon-Do-Lehrer, dachte Charity, war so tot wie die meisten Menschen, und wenn sie nicht verdammt aufpasste, dann würde sie das auch bald sein.
Sie rannte los.
Sie wurde nicht angegriffen, aber die wenigen Schritte waren die längsten ihres Lebens. Irgendwo über ihr pflügte ein schwarzes Wesen durch den Himmel, und trotz des heftigen Regens war es stickig heiß; ihre Haut brannte, und in der Luft lag ein bitterer, so fremdartiger Geschmack, dass ihr fast übel davon wurde.
Völlig erschöpft erreichte sie das Tor, ließ sich gegen den feuchten Stahl sinken und sah sich aufmerksam um. Noch immer machte niemand Anstalten, sie anzugreifen, aber die Nacht war voller Bewegung und Unruhe. Es war, als wäre die Dunkelheit selbst zu entsetzlichem Leben erwacht, überall huschte, krabbelte und kroch es; in das Peitschen des Regens mischten sich sonderbar rasselnde Laute. Feuchtigkeit glänzte auf schwarzem Chitin und regenbogenfarbigen Insektenaugen.
Und die Taschenlampe, deren Strahl direkt neben ihr auf den morastigen Boden fiel, bewegte sich noch immer nicht. Charity nahm all ihren Mut zusammen, drehte sich blitzschnell herum und sprang mit einem Satz durch den schmalen Torspalt.
Die Bewegung rettete ihr das Leben.
Ein Ungeheuer mit vielen Beinen und riesigen Zähnen stürzte gegen das Tor, stieß einen ärgerlichen Pfiff aus und begann sonderbar langsam an dem spiegelglatten Panzerstahl herabzugleiten.