»Was soll das?« raunte Mike. »Musst du den armen Kerl so in Verlegenheit bringen?«
»Ja«, antwortete Charity, so laut, dass ihr Gegenüber die Worte garantiert mitbekam - er sollte es auch. »Schließlich hat er mir den Urlaub verdorben.«
»Der Befehl kam von ganz oben«, erwiderte der Lieutenant verlegen.
»Und wohin geht die Reise jetzt?« fragte Charity.
»Ins Pentagon«, antwortete der Lieutenant. »Und mehr«, fügte er hinzu, »darf ich Ihnen im Moment nicht sagen, Captain. Ich könnte es nicht einmal, wenn ich wollte.«
Charity unterdrückte ein Lächeln. Sie begriff, dass Mike recht hatte: Sie brachte den armen Burschen in Verlegenheit, und er konnte wahrscheinlich am allerwenigsten dafür. Man hatte ihm nur die undankbare Aufgabe zugeteilt, sie und Mike zu holen. Was war mit den anderen Mitgliedern ihrer Crew?
Auf ihre Frage erntete sie ein abermaliges Achselzucken. »Ich habe nur den Befehl, Sie und Lieutenant Wollthorpe abzuholen. Aber ich glaube ja - die ganze Crew.«
Charity war nicht sehr überrascht. Es hätte wenig Sinn ergeben, nur sie und Mike zurückzupfeifen - es gab nichts, was sie oder er allein und ohne die anderen erlebt hatten.
Sie lehnte sich im Sitz zurück, schloss die Augen und verschlief den Rest des Fluges. Sie erwachte erst wieder, als der Helijet auf dem Dach des Pentagons landete, wo sie von einer ganzen Abteilung bewaffneter, aber sehr schweigsamer Soldaten in Empfang genommen wurden. Ihrer und Mikes Ausweis wurden pedantisch überprüft. Erst dann gestattete man ihnen, sich zusammen mit den Wachsoldaten in einen winzigen Aufzug zu quetschen und das Allerheiligste zu betreten.
Die Fahrt nach unten dauerte sehr lange - entweder, der Aufzug war ein gutes Stück langsamer, als sie angenommen hatte, oder die Reise ging ein gutes Stück unter die Erde. Nach einer Ewigkeit hielt die kleine Kabine an, und Charity atmete erleichtert auf.
Sie sah sich mit unverhohlener Neugierde um, während Mike und sie den Soldaten durch die nur trüb beleuchteten Gänge folgten.
Nicht, dass es viel zu sehen gegeben hätte - die Wände waren fensterlos und kahl, in blassen Pastellfarben gestrichener Beton ohne irgendwelche Beschriftungen, an den Türen lediglich Zahlen, und in der Luft lag nur das Summen der Klimaanlage.
Hastig rekapitulierte sie noch einmal alles, was sie über das Sternenschiff wusste.
Viel war es nicht; aber das lag wohl eher daran, dass niemand viel über diese riesige Scheibe aus der Galaxis wusste, nicht einmal das Wissenschaftlerteam, das seit zwei Wochen damit beschäftigt war, sie Millimeter für Millimeter zu untersuchen. Und es kam hinzu, dass sie in den letzten Wochen eine heftige Abneigung gegen dieses Thema entwickelt hatte. Andererseits war es schlichtweg unmöglich, nichts über das Sternenschiff zu hören. Es gab seit Wochen nur noch ein Thema in den Medien.
Nach einer schier endlosen Odyssee durch meilenlange menschenleere Korridore erreichten sie ihr Zieclass="underline" eine weitere, unscheinbare Tür, vor denen ihre Führer stehen blieben und ihnen wortlos bedeuteten, einzutreten.
Sie war nicht sonderlich überrascht, mit Ausnahme Bellingers die gesamte Crew der CONQUEROR vorzufinden - einschließlich Soerensens -, und sie war auch nicht besonders erstaunt, das markante Gesicht Commander Beckers zu erblicken, was im übrigen nichts Gutes verhieß; wo Becker auftauchte, gab es Ärger.
Womit sie aber nicht gerechnet hatte, war der Anblick des schlanken, nicht sehr hochgewachsenen Mannes am Kopfende des Tisches. Sie war ihm niemals zuvor begegnet. Natürlich. Jeder kannte das Gesicht des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika.
»Wenn Sie sich wieder gefasst haben, Captain Laird«, sagte Becker halblaut, »dann schließen Sie bitte die Tür und setzen sich.«
Charity fuhr zusammen, merkte erst jetzt, dass sie tatsächlich mitten im Schritt erstarrt war und den Präsidenten unverwandt anstarrte, und schloss hastig die Tür hinter sich. Sie wollte salutieren, aber Becker winkte unwillig ab und deutete auf einen der wenigen freigebliebenen Stühle. Charity setzte sich. Ihr Herz begann ein wenig schneller zu schlagen.
»Was ist passiert?« fragte sie knapp.
Der Präsident lächelte flüchtig, während Becker sie eindeutig missbilligend ansah, aber nicht antwortete, sondern demonstrativ auf seine Armbanduhr blickte.
Charity fiel auf, dass es nur noch einen einzigen freien Stuhl am Tisch gab. Offensichtlich war ihre Runde noch nicht komplett.
Sie sah sich um, begrüßte Niles, Landers und Soerensen mit einem raschen Kopfnicken und stellte mit wachsender Beunruhigung fest, wie hochkarätig die Besatzung dieses unterirdischen Konferenzraumes war - mit Ausnahme der ehemaligen CONQUEROR-Crew schien es niemanden hier drinnen zu geben, der nicht mindestens zwei Sterne auf den Schultern trug. Allermindestens. Was zum Teufel war passiert?
Sie warf Soerensen einen fragenden Blick zu, erntete aber nur ein Achselzucken. Der Wissenschaftler wusste so wenig wie sie. Sein Gesicht wirkte sehr ernst. Er rauchte, und seine Finger hatten die Zigarette fast zerdrückt, ohne dass er es überhaupt zu bemerken schien.
Ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Hinterher begriff sie überrascht, dass sie weniger als fünf Minuten auf den Mann gewartet hatten, für den der letzte Stuhl reserviert war, aber sie wurden zu einer Ewigkeit. Und als er dann kam, war Charity nicht die einzige, die überrascht zusammenfuhr und ihn anstarrte.
Der Mann war grauhaarig; sein Alter konnte sie kaum schätzen.
Er hatte ein verschlossenes Gesicht und Hände, die feingliedrig wie die eines Chirurgen waren und nicht zu seiner übrigen Erscheinung passen wollten. Wie Becker und die meisten anderen im Raum trug er Uniform, und auf seinen Schultern protzten gleich vier Sterne - aber es gab noch etwas, was ihn von Commander Becker und den anderen unterschied: Seine Uniform war hellbraun, und sowohl auf seiner Mütze als auch auf dem Kragen der dazu passenden Jacke leuchteten kleine, blutrote Sowjetsterne.
Becker stand auf, als der Russe hereinkam. Er lächelte, aber der Blick, den er den anderen dabei zuwarf, enthielt eindeutig eine Warnung. Wortlos eilte er ihrem Besucher entgegen, geleitete ihn zu seinem Stuhl und hastete dann zu seinem eigenen Platz zurück.
»Meine Herren«, begann er. »Madame ...« Das galt nur Charity, denn sie war die einzige Frau im Zimmer. »...ich muss Sie nicht extra darauf hinweisen, dass dieses Gespräch und alles, was Sie vielleicht anschließend erfahren sollten, absoluter Geheimhaltung unterliegt.«
Er hält sich nicht einmal mit einer Begrüßung auf, dachte Charity verwundert. Was um Gottes willen ist passiert?!
»Und um allen Spekulationen vorzubeugen«, fuhr Becker fort, »General Demisow ist auf ausdrücklichen Wunsch des Präsidenten der Vereinigten Staaten hier, sowohl als Beobachter als auch als Repräsentant seiner Regierung. Bitte sparen Sie sich also irgendwelche überflüssige Fragen.« Er legte eine kleine Kunstpause ein, nickte noch einmal in Demisows Richtung und fuhr fort: »Die meisten von Ihnen werden ahnen, worum es geht - vor allem, da ja wohl jeder hier Captain Laird und ihre Crew kennen dürfte.«
»Das Sternenschiff«, sagte Mike überflüssigerweise. »Was ist passiert?«
Becker bedachte ihn mit einem strafenden Blick. Aber er antwortete trotzdem.
»Das wissen wir nicht. Noch nicht. Wir sind hier, um es herauszufinden.« Er starrte einen Moment lang an Mike vorbei ins Leere und seufzte hörbar. Plötzlich sah er sehr alt aus, fand Charity.
Und sehr müde.
Becker sprach nicht weiter, wie sie alle erwartet hatten, sondern setzte sich wieder und hob die linke Hand. »Den Film, bitte.«
Eine unsichtbare Hand am Ende einer ebenfalls unsichtbaren Mikrofonverbindung legte ein paar Schalter um, und für eine Sekunde senkte sich tiefe Dunkelheit über den Raum. Charity streckte unwillkürlich die Hand nach Mikes Fingern aus und war plötzlich sehr froh, ihn in der Nähe zu wissen. Sie hatte Angst.