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Und er machte bei Charity keine Ausnahme, nur weil sie eine Frau war; das Zeug, mit dem er die Fäden von ihr herunterwusch, brannte kaum weniger wie die Spinnenseide. Mehr als einmal konnte sie sich einen Schmerzlaut nicht mehr ganz verkneifen, und als er endlich fertig war und ihr mit einem Kopfnicken zu verstehen gab, dass sie jetzt aufstehen und sich wieder anziehen konnte, atmete sie so erleichtert auf, dass sich seine buschigen Augenbrauen missbilligend zusammenzogen.

»Tut weh, nicht?« sagte er, in einer Art, von der Charity nicht wusste, ob sie spöttisch oder ernst gemeint war.

Sie rang sich zu einem gequälten Lächeln durch, stand vorsichtig von der lederbezogenen Liege auf und bückte sich nach ihren Kleidern, führte die Bewegung aber nicht zu Ende. Die schwarzen Jeans und ihr T-Shirt waren schon vor einer Woche reif für die Mülltonne gewesen.

Tauber wies mit einer Kopfbewegung auf den weißen Wandschirm, der auf der anderen Seite der Liege stand.

»Dahinter liegt eine frische Uniform für Sie«, sagte er. »Ich weiß nicht, ob sie passt, und die Rangabzeichnen sind wohl auch falsch. Aber das«, er lächelte, »spielt ja wohl im Moment keine besondere Rolle mehr.«

Er beobachtete sie scharf, während sie um die Liege herumging, und ging ihr nach.

»Sobald Sie mit Becker gesprochen haben, will ich Sie noch einmal sehen, Captain«, sagte er. »Die Wunde da an Ihrem Bein gefällt mir nicht.«

Charity schürzte die Lippen. »Mir auch nicht«, sagte sie. »Aber sie heilt schon ganz gut.« Tatsächlich hatte sie die Verletzung während der vergangenen drei Tage praktisch gar nicht mehr gespürt. Erst jetzt, als Tauber sie darauf ansprach, fühlte sie wieder ein leichtes Klopfen im rechten Oberschenkel. Aber es war eher lästig als wirklich schmerzhaft. Rasch, ehe Tauber Gelegenheit hatte, sie gründlicher in Augenschein zu nehmen und vielleicht noch mehr zu finden, schlüpfte sie in den einteiligen Kampfanzug und zog den Reißverschluss hoch.

Tauber hatte recht gehabt - er war um mindestens drei Nummern zu groß, und die Rangabzeichen waren die eines Fregattenkapitäns der Navy. Mochte der Teufel wissen, wie das Ding hier herunter kam. Sie schloss den Gürtel, schaltete den Bordcomputer ein und drückte die Prüftaste. Das halbe Dutzend kleiner Leuchtdioden begann in beruhigendem Grün zu flackern.

»Das Ding ist in Ordnung«, sagte Tauber, der ihr neugierig zusah. »Und falls es Sie beruhigt, Captain - sein Träger ist nicht darin gestorben, sondern ...«

»Schon gut«, unterbrach ihn Charity hastig. »Das will ich gar nicht so genau wissen.« Tauber grinste, zog eine angebrochene Zigarettenpackung aus der Brusttasche seines Kittels und hielt sie ihr hin. Charity schüttelte den Kopf.

»Angst vor Lungenkrebs?« fragte Tauber, während er sich selbst eine Zigarette aus der Packung schnippte und mit einem billigen Einwegfeuerzeug anzündete.

»Das brauchen Sie nicht zu haben, meine Liebe. Ich glaube nicht, dass noch irgend jemand von uns lange genug lebt, um eine solche Krankheit zu bekommen.«

»Sollten Sie nicht Optimismus verbreiten, Doc?« fragte Charity.

Tauber zuckte die Achseln und blies eine Rauchwolke in ihre Richtung.

Charity zögerte einen Moment, dann streckte sie die Hand aus, nahm die Zigarettenschachtel aus Taubers Brusttasche und zündete sich doch eine an. Nach dem ersten Zug hustete sie. Eigentlich hatte sie das Rauchen vor drei Jahren aufgegeben. Aber vielleicht war es ein guter Moment, wieder damit anzufangen.

»Ist es so schlimm?«

»Schlimmer«, sagte Tauber ruhig. »Ich weiß nicht, was Becker Ihnen gleich erzählen wird, aber was immer es ist - glauben Sie ihm nicht. Wir haben noch ein paar Wochen. Wenn sie nicht vorher hier herunterkommen und uns umbringen.«

Charity dachte an zweihundert Tonnen schwere Panzertüren, an elektronisch gesteuerte Laserbatterien und Giftgasbarrieren, aber nichts von alledem vermochte Taubers Worten auch nur einen Deut von ihrer beunruhigenden Eindringlichkeit zu nehmen.

»Die Leute sterben«, fuhr Tauber fort, als sie nicht antwortete. »Man sieht es noch nicht, aber sie sterben. Viele sind krank, noch mehr verletzt.« Er schnippte seine Asche auf den Boden und sah einem winzigen Glutpünktchen nach, das sich von der Spitze seiner Zigarette löste und auf halbem Wege erlosch wie ein fallender Miniatur-Meteorit. »Und noch schlimmer ist, Sie wollen nicht mehr. Wir hatten neunzehn Selbstmorde in den letzten beiden Wochen.«

Nichts von alledem überraschte Charity. Nach einem Volltreffer war Bunkerkoller die Gefahr Nummer zwei auf der Liste gewesen, die ihre Ausbilder ihr und den anderen eingehämmert hatten.

»Sie waren draußen«, sagte Tauber plötzlich. »Wie sieht es aus?«

Charity nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette und genoss das kurze Schwindelgefühl, das das ungewohnte Nikotin hinter ihrer Stirn auslöste, ehe sie antwortete: »Wollen Sie das wirklich wissen, Doc?«

»Nein«, sagte Tauber. »Aber erzählen Sie trotzdem. Was ist mit New York?«

Sie begriff erst in diesem Moment, worauf Tauber die ganze Zeit über hinausgewollt hatte - er selbst stammte aus New York. Seine Frau, seine Kinder und überhaupt seine ganze Familie lebten dort.

Falls sie noch lebten. Sie antwortete nicht.

Tauber lächelte bitter. »Ich verstehe«, sagte er. »Aber Sie können mir ruhig die Wahrheit sagen, Charity. Ich habe den Idiotentest ebenso bestanden wie Sie. Sonst wäre ich nicht hier, wissen Sie?«

»Natürlich«, antwortete Charity. »Aber ich . . ich weiß es nicht. Die Stadt wurde angegriffen, aber das... das heißt nicht, dass Ihre Familie tot sein muss. Es gab eine Menge Überlebende. Viele sind herausgekommen, ehe es richtig losging.«

»Vielleicht ist es gerade das, wovor ich Angst habe«, murmelte Tauber, so leise, dass sie nicht wusste, ob die Worte nicht für sie bestimmt gewesen waren. Sie reagierte auch nicht darauf, sondern tat das, was sie schon vor fünf Minuten hätte tun sollen - sie drückte ihre Zigarette in den Aschenbecher, richtete sich auf und wandte sich zur Tür.

»Ich muss gehen, Doc. Becker wartet auf mich.«

Tauber starrte an ihr vorbei ins Leere. Er schien ihre Worte gar nicht gehört zu haben. Mit einem Ruck wandte sich Charity vollends um und verließ die kleine Kammer, so schnell sie nur konnte.

Lieutenant Stone und die beiden anderen Soldaten erwarteten sie vor der Tür.

Sie hatten die Zeit genutzt, ihre silberglänzenden Schutzanzüge auszuziehen, und wirkten nun wie ganz normale, junge Soldaten: vielleicht sogar ein bisschen zu jung für die Aufgaben, die ihnen zugedacht waren. Einer von ihnen rauchte, der andere sprach mit Stone. Charity konnte die Worte nicht verstehen, ihr Tonfall war sehr ernst.

Der Soldat mit der Zigarette erschrak sichtbar, als er Charity erblickte. Für einen Moment wusste er offensichtlich nicht, wohin mit seinen Händen.

»Bringen Sie mich zu Becker, Lieutenant«, sagte sie, an Stone gewandt. Sie durchquerten ein zweites Mal die große Halle, in der die Leute aus Brainsville untergebracht waren. Eine fast greifbare Anspannung lag in der Luft.

Dann begriff sie. Vorhin, als sie das erste Mal hier gewesen waren, hatte kaum jemand Notiz von ihnen genommen. Jetzt starrten sie Dutzende von Augenpaaren an, und die allerwenigsten dieser Blicke waren freundlich. Aber auch nicht feindselig, sondern ... ja, was eigentlich? überlegte sie verwirrt. Wenn sie den Ausdruck, den sie in den Gesichtern dieser Menschen las, hätte beschreiben müssen, dann wäre ihr als aller erstes das Wort vorwurfsvoll eingefallen. Und vielleicht enttäuscht.

Aber warum? Während sie zwischen Stone und den beiden anderen Soldaten zum Lift ging, überlegte sie angestrengt, was sich verändert hatte, in den wenigen Minuten, die sie bei Tauber gewesen war. War es ihre Kleidung? Vorhin hatten sie nur Stone und seine beiden Begleiter gesehen, die eine fremde und offensichtlich verletzte Frau zum Arzt brachten, eine Frau in Zivilkleidern. Jetzt trug sie Uniform.