Männer, klein wie Spielzeugsoldaten, nahmen längs des Zaunes Aufstellung. Voller Verbitterung begriff Charity, dass der Kommandant der Truppe ganz offensichtlich mit Angriffen rechnete - Angriffen der Zivilbevölkerung, nicht der Fremden. Großer Gott, was geschah mit ihnen? Sie vernichteten sich gegenseitig, noch bevor die Fremden überhaupt angegriffen hatten!
Das Abfertigungsgebäude war völlig überfüllt. Die riesige Eingangshalle schien vor grünen und blauen Uniformen überzuquellen. Hunderte von Stimmen schrien Hunderte von Befehlen, und ein ganzes Dutzend Lautsprecher versuchte sich gegenseitig zu übertönen. Von der riesigen Multivisionswand unter der Decke herab verkündete ein Nachrichtensprecher mit ernstem Gesicht schlechte Neuigkeiten, die im chaotischen Lärm der Stimme untergingen.
Irgendwie brachte ihr Führer das Kunststück fertig, sie und Mike einigermaßen unbeschadet durch dieses Chaos zu schleusen. Sie erreichten einen Aufzug, vor dessen geschlossenen Türen zwei Männer der Nationalgarde Wache hielten, mit grimmigen Gesichtern und mit drohend vor die Brust gehaltenen Maschinenpistolen.
Die Männer traten beiseite, als ihr Führer einen Ausweis zückte und gebieterisch in die Höhe hielt. Einen Augenblick später glitten die Lifttüren wie von Geisterhand bewegt auseinander, und sie betraten die Kabine, die sie rasch und ohne anzuhalten in die Höhe transportierte.
Ihr Ziel war die Glaskuppel des Towers. Auch hier oben herrschte mehr Gedränge als gewohnt, aber es war zumindest nicht so überfüllt, dass man keinen Schritt tun konnte, ohne irgend jemandem auf die Zehen zu steigen oder den Ellenbogen in die Nieren zu rammen. An den grünleuchtenden Radarschirmen und Computerpulten saßen jetzt Soldaten, und der Mann, der mit hinter dem Rücken verschränkten Händen vor der Panoramascheibe stand und auf die Rollbahn hinunterblickte, trug die Uniform eines Brigadegenerals.
Aber davon abgesehen, dachte Charity, war der Anblick geradezu absurd normal. Sie spürte nicht einmal etwas von dem Schrecken, der unten in der Halle allgegenwärtig gewesen war.
Alle Gespräche, die sie hörte, wurden sehr leise geführt.
Der Mann vor dem Fenster drehte sich herum, als sie ihm bis auf drei Schritte nahe gekommen waren. Charity kannte sein Gesicht nicht, aber sein Blick sagte ihr, dass er sie kannte - natürlich.
Sie wollte salutieren, der General jedoch winkte ab. »Lassen Sie diesen Unsinn, Captain Laird«, sagte er. »Ich bin General Hardwell. Willkommen bei uns.«
Seine Stimme klang kalt, und nicht besonders sympathisch, aber er lächelte. Irgendwo draußen über dem Flughafen begann eine Sirene zu schrillen, dann gesellte sich eine zweite dazu, eine dritte.
Charity sah ganz automatisch nach Westen, zur Stadt. Die Lichter New Yorks erhellten noch immer die Nacht. Der Anblick unterschied sich nicht im mindesten von dem, den die Skyline dieser Stadt seit einem halben Jahrhundert bot. Mit ein bisschen Phantasie, dachte sie, konnte man sich einbilden, dass gar nichts passiert wäre.
»Irgendwelche Neuigkeiten?« fragte Mike neben ihr.
Der General schüttelte andeutungsweise den Kopf. »Nein. Wir wissen hier nicht mehr als Sie. Sie haben die Übertragung gesehen?«
»Ja«, sagte Charity finster. »Welcher Idiot ist auf die Idee gekommen, die Bilder live auszustrahlen. Verdammt, eine Zeitverzögerung von zehn Sekunden hätte gereicht, um diese Panik zu -«
Sie sprach nicht weiter, als sie begriff, dass der Mann, dem sie diese Vorhaltungen machte, ungefähr so viel dafür konnte wie sie selbst. Sie lächelte verzeihungsheischend.
»Tut mir leid.«
Hardwell winkte ab. »Schon gut. Wir sind alle ein bisschen nervös, nicht wahr?«
Er lächelte ebenfalls, starrte einen Moment lang an ihr vorbei ins Leere und wurde übergangslos sehr ernst.
»Sie waren doch auf diesem Schiff«, sagte er. »Glauben Sie, dass es ... Bomben sind?«
Bomben? Charity starrte ihn an. Es dauerte fast zehn Sekunden, bis sie überhaupt begriff, was er meinte.
Es war wie ein zweiter, nachträglicher Schock. Bei allem, was sie in den vergangenen zwanzig Minuten gedacht und gefühlt haben mochte - der Gedanke, dass es sich bei den Objekten, die das Sternenschiff ausgespien hatte, um Bomben handeln konnte, war ihr nicht einmal gekommen. Dabei war es so naheliegend!
Hastig schüttelte sie den Kopf.
»Kaum«, sagte sie. »Es ergäbe ziemlich wenig Sinn, finden Sie nicht?« Aber was, dachte sie, was um alles in der Welt, was dieses verdammte Schiff und seine Absender in den letzten Monaten getan hatten, ergab überhaupt einen Sinn?
Trotzdem fügte sie hinzu: »Ich kann es mir nicht vorstellen. Wenn sie uns bombardieren wollten, hätten sie es verdammt viel einfacher anstellen können, nicht wahr?«
Die Erklärung klang selbst in ihren eigenen Ohren ziemlich dünn, aber Hardwell gab sich offensichtlich damit zufrieden - zum einen, dachte sie, weil es ganz genau das war, was er hören wollte, und zum anderen, weil sie es war, die es gesagt hatte. Ihre Worte hatten Gewicht, weil sie zu den wenigen Menschen gehörte, die jemals an Bord dieses Schiffes gewesen waren.
»Haben Sie den Flughafen deshalb in eine Festung verwandelt?« fragte Mike.
Hardwell wich seinem Blick aus. »Wir bereiten alles für eine Evakuierung vor«, sagte er nach einer Weile, ohne direkt auf Mikes Frage zu antworten. »Obwohl ich nicht weiß, wie lange wir sie aufhalten können.«
»Sie?«
Hardwell deutete mit einer zornigen Kopfbewegung auf die Lichtglocke New Yorks. »Die zehn Millionen Männer und Frauen dort drüben, die aus der Stadt heraus wollen«, antwortete er. »Verdammt, sind Sie so naiv, oder tun Sie nur so, Lieutenant?«
Mike tat das einzig Vernünftige - er ignorierte Hardwells gereizten Ton und kam ohne weitere Umschweife auf den eigentlichen Grund ihres Kommens zu sprechen.
»Die Maschine ist startklar?«
Hardwell nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf. »Die Maschine schon«, sagte er. »Aber die Mannschaft noch nicht. Ich habe Befehl, Sie hier zubehalten, bis Ihre Crew komplett ist. Sie werden in drei Eagles zur Jefferson-Air-Base geflogen.«
»Wer fehlt noch?« fragte Mike.
»Alle«, antwortete Hardwell gereizt. »Sie und Captain Laird waren die ersten. Lieutenant Niles wird in ein paar Augenblicken mit einem Copter eintreffen. Er ist schon auf dem Weg hierher. Die anderen ... Es kann eine Stunde dauern.«
Jemand berührte ihn an der Schulter und hielt ihm einen kleinen Zettel hin.
Hardwell warf einen flüchtigen Blick darauf, runzelte die Stirn und steckte ihn in die Rocktasche. Er gab sich Mühe, sich nichts von seinen wahren Gefühlen anmerken zu lassen, aber er sah eindeutig betroffen aus.
»Schlechte Neuigkeiten?« fragte Charity.
Hardwell zögerte. Dann nickte er. »Ja. Aber keine, die Sie betreffen. Ich ...« Er wurde wieder unterbrochen, von einem anderen Adjutanten, der sich aber diesmal nicht an ihn, sondern an Charity wandte.
»Captain Laird?«
Charity nickte.
»Ein dringender Anruf für Sie. Drüben, im Büro des Operators.«
Der Mann deutete auf eine schmale, offenstehende Tür am gegenüberliegenden Ende des Raumes. Das Zimmer dahinter lag im blauen Halbdunkel eines eingeschalteten Videoschirmes.
Mike und sie folgten dem jungen Soldaten, während Hardwell diskret zurückblieb und sie so wenigstens der Peinlichkeit enthob, ihm die Tür vor der Nase zuwerfen zu müssen. Der Raum war sehr klein; sein Inneres bestand praktisch nur aus einer gewaltigen, rundum laufenden Computerkonsole, auf der gleich Dutzende von Monitoren prangten. Im Moment war allerdings nur ein einziger davon eingeschaltet. Ein junger Mann saß davor, der sich hastig erhob und den Raum verließ, als er Charity erkannte. Sie wartete, bis Mike die Tür hinter ihm geschlossen hatte, ließ sich in den noch warmen Sitz fallen und tippte ihren Erkennungscode in das winzige Zahlenfeld unter dem Bildschirm. Der Schriftzug: TOP SECRET - AUTHORIZED PERSONS ONLY verschwand und machte dem Gesicht Commander Beckers Platz, dreidimensional und in Farbe und so besorgt, wie sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte...