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Sie ließ sich selbst keine Zeit, eines der zahllosen Argumente zu überdenken, die dagegen sprachen, sondern sah fragend zu Mike hinüber. »Schnappen wir sie uns?«

Mike erblasste, aber er nickte trotzdem, und zu ihrer Erleichterung erkannte sie auch auf den Gesichtern der beiden Soldaten nur Angst, nicht dieses lähmende Entsetzen, das sie befürchtet hatte. Aber sie wussten ja auch nicht, was sie da vor sich hatten; anders als Mike und Niles sahen sie diese Ungeheuer zum ersten Mal. Wahrscheinlich waren sie einfach nur verwirrt.

Niles deutete auf die Häuser auf der anderen Seite des Platzes.

»Ich versuche es dort«, sagte er. »Vielleicht kann ich mich in ihren Rücken schleichen, ohne dass sie es bemerken.«

Charity nickte, hielt ihn aber zurück, als er loslaufen wollte.

»Wie verständigen wir uns?«

»Gar nicht«, knurrte Miles. »Ich warte, bis ihr anfangt zu schießen.«

»Okay. Nimm einen der Männer mit. Und passt auf - es können noch mehr Kakerlaken da sein.«

Niles nickte, winkte einen der Soldaten zu sich heran und deutete mit dem Lauf seines Gewehres nach oben. Charity begriff.

Offensichtlich hatte er vor, sich über die Dächer an die Insektenmonster heranzuarbeiten.

Sie zogen sich ein Stück weiter in den Schutz der Straße zurück, während Niles und sein Begleiter in einem Haus verschwanden.

Charity schätzte, dass sie mindestens fünf Minuten brauchen würden, um ihre Positionen einzunehmen. Sie sah auf die Uhr, entschloss sich, ihnen die doppelte Frist zu gewähren und verdrückte sich in einen Hauseingang. Mike folgte ihr, während der Soldat am Fußende der Treppe zurückblieb, das Gewehr im Anschlag.

»Seltsam«, sagte Mike plötzlich.

Charity sah ihn an. »Was?«

»Das da.« Mike deutete auf den Soldaten. »Das hier ist ein historischer Augenblick, nicht?« Er lachte spöttisch. »Der erste Kontakt zwischen Menschen und einer außerirdischen Lebensform. Und was tun wir? Wir schießen auf sie.«

»Es ist nicht der erste Kontakt«, widersprach Charity unwillig. Großer Gott, worauf wollte er hinaus? »Der erste Kontakt fand am Nordpol statt«, fügte sie hinzu. »Leider können wir die Überlebenden nicht mehr fragen, wie er genau ausgesehen hat!«

»Trotzdem ist es Wahnsinn«, beharrte Mike. »Wir sollten... wenigstens miteinander sprechen, statt aufeinander zu schießen.«

Charity erwiderte nichts, sondern starrte zum hundertsten Male auf ihre kaputte Uhr und ärgerte sich, dass sie es schon wieder vergessen hatte.

Sie versuchte einzuschätzen, wie lange Niles und der Soldat schon weg waren, und gestand sich mit einem leisen Gefühl von Erschrecken ein, dass sie es nicht konnte.

Und vielleicht hat auch er recht, wisperte eine dünne, aber sehr aufdringliche Stimme hinter ihrer Stirn. Wir waren es, die ihr Schiff dort oben im All quasi gekapert haben. Wir waren es, die Soldaten und Bomben zum Nordpol geschafft haben. Wir haben Raketen mit Atomsprengköpfen auf ihr Schiff gerichtet.

Plötzlich wurde irgendwo über ihr ein Fenster geöffnet, sehr vorsichtig, aber doch nicht so leise, dass sie es nicht gehört hätte. Sie sah auf und erblickte einen schlanken, schwarzen Arm, dann ein dunkles Gesicht, das auf die Straße hinunterblickte.

Charity erschrak, gleichzeitig packte sie Zorn. Niles schien es darauf angelegt zu haben, von den Außerirdischen entdeckt zu werden.

Immerhin war Niles umsichtig genug, nicht nach ihnen zu rufen, sondern ihnen nur mit Gesten zu verstehen zu geben, dass sie zu ihm kommen sollten. Charity presste ärgerlich die Lippen aufeinander.

Was zum Teufel tat er da? Sie hatte ihn auf dem halben Wege zum anderen Ende des Platzes gewähnt. Die Vorstellung, einen Angriff - ganz egal, gegen wen - zu führen und sich auf eine Rückendeckung zu verlassen, die es nicht gab, gefiel ihr nicht.

Trotzdem zögerte sie nur noch einen Moment, sich aus ihrer Deckung zu lösen und zusammen mit Mike und dem zweiten Soldaten zu der Tür zu laufen, in der Niles und sein Begleiter verschwunden waren. Für zwei, drei endlose Sekunden waren sie ohne Deckung. Aber sie hatten Glück: Alles blieb still.

Mike deutete mit dem Lauf seiner Maschinenpistole in den Hausflur hinein.

Hier drinnen herrschte noch Nacht, die das bisschen dunkelgrauer Dämmerung, das durch die Türritzen und das Fenster hereinsickerte, schon nach wenigen Schritten aufsog. Immerhin konnte sie weit genug sehen, um zu erkennen, dass sich der Flur vor ihnen teilte, einer führte weiter ins Gebäude hinein, der andere zu einer Treppe.

Dann hörte sie plötzlich Geräusche: Schritte und ein gedämpftes Flüstern.

Hintereinander stürmten sie die Treppe hinauf. Die Stimme, die sie gehört hatten, gehörte Niles - er kam ihnen entgegen, kaum dass sie das erste Stockwerk erreicht hatten.

»Verdammt, Niles - was fällt dir ein?« empfing ihn Charity. »Du solltest lange schon -«

»Sie sind alle tot«, unterbrach sie Niles.

Charity erstarrte. Neben ihr atmete Mike scharf ein, wie unter einem kurzen, jähen Schmerz. Entsetzt starrte sie Niles an. »Wer ist tot?« fragte sie, obwohl sie die Antwort längst wusste.

Niles' Stimme zitterte deutlich, als er antwortete. »Alle, Laird. Alle, die hier...

...hier gelebt haben. Sie ...«

Charity ging an ihm vorbei und stieß mit einem Fußtritt die Tür vor sich auf. Dahinter lag eine kleine schäbige Wohnung, die nur aus einem einzigen Zimmer bestand.

Hier war es heller als draußen auf dem Flur, so dass Charity die grausige Szene in allen entsetzlichen Einzelheiten erkennen konnte.

Es waren vier - ein Mann, eine Frau und zwei Kinder. Die beiden Mädchen lagen unter dem leblosen Körper ihrer Mutter begraben, als hätte sie noch sterbend versucht, sie mit ihrem eigenen Leib vor dem zu schützen, was sie umgebracht hatte.

Der Mann lag ein Stück abseits, mit dem Gesicht nach unten und in sonderbar verkrümmter Haltung, die ausgestreckte rechte Hand um ein Stuhlbein gekrallt. Er war der einzige, der nicht aussah, als schliefe er bloß.

»Es ist überall dasselbe«, sagte Niles hinter ihr. »Überall im ... im Haus. Es müssen Dutzende sein.«

Charity ging zögernd weiter, blickte einen Moment auf die tote Frau und die beiden Mädchen hinab und kniete dann neben dem Leichnam des Mannes nieder.

Obwohl - oder vielleicht gerade weil? - man ihm als einzigen ansah, dass er auf gewaltsame Weise ums Leben gekommen war, brachte sie es einfach nicht über sich, die Leichen der beiden Kinder oder der Frau zu berühren.

Sie gab Mike ein Zeichen, an der Tür aufzupassen, legte die Maschinenpistole aus der Hand und versuchte, den Leichnam auf den Rücken zu drehen. Er war erstaunlich schwer, und selbst, als sie es geschafft hatte, seine Hand von dem Stuhlbein zu lösen, bereitete es ihr erhebliche Mühe, ihn auf den Rücken zu wälzen.

Sein Gesicht war schlaff, ohne irgendeine Spur von Schrecken oder Schmerz, so, als wäre er einfach nur eingeschlafen, nein, nicht einmal das: so, dachte sie entsetzt, als hätte man ihn einfach abgeschaltet, wie eine Maschine, die nur zufällig aus Fleisch und Blut bestand.

Sie unterdrückte ihren Widerwillen, beugte sich tiefer über den Toten und untersuchte ihn auf Verletzungen hin.

Sie fand nichts. Keine Wunden, mit Ausnahme eines Kratzers an der Stirn, den er sich beim Sturz zugezogen haben mochte, nichts, was ihr irgendwie verriet, wie dieser Mann ums Leben gekommen war.

Schaudernd richtete sie sich auf und beugte sich nun doch über die tote Frau. Sie versuchte fast krampfhaft, die beiden toten Mädchen nicht anzusehen, konnte aber nicht vermeiden, dass ihr Blick das Gesicht des älteren Kindes streifte. Es war so schlaff wie das seines toten Vaters, die Züge hatten denselben, leeren Ausdruck.