Der Vierarmige begann sich zu regen, als sie näher kam, sehr langsam, fast übervorsichtig, als wisse er ganz genau, dass eine zu hastige Bewegung sein Ende bedeutete. Die beiden klobigen Silberstäbe glitten aus seinen Händen und polterten zu Boden.
Charity umkreiste ihn, stieß die Waffen mit der Fußspitze davon und setzte die Mündung der MP direkt auf seinen Brustpanzer. Die Bewegungen des Wesens hörten abrupt auf. Nur die Augen hinter den schmalen Sehschlitzen seiner Maske glitzerten Hasserfüllt.
»Okay, Freund«, sagte Charity laut. »Ich weiß nicht, ob du mich verstehst, aber wenn, dann tust du besser nichts, was mich nervös machen könnte. Ich will dich nicht umbringen, aber ich habe auch keine besondere Lust, von dir umgebracht zu werden.«
Sie bezweifelte, dass das Wesen die Worte verstand, aber es begriff sehr wohl die Bedeutung der Waffe, die auf seine schmale Brust zielte. Charity wartete noch eine Sekunde, dann hob sie den linken Arm und winkte Niles, zu ihr herunterzukommen.
Sie widerstand der Versuchung, den Blick zum Dach zu heben und nach Mike und den beiden Soldaten zu sehen. Irgendwie hatte sie das sehr sichere Gefühl, dass es besser war, diesen spinnengliedrigen Alien nicht eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Zu leicht. Viel zu leicht.
Niles sprang auf die Straße herunter und im gleichen Augenblick griff der Fremde an.
Charity hatte sein Gesicht und seine Hände keinen Moment aus den Augen gelassen, aber es war kein Mensch, den sie niederhielt, und sie hatte - so absurd es klang - einfach vergessen, dass er mehr als zwei Hände besaß. Sein oberes Armpaar rührte sich nicht, aber seine dritte Hand schlug mit der Gewalt eines Dreschflegels gegen den Lauf ihrer MP und schmetterte ihr die Waffe einfach aus der Hand, während seine vierte Klaue sich um ihr Fußgelenk schloss.
Ein entsetzlicher Ruck brachte sie aus dem Gleichgewicht und warf sie nach hinten, und fast im gleichen Augenblick war das Wesen über ihr, mit der Schnelligkeit einer übergroßen Spinne - und ihrer Kraft. Charity keuchte vor Schrecken und Schmerz, als sie spürte, wie übermenschlich stark diese so lächerlich dürren Gliedmaßen waren. Ihre Arme wurden zur Seite gedrückt wie die eines Kindes, das mit einem Erwachsenen kämpft, und fast gleichzeitig schloss sich das zweite Handpaar des Außerirdischen um ihre Kehle.
Ein einzelner Schuss krachte, und ein unsichtbarer Hammerschlag schien den Brustpanzer des Fremden zu treffen.
Splitter von schwarzem Chitin überschütteten Charity, dann kippte das groteske Wesen in einer fast gemächlichen Bewegung zur Seite und glitt von ihr herab.
Charity richtete sich benommen auf, tastete nach ihrem Hals und verzog die Lippen, als sie die blutigen Kratzer fühlte, die schon die erste, fast flüchtige Berührung der schrecklichen Krallen in ihre Haut gerissen hatten. Eine halbe Sekunde später...
»Alles in Ordnung?« fragte Niles.
Sie nickte, warf ihm einen dankbaren Blick zu und beugte sich über den toten Außerirdischen. Trotz aller Erleichterung war sie enttäuscht - sie hätte viel darum gegeben, dieses Wesen lebend in die Hände zu bekommen. Es wäre so wichtig gewesen!
»Tut mir wirklich leid, Laird«, sagte Niles. »Aber ich hatte keine andere Wahl.«
Das entspricht sogar der Wahrheit, dachte Charity. Ein paar Sekunden später, und das Wesen hätte ihr das Genick gebrochen. Sie hatte kein Recht, zornig auf Niles zu sein. Es spielte keine Rolle, ob er das, was er getan hatte, wollte oder nicht. Immerhin hatte er ihr das Leben gerettet.
Mühsam plagte sie sich, beugte sich über den Außerirdischen und betrachtete ihn genauer. Niles' Schuss hatte seinen Brustpanzer zerfetzt und ein fast tellergroßes Loch in das Rückenteil seiner sonderbaren Rüstung gerissen, aber sie entdeckte erstaunlich wenig Blut.
Mit zitternden Händen versuchte sie, die glatte schwarze Maske zu lösen, die das Gesicht des Außerirdischen verbarg. Es gelang ihr, denn sie war nur mit einer primitiven Klammer am Rest des glänzenden Helmes verbunden. Darunter kam ein schmales, trotz aller Fremdartigkeit beinahe menschliches Gesicht zum Vorschein.
Die Natur schien auf dem Heimatplaneten dieses Wesens in groben Zügen die gleiche Entwicklung eingeschlagen zu haben wie auf der Erde; die Kreatur hatte zwei Augen, eine Art flacher Nase und einen breiten, fast lippenlosen Mund, der im Tode offenstand und eine Doppelreihe sehr kleiner, stumpfer Zähne zeigte. Mattglänzendes braunes Fell bedeckte das Gesicht des Fremden.
Auch seine Augen wirkten beinahe menschlich. Mit Ausnahme seiner sechs Gliedmaßen war dieses Wesen wirklich fast humanoid zu nennen.
Dann nahm Charity die Waffe des Fremden zur Hand. Sie war sehr schwer, und es war eigentlich nur ein plumper Metallstab mit einem kompliziert aussehenden Verschluss an der einen und einem pennygroßen runden Loch an der anderen Seite. Charity spürte ein rasches Vibrieren, als sie das silberglänzende Metall berührte, und sie glaubte einen Laut zu hören, ein Summen, das sehr beunruhigend auf sie wirkte.
Niles trat nervös zur Seite, als sie die Mündung der Waffe versehentlich in seine Richtung hielt. Charity lächelte entschuldigend, legte den Silberstab behutsam wieder aus der Hand und richtete sich auf.
»Wir nehmen den ganzen Kram mit«, sagte sie. »Die Waffen und den Leichnam.« Sie sah sich angespannt um. »Ich möchte nur wissen, was sie hier gewollt haben.«
Mike und die beiden Soldaten kamen zurück. Mikes Gesicht verdüsterte sich, als er näher kam und die allmählich größer werdende Blutlache sah, in der der Fremde lag.
»Ist er tot?«
Charity nickte.
»Verdammt«, sagte Mike. »Wir hätten ihn lebend gebraucht.«
»Niles hatte keine andere Wahl«, sagte Charity hastig. »Dieses Ding war dabei, mir den Kopf abzureißen.« Sie schnitt ihm jede Antwort, die er hätte geben können, mit einer befehlenden Handbewegung ab und deutete auf das Haus, aus dem er und die beiden anderen gekommen waren. »Irgend etwas Besonderes da drinnen?« fragte sie.
Mike schüttelte den Kopf. »Nur Tote«, sagte er. »Und ...«
Und um ein Haar wären dies die letzten Worte seines Lebens gewesen. Hinter ihm, auf der anderen Seite des Platzes öffnete sich eine Tür, und ein riesiges Wesen mit vier Armen trat aus dem Haus heraus. Charity schrie auf, riss ihre Waffe in die Höhe und versetzte Mike gleichzeitig einen Stoß, der ihn haltlos zur Seite taumeln und auf die Knie herabfallen ließ.
Charity und der Fremde schossen gleichzeitig. Das Krachen ihrer Maschinenpistole verschluckte den dumpferen, leiseren Knall der Waffe des anderen, aber einen halben Schritt vor ihr, genau dort, wo Mike vor einer Sekunde noch gestanden hatte, prallte ein sonderbares Geschoss mit entsetzlicher Wucht gegen den Boden und spritzte auseinander.
Charity ließ sich zur Seite kippen und hielt den Abzug dabei durchgedrückt. Eine MP-Salve raste auf den Fremden zu, jagte funkensprühend über die Wand neben ihm - und verwandelte seinen Panzer in eine Wolke schwarzer Splitter.
Mit einem schrillen, schmerzhaft hohen Schrei stürzte das Wesen nach hinten und verschwand wieder in dem Haus, aus dem es gekommen war.
Und trotzdem hatte es getroffen.
Der Soldat, der unmittelbar neben Mike gestanden hatte, wankte plötzlich. Auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck unerträglichen Schmerzes. Er ließ die Waffe fallen, machte einen halben taumelnden Schritt und hob die Hände an die Brust. Dann brach er lautlos zusammen. Sein Rücken war eine einzige, riesige Wunde.
Charity wartete nicht, bis Mike wieder auf die Füße gekommen war, sondern rannte los. Sie hatte recht gehabt, dachte sie verzweifelt! Es war zu leicht gewesen - und sie hatten sich wie blinde Anfänger benommen.
Sie erreichte das Haus, setzte mit einem gewaltigen Sprung über die Leiche des Vierarmigen hinweg, der die Tür blockierte, und kam mit einer Rolle wieder auf die Füße. Etwas Dunkles, Glitzerndes floh vor ihr in die Dämmerung, dann hörte sie klackende, rasend schnelle Schritte. Sie rannte los, blieb noch einmal stehen, verschwendete fünf, sechs kostbare Sekunden damit, das Magazin ihrer Waffe zu wechseln, und lief weiter, im gleichen Augenblick, in dem Mike und die beiden anderen hinter ihr ins Haus stürmten.