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Sie hörte Schritte des Fremden noch immer, obwohl sie sich rasend schnell entfernten; ihre Sinne schienen mit übernatürlicher Schärfe zu arbeiten. Hastig befahl sie Mike zu sich heran und gab Niles und dem anderen Soldaten einen Wink. »Nach links - versucht ihn zu umgehen. Und passt auf. Es können noch mehr da sein!«

Die Bemerkung war vermutlich überflüssig. Nach dem, was dem unglückseligen Trooper passiert war, würde Niles wahrscheinlich ohnehin erst schießen und dann nachsehen, was er getroffen hatte.

Charity hoffte nur, dass es keiner von ihnen war.

Sie stürmten weiter.

Die Schritte des Spinnenarmigen waren jetzt nicht mehr zu hören, aber sie hatte sich die Richtung gut eingeprägt, aus der sie gekommen waren.

Und das Haus war nicht besonders groß - entweder, das Wesen hatte es durch eine Hintertür verlassen, oder...

Es hatte nicht. Charity stürmte durch eine offenstehende Tür, warf sich automatisch zur Seite - und erstarrte.

Hinter der Tür musste eine der gleichen, ärmlichen Wohnungen gelegen haben, wie sie sie oben gefunden hatten, aber jetzt erstreckte sich vor ihr ein wahres Trümmerfeld. Die Wände zu den Nachbarwohnungen waren verschwunden, so sauber herausgeschnitten wie mit einem großen Messer. Von der Decke rieselte der Putz. Ein fremdartiger, scharfer Geruch hing in der Luft.

Von dem vierarmigen Fremden war nichts mehr zu sehen.

Dafür entdeckte sie etwas anderes.

In der Mitte des Raumes stand ein riesiger, dünner Ring aus silberfarbigem Material.

Und in seinem Inneren erkannte sie dasselbe Wogen und Wabern, das den Ring im Inneren des Sternenschiffes erfüllt hatte.

»Verdammt, was ist das?« flüsterte Mike. Seine Stimme bebte.

Charity zuckte stumm die Achseln, machte einen Schritt auf den scheinbar schwerelos in der Luft hängenden Kreis aus Metall und lebendiger Schwärze zu und blieb wieder stehen. Es war, als wäre sie in einen Strom unsichtbarer elektrischer Energie getreten, der ihre Haut prickeln und jedes einzelne Härchen auf ihrem Körper sich aufstellen ließ. Sie versuchte vergeblich, den Schild aus Schwärze mit Blicken zu durchdringen.

»Jetzt wissen wir wenigstens, woher diese Biester so plötzlich gekommen sind«, murmelte Mike. Nervös sah er Charity an.

»Wir sollten verschwinden. Ich habe das Gefühl, unser Freund kommt gleich zurück. Aber bestimmt nicht allein.«

Charity nickte, wandte sich aber noch nicht um, sondern hob statt dessen ihre Waffe und jagte einen einzelnen Schuss durch das Innere des Materiesenders.

Das Ergebnis enttäuschte sie. Die Kugel durchschlug die Wand aus wabernder Finsternis ohne sichtbaren Widerstand und bohrte sich in die rückwärtige Wand des Zimmers. Sie runzelte die Stirn, drehte sich herum und sah den Soldaten an.

Ihr Blick blieb an der Granate haften, die er am Gürtel trug.

»Geben Sie mir das Ding«, befahl sie.

Der Mann gehorchte, während Mike sie gleichermaßen fragend wie missbilligend anblickte. »Was hast du vor?« fragte er. »Willst du das Ding in die Luft sprengen?« Er klang nicht sehr begeistert.

Charity antwortete nicht, sondern scheuchte ihn und die beiden anderen mit einer befehlenden Handbewegung zurück, ehe sie sich wieder dem Ring zuwandte.

Sie war nicht sicher - aber für einen Moment glaubte sie, dass das Wogen und Wabern darin stärker geworden sei.

»Verschwindet«, sagte sie. »Wartet draußen auf mich.«

Mike wollte widersprechen, doch ihr Blick brachte ihn zum Verstummen. Wortlos drehte er sich herum und beeilte sich, Niles und dem Soldaten zu folgen, die keine Sekunde gezögert hatten, Charitys Befehl nachzukommen.

Auch Charity zog sich aus dem Raum zurück, blieb aber in der Tür stehen und ging in die Hocke. Vorsichtig wechselte sie die MP von der rechten in die linke Hand, zog mit den Zähnen den Sicherungsring der Granate heraus und konzentrierte all ihre Aufmerksamkeit darauf, den Zündhebel niederzuhalten. Dann wartete sie.

Ihre Geduld wurde nicht lange strapaziert. Sie hatte sich nicht getäuscht - das Gleiten und Wogen im Inneren des Ringes hatte sich verändert. Sie hatte jetzt eher den Eindruck, in einen unendlich langen, von nichts anderem als Schwärze erfüllten Korridor zu blicken. Sie betete, dass ihre Vermutung richtig war, nämlich die, dass der Spinnengliedrige die Tür zum Sternenschiff hinter sich zugeworfen hatte, als er vor ihr floh, und nicht etwa, dass dieses Tor nur in einer Richtung funktionierte. Für einen Moment war sie noch einmal versucht, auf die wispernde Stimme hinter ihrer Stirn zu hören, die ihr riet, wegzulaufen, solange sie es noch konnte. Aber dann dachte sie wieder an die beiden toten Kinder, die sie gesehen hatte, und blieb.

Und es wäre wahrscheinlich ohnehin zu spät gewesen. In der Schwärze entstanden jetzt Dinge, die dunkel, aber nicht schwarz waren und ganz und gar nicht körperlos. Ein gigantischer Insektenschädel mit fürchterlichen Mandibeln bildete sich, faustgroße, regenbogenfarbig schimmernde Facettenaugen starrten aus einem Gewirr hart glänzender Gliedmaßen auf sie herab - und Charity warf die Granate.

Sie beschrieb einen perfekten, beinahe langsamen Bogen, verfehlte den riesigen Insektenschädel um eine Handbreit und verschwand in der lebendigen Schwärze des Transmittertores.

Sie rannte los, ehe die drei Sekunden vorbei waren, die der chemische Zünder ihr noch gewährte. Als sie den Hausflur erreichte, erscholl hinter ihr ein dumpfes, sonderbar weiches Krachen. Das Haus begann zu zittern. Eine zweite, etwas heftigere Explosion erfolgte, als sie durch die Tür stürmte, und plötzlich sah sie den Widerschein eines unerträglich hellen, weißen Lichtes, das sich hinter ihr aus dem Nichts heraus in die Eingeweide des Hauses fraß.

Das Gebäude brach in einer Wolke aus Rauch und Flammen und wirbelnden Trümmerstücken zusammen, noch ehe sie Mike und die anderen erreicht hatte.

9. Kapitel - Gegenwart

12. Dezember 1998

Die Behälter waren riesig und silberfarben und sahen wirklich wie sorgsam polierte Treibstofftanks aus, wie sie so auf ihren spindeldürren Metallbeinen standen, eingewoben in ein ganzes Nest von Ver- und Entsorgungsleitungen, Kabeln und Drähten und Computeranschlüssen. Die dünne Schicht aus Goldstaub, die jede Korrision verhindern sollte, ließ sie sehr geheimnisvoll wirken, ein Eindruck, der von den blinkenden Kontrolleuchten am Ende der sechs zylinderförmigen Stahlsärge noch verstärkt wurde.

Charity war ziemlich mulmig zumute. Der Anblick machte ihr angst, und allein der Gedanke, sich in eines dieser Dinger zu legen und lebendig begraben zu lassen, ließ sie schaudern. Man musste schon ziemlich verrückt sein, um sich töten zu lassen, nur um am Leben zu bleiben.

»Das kommt ganz darauf an, wie sehr man am Leben hängt, nicht wahr?«

Charity fuhr erschrocken zusammen, drehte sich herum und blickte direkt in Stones Gesicht. Mit einem deutlichen Gefühl der Verlegenheit begriff sie, dass sie ihren letzten Gedanken laut ausgesprochen hatte.

»Wenn man das da ...« Sie deutete mit einer Kopfbewegung auf die Tanks. »... Leben nennen will«, antwortete sie. »Ich verstehe etwas anderes darunter.«

Stone machte eine vage Handbewegung. »Wenn Sie recht hätten, hätte man sich das Geld für diesen Bunker sparen können, finden Sie nicht?«

»Möglich«, antwortete Charity verwirrt. Erst dann fiel ihr der erste Gedanke wieder ein, der ihr bei Stones Anblick gekommen war. »Was tun Sie hier unten, Lieutenant?«