Dann beruhigte er sich so schnell wieder, wie er in Zorn geraten war.
»Sie hatten Ihre Chance«, sagte er noch einmal.
Charity starrte ihn betroffen an. »Glauben Sie das wirklich?« fragte sie. »Dass wir sie geholt haben?«
»Jedenfalls haben Sie nichts getan, um sie fernzuhalten«, antwortete Barton. »Sie hatten alle Möglichkeiten dazu, oder nicht? Sie hätten dieses Ding in den Kosmos sprengen können, mit ihrem Schiff. Aber Sie haben nichts getan.«
Mike seufzte. »Niemand wusste, was passieren würde«, sagte er.
In Bartons Augen blitzte es auf. »O doch«, widersprach er heftig. »Ich wusste es und andere auch. Ich habe versucht, diese Narren im Generalstab zu warnen, aber sie haben nicht auf mich gehört.« Er lachte bitter. »Sie haben mich ausgelacht, diese Narren, und auf die großen Brüder aus dem Weltraum gewartet. Und jetzt sind sie da.«
»Und Sie glauben wirklich, sie vertreiben zu können?« fragte Charity. »Mit einem Hubschrauberwrack und ein paar alten Panzern?«
Einen Moment lang schien Bartons Selbstsicherheit wirklich erschüttert. Dann schüttelte er trotzig den Kopf. »Natürlich nicht«, sagte er. »Aber ich kann tun, wofür ich bezahlt werde. Ich kann mich wehren. Und ich bin nicht der einzige. Wir werden mit ihnen fertig, auch ohne eure Hilfe.«
»Was Sie tun, ist glatte Befehlsverweigerung, General«, sagte Charity. »Ist Ihnen das klar?«
Barton lachte. »Befehl?« wiederholte er. »Wessen Befehl, Captain? Sie haben mir nichts zu befehlen.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf ihre Uniform. »Ich gehöre zur Army, nicht zur Space Force.«
Charity schüttelte den Kopf. »Aber Sie unterstehen ebenso dem Präsidenten.«
Barton wurde merklich unsicher. Eine halbe Minute lang starrte er sie nur an, und sie konnte regelrecht sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Und wenn es ihr gelungen wäre, in diesem Moment die richtigen Worte zu finden, hätte sie ihn sogar zur Vernunft bringen können.
Aber sie fand sie nicht, und der Moment verstrich ungenutzt.
Nach ein paar Sekunden schüttelte Barton abermals den Kopf. »Ich weiß nicht, ob Sie die Wahrheit sagen oder nicht, Captain«, sagte er. »Aber wahrscheinlich stimmt es sogar. Sie sind unterwegs zu Ihrem Schiff, nicht wahr?«
Charity nickte. Es brachte nichts ein, Barton zu belügen.
»Ein Präsident, der sein Volk im Stich lässt, verdient keine Loyalität«, erklärte Barton.
»Das ist doch Unsinn«, widersprach Charity sanft. »Niemand spricht davon, irgend jemanden im Stich zu lassen, General. Aber Lieutenant Wollthorpe und ich sind wahrscheinlich die einzigen, die das Raumschiff fliegen können. Und wir brauchen es. Mit einem einzigen Schiff wie der CONQUEROR können wir tausendmal so viel ausrichten wie Sie mit Ihren Soldaten. Vielleicht... können wir sogar das Mutterschiff zerstören.«
Barton presste die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen.
»Wieso sollte Ihnen jetzt gelingen, was Sie vorher nicht konnten?« fragte er misstrauisch.
»Weil sie nicht damit rechnen«, antwortete Mike an Charitys Stelle. »Es ist eine Chance, General. Sie können nicht wissen, dass das Schiff noch einsatzfähig ist.«
Barton überlegte einen Moment. »Der Versuch war es wert, Lieutenant«, sagte er dann. »Aber trotzdem - nein. Vielleicht lasse ich Sie frei, wenn wir zurück sind. Vielleicht gebe ich Ihnen sogar einen Wagen.« Er grinste. »Sie sollten mir Glück wünschen.«
Mikes Miene verdüsterte sich. »Wollen Sie wirklich wissen, was ich Ihnen wünsche, General?« fragte er.
Barton blickte ihn einen Moment lang mit steinerner Miene an.
Dann schüttelte er den Kopf, wandte sich wortlos um und verließ die Zelle. Sie erfuhren nicht einmal, warum er überhaupt gekommen war.
15. Kapitel - Gegenwart
12. Dezember 1998
»Dort entlang!«
Stones Stimme drang nur verzerrt unter seiner halbdurchsichtigen Atemmaske hervor, und sein Gesicht war hektisch gerötet, wo es nicht von pulverfeinem weißem Staub bedeckt war. Sie folgte mit Blicken der Richtung, in die sein ausgestreckter Arm wies, erkannte nichts als Trümmer und Staub, nickte aber trotzdem. Sie hatte längst jede Orientierung verloren. Außerdem kannte er sich hier unten sowieso viel besser aus als sie. So schnell es der pochende Schmerz in ihrem Bein zuließ, folgte sie ihm. Die Hitze stieg. Selbst die Luft aus der kleinen Sauerstoffpatrone an ihrem Gürtel schmeckte warm.
Sie kämpften sich durch den Qualm und erreichten das Ende des Stollens. Stone deutete auf eine offenstehende Lifttür. Die Kabine dahinter war verschwunden.
Ein halbes Dutzend Drahtseile hing sonderbar schlaff herab, und der blutigrote Widerschein von Feuer erhellte den rechteckigen Schacht.
Stone begann ungeduldig mit beiden Händen zu gestikulieren, als sie zögerte, beugte sich durch die offenstehenden Türen und deutete auf eine Reihe kleiner, eiserner Trittstufen, die senkrecht an der Wand in die Tiefe führten.
»Los!« befahl er. »Ehe hier alles zusammenbricht!« ' Charity zögerte noch einmal einen endlosen Augenblick, aber dann trat sie entschlossen an ihm vorbei, griff nach der obersten Stufe und zog sich mit einem kraftvollen Ruck in den Schacht. Die Hitze wurde immer unerträglicher. Unter sich, sehr tief unter sich, konnte sie die brennenden Trümmer der abgestürzten Liftkabine erkennen, und der Aufzugschacht wirkte wie ein Kamin, in dem die glühendheiße Luft nach oben stieg.
Trotzdem ging es besser, als sie zu hoffen gewagt hatte. Sie hatte noch für eine halbe Stunde Sauerstoff, und ihr Kampfanzug hielt wenigstens die allerschlimmste Hitze fern. Rasch, aber sehr vorsichtig kletterte sie in die Tiefe.
Becker, du verdammter Idiot, dachte Charity immer wieder.
Stones Worte hatten sie getroffen wie eine Ohrfeige, obwohl sie keinen Moment an seinen Worten gezweifelt hatte. Sie hätte es sich selbst denken können, und schließlich hatte Becker es ja sogar gesagt - aber offenbar hatte sie sich schlichtweg geweigert, die Wahrheit zu akzeptieren; nämlich die, dass auch ein Mann wie Becker die Nerven verlieren und einen entsetzlichen Fehler begehen konnte.
Die Türen der nächsten Ebene waren geschlossen. Sie kletterten weiter. Die Hitze war kaum mehr auszuhalten. Sie konnten sich jetzt nur noch zwei, allerhöchstens drei Ebenen über der untersten Sohle des Bunkers befinden, und Charity begann sich ernsthaft zu fragen, wo Stone überhaupt hin wollte - ihres Wissens gab es außer der Notrutsche keinen zweiten Ausgang aus dem Bunker, schon gar nicht hier unten. Trotzdem kletterte sie weiter, bis er ihr das Zeichen gab, den Schacht zu verlassen. Die kleine Anstrengung, den Arm auszustrecken und sich in die Sicherheit des Korridores zu ziehen, überstieg fast ihre Kräfte.
Schweratmend ließ sie sich zu Boden sinken, riss die Sauerstoffmaske vom Gesicht und atmete gierig ein und aus. Die Luft hier unten schmeckte wesentlich schlechter als die aus der Patrone, sie war heiß und stank nach Qualm und Staub, aber sie hatte nur diesen winzigen Vorrat und musste sparsam sein.
Charity sah müde auf, als Stone neben ihr aus dem Schacht geklettert kam. Auch er nahm seine Maske herunter und atmete ein paarmal tief durch, ehe er sie sorgfältig wieder an seinem Gürtel befestigte und statt dessen das Lasergewehr vom Rücken nahm.
Charity verfluchte ihren eigenen Leichtsinn, selbst keine Waffe mitgenommen zu haben. Aber verdammt, so hatte geglaubt, wenigstens noch diese paar Minuten zu haben! Alles war so entsetzlich schnell gegangen!