Mike schoss und traf, aber im gleichen Moment lösten sich Dutzende der kleinen Hornstacheln aus dem Monstrum und prallten wie tödlicher Hagel an der Stelle gegen die Wand, wo er und Charity gerade noch gesessen hatten.
Einer von ihnen traf.
Charity spürte einen harten, betäubenden Schlag gegen den Oberschenkel, einen kleinen Moment der Schwäche - und dann raste ein entsetzlicher Schmerz durch ihr Bein und explodierte überall in ihrem Körper zugleich. Sie schrie gellend auf, stürzte zu Boden und umklammerte ihren Oberschenkel. Blut lief in breiten Strömen über ihr Bein. Die Hornnadel musste ihren Schenkel glatt durchschlagen haben.
Mike versuchte sie in die Höhe zu ziehen, aber sofort schoss eine neue, unerträgliche Schmerzwelle durch ihren Körper. Vergiftet, dachte sie. Der Dorn musste vergiftet worden sein! Das Ding war kaum dicker als eine Stricknadel gewesen, aber der Schmerz war trotzdem entsetzlich, pure Agonie, die jeden einzelnen Nerv in ihrem Körper in Flammen setzte. Blindlings schlug sie Mikes Hand beiseite, krümmte sich erneut und schrie.
Sie registrierte kaum, dass Mike sie mit einer Hand am Arm ergriff und in die Gasse zurückschleifte, aus der sie gerade geflohen war, während er mit der anderen die MP schwenkte und blindwütig um sich schoss.
Dann erlosch der Schmerz, so schnell, wie er gekommen war. Ihr Bein tat weiter fast unerträglich weh, und sie bezweifelte, dass sie laufen konnte, aber die fürchterliche Qual, die ihr gesamtes Nervensystem gepeinigt hatte, war fort. Wenn es Gift gewesen war, hatte ihr Körper es rasch absorbiert. Trotzdem - ein einziger oder gar mehrere Treffer dieser lebenden Pfeile in den Körper...
Sie dachte den Gedanken vorsichtshalber nicht zu Ende, sondern stemmte sich mühsam hoch, tauschte das Magazin ihrer MP gegen ein neues aus und kroch ungeschickt an Mikes Seite. Er sah überrascht hoch, hörte aber nicht auf, zu schießen. Und als sie auf die Straße hinausblickte, wusste sie auch, warum.
»Großer Gott!« flüsterte sie. »Das ist das Ende.«
»Ja«, antwortete Mike gepresst. »Das ist ...« Er stockte, runzelte die Stirn und sah verwirrt nach rechts und links. »Wo ist Barton?«
Charity zuckte automatisch die Achseln, doch dann fiel ihr ein, dass sie ihn vorhin gesehen hatte. Er war zu einem niedrigen Gebäude am anderen Ende der Straße hinübergerannt.
»Dort«, sagte sie.
»In der Scheune?« Mike nickte grimmig. »Das habe ich mir gedacht. Der Mistkerl will abhauen! Los!«
Er sprang auf, riss Charity brutal mit sich und rannte im Zickzack über die Straße, wobei er wild um sich schoss.
Sie hatten Glück; ein allerletztes Mal. Die Monster konzentrierten ihre Angriffe auf ein Gebäude auf der anderen Straßenseite, in dem sich einige von Bartons Männern verschanzt hatten, so dass sie nicht angegriffen wurden. Trotzdem hätte zumindest Charity es nicht geschafft, wenn Mike sie nicht einfach mit sich gezerrt hätte. Ihr Bein blutete noch immer, und die Schmerzen wurden durch das Laufen nicht gerade besser.
Aber Mike gestattete ihr auch jetzt noch keine Atempause. Sie erreichten den Lagerschuppen, in dem sie Barton hatte verschwinden sehen, und Mike trat kurzerhand die Tür ein.
Dahinter lag eine weitläufige, fast leere Lagerhalle, die von einer Petroleumlampe nur schwach erhellt wurde. Direkt vor dem Tor stand der schwarze Trans-Am, in dem Harker zu ihnen gekommen war. Unter der getönten Windschutzscheibe konnten sie die Silhouette General Bartons erkennen.
Mike blieb stehen, hob das Gewehr und legte es an. »Tun Sie es nicht, Barton«, sagte er. »Ich schwöre Ihnen, dass ich Sie erschieße, wenn Sie den Zündschlüssel auch nur ansehen.«
Der Schatten hinter der Scheibe erstarrte.
»Keine Bewegung«, fuhr Mike drohend fort. »Cherry - mach das Tor auf.«
Charity schob mit zusammengebissenen Zähnen den schweren Riegel zur Seite.
Die kleine Anstrengung überstieg fast ihre Kräfte. Ihr wurde schwindelig. Sie blieb einen Moment reglos stehen, um Atem zu holen, dann wollte sie das Tor vollends aufschieben, aber Mike hielt sie mit einem raschen Kopfschütteln zurück.
»Nicht«, sagte er. »Noch nicht. Geh zum Wagen. Pass auf, dass er keine Dummheiten macht.«
Der schwarze Trans-Am begann vor ihren Augen zu verschwimmen, als sie den ersten Schritt machte. Sie war so schwach. Und die Schmerzen wurden stärker. Es kostete sie ihr letztes bisschen Energie, neben die Fahrertür zu treten. Die Kraft, ihre Waffe zu heben, hatte sie schon nicht mehr.
Barton blickte sie aus schreckgeweiteten Augen an. »Hören Sie«, begann er. »Wir können zusammen fahren. Der Wagen ist groß genug. Ich ... ich ergebe mich.«
»Halt die Schnauze!« sagte Mike hart. »Raus aus dem Wagen.«
Barton rührte sich nicht. Sein Gesicht war weiß wie das eines Toten. »Sie können mich doch nicht zurücklassen«, wimmerte er. »Das ist Mord.«
»Tun Sie, was er sagt«, murmelte Charity. »Wir nehmen Sie mit, aber jetzt... tun Sie es. Es ist besser... für Sie.«
Sie war so schwach, dass sie sich an der Wagentür festhalten musste, um nicht zu stürzen. Barton blickte entsetzt zu ihr auf, schließlich aber gehorchte er.
Charity sah die Maschinenpistole zu spät, die er auf den Knien hatte. Sie schrie warnend, aber im gleichen Moment stieß Barton die Tür mit solcher Wucht auf, dass sie einfach von den Füßen gerissen wurde, und ließ sich aus dem Wagen fallen. Mike und er feuerten gleichzeitig.
Mikes Kugel durchschlug die Tür des Trans-Am, Bartons rechte Hand und dann seinen Hals, während Bartons Salve Mikes beide Knie zerschmetterte und eine blutige Spur über seine Brust zog.
Es dauerte eine halbe Stunde, ehe Charity wieder genug Kraft gesammelt hatte, Bartons Leichnam vollends aus dem Trans-Am herauszuzerren und seine Taschen nach dem Schlüssel zu durchsuchen. Der Kampflärm draußen auf der Straße hatte nachgelassen, aber nicht ganz aufgehört, und einmal hatte etwas an der Tür gekratzt. Die beiden Flügel des großen Holztores, die jetzt nicht mehr verriegelt waren, hatten sich bewegt, aber was immer dort draußen gestanden hatte, war nicht hereingekommen. Nach allem, was es ihr angetan hatte, schien sich das Schicksal nur einen letzten, bösen Scherz mit ihr erlaubt zu haben.
Ihr wurde wieder übel, als sie sich hinter das Lenkrad des Trans-Am zog und mit zitternden Fingern den Zündschlüssel ins Schloss steckte. Ihr rechtes Bein war steif; sie würde Kupplung, Gas und Bremse nur mit dem linken Fuß bedienen müssen, aber irgendwie würde es schon gehen. Sie hatte keine Angst mehr. Sie fragte sich, was draußen auf der Straße auf sie warten mochte, aber sie dachte auch diesen Gedanken ohne Angst.
Ihr Blick streifte Mikes reglosen Körper. Sie hatte es bisher krampfhaft vermieden, ihn auch nur anzusehen, aber es war nicht halb so schlimm, wie sie geglaubt hatte. Sie spürte... nichts. Aber der Schmerz würde kommen.
Sie drehte den Zündschlüssel. Der Wagen sprang sofort an. Ein letztes Mal visierte sie das Tor über die flache Schnauze des Trans-Am hinweg an, dann legte sie behutsam den Gang ein und gab Gas.
Vor ihr lagen noch fast tausend Meilen, und jede einzelne davon konnte geradewegs in die Hölle führen. Aber sie wusste einfach, dass sie es schaffen würde.
Irgendwie...
17. Kapitel - Gegenwart
12. Dezember 1998
Ihr linker Arm brannte.
Alles, was sie fühlte, war Schmerz, ein entsetzlicher, brennender Schmerz, der im Takt ihres rasenden Herzschlages pulsierte und ihr die Tränen in die Augen trieb.
Sie konnte kaum noch denken. Wenn Stone ihr nicht von Zeit zu Zeit einen Stoß in den Rücken versetzt hätte, hätte sie längst aufgegeben und sich in irgendeine Ecke gekauert, um zu sterben.
Aber das ließ er nicht zu. Immer, wenn sie stehen bleiben wollte, versetzte er ihr einen weiteren Stoß mit dem Gewehrlauf; und wenn ihre Kräfte einfach versagten, was jetzt immer öfter und in immer kürzeren Abständen geschah, zerrte er sie grob auf die Füße und stieß sie weiter. Rings um sie herum brach der Bunker Stück für Stück zusammen. Das Wimmern der Alarmsirenen war längst verstummt, und große Teile der unterirdischen Höhlen und Stollen waren wieder in die Dunkelheit versunken, aus der die Menschen sie für wenige kurze Jahre herausgerissen hatten.