Hatte ihr der Anblick beim ersten Mal nur Unbehagen eingeflößt, so erfüllte er sie jetzt mit nackter Angst. Der Tank war gewaltig, und trotz seiner unbestreitbaren technischen Eleganz hatte er etwas Düsteres an sich. Alles in ihr krampfte sich bei dem bloßen Gedanken zusammen, sich in dieses Ding legen zu sollen.
»Fangen Sie an«, sagte Stone noch einmal. »Und keine Tricks. Ich passe genau auf, dass sie beide Apparate gleich programmieren. Und dann werfe ich eine Münze, um zu entscheiden, in welchem Sie Platz nehmen dürfen, Captain.«
Charity ballte hilflos die Fäuste. Stones Wahnsinn hatte Methode.
Er war verrückt, aber nicht dumm.
Unsicher machte sie sich an die Aufgabe, das elektronische Herz des Kälteschlaftanks zu programmieren, sehr langsam und von nichts als der fast panischen Furcht erfüllt, einen Fehler zu begehen. Eine entsetzliche Vision stieg vor ihrem inneren Auge auf: Sie sah sich selbst, hilflos in einen der gewaltigen Stahlsärge eingesperrt, bei vollem Bewusstsein, aber sterbend, durch irgendeinen dummen Programmierfehler, ein Zittern ihrer Hände, einen qualvollen, tage, vielleicht wochenlangen Tod sterbend. Sie verscheuchte die Vision.
»Wie lange wollen Sie schlafen, Lieutenant?« fragte sie.
»So lange es geht«, antwortete Stone. »Stellen Sie die maximale Laufzeit ein.«
Charity sah auf. »Das können hundert Jahre sein«, sagte sie vorsichtig. Oder tausend. Diese Anlagen waren so gut wie unzerstörbar. Aber das sprach sie nicht aus.
»Um so besser«, sagte Stone. »Los! Tun Sie, was ich gesagt habe.«
Sie gehorchte. Als sie fertig war, winkte Stone sie zurück, warf einen kurzen, aber sehr aufmerksamen Blick auf die Kontrollen am Kopfende des Tanks und deutete auf den Stahlsarg daneben. »Jetzt den.«
Sie brauchte zehn Minuten, um auch den zweiten Computer zu programmieren, und Stone wiederholte die Prozedur - er scheuchte sie zurück und betrachtete das komplizierte Schaltpult. Dann ging er zwischen den Tanks hin und her, offensichtlich, um die beiden Anlagen zu vergleichen. Verdammter Narr, dachte Charity.
»Scheint in Ordnung zu sein«, sagte Stone schließlich. »Jetzt fragt sich nur noch, was Sie wirklich getan haben, Captain.« Er lächelte flüchtig. »Nicht, dass Sie mich für einen kompletten Idioten halten, Laird. Ich bin ziemlich sicher, dass Sie das Ding so programmieren können, dass ich nie wieder aufwache. Haben Sie es getan?«
»Ich bin kein Mörder«, antwortete Charity.
»Ich weiß.« Stone deutete mit einer Geste auf den Tank, den sie als erstes eingeschaltet hatte. »Nach Ihnen, Captain.«
Charity zögerte. Sie hatte Angst. Schreckliche Angst.
Aber schließlich setzte sie sich doch in Bewegung. Langsam trat sie auf den gewaltigen Stahlzylinder zu, berührte die rote Taste an seinem Kopfende und trat zurück, als der Deckel lautlos auseinander klappte. Das Innere des Tanks war winzig, verglichen mit seinem klobigen Äußeren - eine schmale, mit weichem Schaumgummi ausgeschlagene Röhre, in deren rechter Seite eine Anzahl kleiner Kontrollinstrumente und Anschlüsse untergebracht waren. Eine Lampe verbreitete gelbes, gedämpftes Licht. Sie schauderte.
Es war kein Tank, es war ein Sarg. Sie würde wahnsinnig werden, wenn sie auch nur eine einzige Minute darin verbringen musste.
»Gehen Sie«, sagte Stone noch einmal.
Langsam kletterte sie in den Tank, streckte sich auf dem weichen Schaumgummipolster aus und griff mit zitternden Händen nach einem kleinen Metallring, der neben ihr an der Wand hing. Ein Dutzend dünner verschiedenfarbiger Drähte verband ihn mit dem Computer tief im Inneren des Tanks. Sie spürte, wie sich eine Anzahl winziger spitzer Nadeln in ihre Haut senkten, als sie den Ring über ihr linkes Handgelenk streifte und schloss.
Stone beugte sich über sie. Er beobachtete sehr aufmerksam, was sie tat. Und Charity flehte lautlos, dass es richtig war. Großer Gott, man hatte es ihr zehnmal erklärt, aber ihr Gehirn war wie leergefegt. Es war, als hätte sie alles vergessen, was sie jemals gelernt hatte!
»Viel Glück, Captain Laird«, sagte Stone leise. Und fügte hinzu: »Das mit Ihrem Arm tut mir leid. Aber ich musste es tun, das verstehen Sie doch, oder?«
»Ja«, antwortete Charity. »Ich verstehe es.«
Sie wollte noch mehr sagen, aber alle Worte erschienen ihr plötzlich so sinnlos und überflüssig. Rasch griff sie mit der freien Hand nach der durchsichtigen Sauerstoffmaske, die von der Decke hing, stülpte sie über Mund and Nase und spürte, wie sie sich festsaugte. Irgendwo unter ihr begann eine Pumpe zu arbeiten. Die Luft, die ihre Lungen füllte, schmeckte plötzlich bitter.
Sie sah noch, wie Stone zurücktrat und die Hand nach dem roten Schalter ausstreckte, und sie sah auch noch, wie sich der Deckel des gewaltigen stählernen Sarges ganz langsam wieder zu schließen begann, dann griff etwas wie eine warme weiche Hand nach ihren Gedanken, eine Hand, die jeden Schmerz und alle Angst auslöschte.
Sie hatte das Gefühl, in einer unendlich warmen, unendlich wohltuenden Umarmung zu versinken. Und ganz kurz, bevor sie endgültig einschlief, fand sie noch Zeit für einen einzigen Gedanken:
Was würde sie erwarten?