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Einhundertneunundvierzig, dachte sie. Genau einhundertneunundvierzig Sekunden bis zum Kontakt, jedenfalls hatte das der Bordrechner der CONQUEROR behauptet.

Einhundertneunundvierzig Ewigkeiten. Wie viele davon waren bereits vergangen? Und wie viele Sekunden vorher würden sie das Schiff sehen?

Sie widerstand der Versuchung, auf die Uhr zu blicken, und starrte gebannt in die Richtung, aus der die riesige Silberscheibe auftauchen musste; wie alle anderen.

Als es dann passierte, war sie fast enttäuscht. Es geschah vollkommen undramatisch: Einer der winzigen flimmernden Punkte vor ihnen wurde größer und verlor gleichzeitig etwas von seinem Glanz, und dann stand das Schiff vor ihnen, gigantisch und groß, unglaublich groß.

Das Schiff jagte heran, mit einer Geschwindigkeit, die jeder Beschreibung spottete, wurde größer und größter, füllte eine Hälfte des Kosmos vor ihnen vollkommen aus und wuchs noch immer, bis es wie ein aus der Bahn geratener Planet aus mattsilbernem Metall auf sie herabstürzen schien. Charity erkannte bizarre, unglaublich fremdartige Beschriftungen auf seiner Unterseite, hatte einen flüchtigen Eindruck seiner Form - ganz genau der, die die Kameras und Computergrafiken ihnen gezeigt hatten - und dann war es heran; ein Gigant von der Form einer flachen, an den Rändern abgerundeten Scheibe, mit einer kaum sichtbaren, kuppelartigen Erhebung auf der Oberseite. Ein perfektes UFO, riesengroß und irgendwie schön in seiner fremdartigen Eleganz.

»Großer Gott!« wisperte Soerensens Stimme in ihrem Helm. »Es ist gigantisch!«

Charity antwortete nicht darauf, aber der Computer in ihrem Anzug schien Soerensens Ausruf als Stichwort zu benutzen - diesmal schössen Flammen aus allen fünf Rucksäcken. Die kleine Gruppe wurde mit jäher Wucht auf die vorbeirasende Scheibe herabgeschleudert. Soerensen schrie vor Schrecken, und selbst Charity musste mit aller Gewalt den Impuls unterdrücken, in die Kontrollen zu greifen und den rasenden Sturz abzufangen, ehe sie ins Herz dieses künstlichen Mondes aus Stahl hinabgerammt wurden.

Der vernichtende Aufprall, den ihr ihre überreizten Sinne suggerierten, kam nicht. Statt dessen setzte die kleine Gruppe fast sanft auf der Oberfläche des Sternenschiffes auf, und wieder begannen Charitys Sinne für einen Moment zu revoltieren, als die rasende Bewegung des Schiffes von einer Sekunde auf die andere aufzuhören schien. Ihr Magen stülpte sich um, und ihr wurde übel.

Aber sie achtete nicht darauf. Drei der siebzehn Minuten, die ihnen blieben, waren vergangen. Sie mussten an die Arbeit gehen.

Und doch taten sie für die nächsten fünf, zehn Sekunden nichts anderes, als einfach dazustehen und fasziniert auf die ungeheuerliche Ebene aus Metall herabzublicken, auf der sie standen.

Was fühlte sie in diesem Moment? Sie wusste es nicht, weder jetzt noch zu irgendeinem späteren Zeitpunkt. Es war... erhebend, niederschmetternd, großartig, faszinierend... von allem etwas und doch nichts davon wirklich; ein Gefühl, das sie niemals beschreiben konnte, weil es keine passenden Worte dafür gab. Das, was Armstrong empfunden haben mochte, als er den Mond betrat, Kolumbus, als er Amerika entdeckte, Jewgenjew, als seine WOSCHOD auf dem Mars aufsetzte...

Es war ein unbeschreibliches Empfinden, das sie alle durchströmte und das sie sich alle zugleich klein und winzig wie unglaublich mächtig vorkommen ließ.

Schließlich war es wiederum Soerensen, der das andächtige Schweigen brach.

»Dort vorne«, sagte er. »Rechts, Captain Laird. Dort scheint eine Art Einstieg zu sein.«

Charity blickte in die angegebene Richtung und sah, was Soerensen meinte: Nicht einmal weit von ihnen entfernt gähnte ein kreisrundes Loch im Boden.

»Okay. Beeilen wir uns. Und seid vorsichtig.« Sie gingen los.

Die Magnetsohlen ihrer Stiefel weigerten sich, sie am Rumpf des Sternenschiffes festzuhalten, so dass sie sich nur sehr vorsichtig bewegen konnten, um nicht von der Kraft ihrer eigenen Schritte ins All hinauskatapultiert zu werden, aber sie schafften es. Nach einer knappen Minute standen sie in einem Dreiviertelkreis, dessen Größe von der Länge ihrer Sicherheitsleinen bestimmt wurde, um den Einstieg herum und blickten in die Tiefe.

Es schien tatsächlich ein Zugang ins Innere des Schiffes zu sein, aber er führte irgendwie ins Nichts, denn die gebündelten Lichtstrahlen ihrer Scheinwerfer trafen nirgendwo auf Widerstand. Das Licht verlor sich irgendwo in fünfzig, vielleicht auch hundert Meter Entfernung in der Schwärze.

»Worauf warten wir?« fragte Soerensen. Er machte einen Schritt und blieb wieder stehen.

Charity blickte gebannt in die Tiefe. Was sie sah - genauer gesagt, was sie nicht sah -, gefiel ihr nicht. Es gab keine Wände. Kein Boden. Nichts. Wenn es ein Schacht war, dann musste er fast durch das gesamte Schiff führen.

»Worauf warten wir, Captain?« fragte Soerensen noch einmal. »Wir haben nur noch achteinhalb Minuten.«

»Das gefällt mir nicht«, antwortete Charity. Etwas warnte sie, aber sie wusste nicht einmal, - wovor. Verdammt, wenn sie nur ein bisschen mehr Zeit hätte, zu überlegen!

»Soerensen, Bellinger, Landers - ihr bleibt hier«, befahl sie. »Mike und ich gehen allein.«

Charity schaltete sein Funkgerät kurzerhand ab, löste ihre Sicherheitsleine aus dem Verband und machte einen vorsichtigen Schritt nach vorne. Auf der anderen Seite des Einstieges tat Mike es ihr gleich.

Schnell, aber trotzdem mit scheinbar quälender Langsamkeit glitten sie in die Tiefe. Für einen Moment streiften die Strahlen ihrer Scheinwerfer das Metall ihrer Schiffshülle, und ihr fiel auf, wie dick und unsauber verarbeitet es war: eine gut meterdicke Platte aus grobem Stahl. Nicht einmal die Ränder des Einstieges waren ganz glatt. Das Loch schien mehr aus dem Rumpf herausgebrochen als sorgfältig hineingeschnitten worden zu sein. Vielleicht durch den Aufprall eines Meteoriten, überlegte sie.

Dann waren sie hindurch, und die Strahlen ihrer Scheinwerfer verloren sich wieder in alles umfassender Schwärze. Es gab keine Möglichkeit, die Geschwindigkeit ihres Hinabsinkens zu schätzen, denn um sich herum war nichts als Dunkelheit, aber sie glaubte zu spüren, dass sie sich erhöhte. Behutsam griff sie an ihren Gürtel, ließ ihre Rucksackrakete eine kurze Feuerzunge ausstoßen und spürte, wie sich ihr Sturz in die Tiefe verlangsamte.

»Was ist los?« fragte Soerensens Stimme in ihrem Helm. »Was sehen Sie dort unten, Captain?«

Charity ignorierte ihn. Sie sah nichts. Der armdicke Strahl ihres Scheinwerfers kreiste beständig, aber er förderte nichts als Leere zutage. Dieses gewaltige Raumschiff enthielt nichts. Vielleicht war es eine Art Beiboothangar, in dem sie sich befanden, vielleicht...

Sie zwang sich, den Gedanken nicht zu Ende zu verfolgen, und konzentrierte sich statt dessen darauf, ihren Scheinwerferstrahl beständig weiterkreisen zu lassen.

Sie waren nur hier, um zu sehen. Herumraten konnten sie später.

Schließlich zeigte der Lichtstrahl doch etwas - über ihr. Der bleiche Kreis aus weißem Halogenlicht tastete zitternd über roh zusammengefügte Stahlplatten und glitt weiter, ohne mehr als diesen künstlichen metallenen Himmel zu treffen.

»Verdammt, Laird, was sehen Sie?« rief Soerensen. »So reden Sie doch! Wir haben nur noch sieben Minuten. Was haben Sie gefunden?!«

Charity seufzte. »Kommen Sie herunter und sehen Sie es sich selbst an, Professor«, sagte sie. »Aber passen Sie auf, dass sie sich nicht den Kopf stoßen. Es ist verdammt eng hier drinnen.«

Nicht einmal eine Sekunde später tauchte der Lichtstrahl von Soerensens Scheinwerfer über ihnen auf, dicht gefolgt von dem Bellingers und Landers. Mike hob seine eigene Lampe und leuchtete die drei winzigen silberhellen Gestalten an, die fünfzig Meter über ihnen durch die Decke kamen. Soerensen fluchte, als ihn der Lichtstrahl blendete.

Dann verstummte er jäh, als er begriff. Für einen Moment tat er Charity fast leid.