„Daß ich mit meiner Antwort so lange gewartet habe, sollten Sie nicht als Unhöflichkeit auffassen“, erwiderte Eins-Dreizehn. „Auf Chalderescol stellt die Nahrungsaufnahme eine wichtige und angenehme Tätigkeit dar, und sich beim Essen zu unterhalten wird als indirekte Kritik am Gastgeber angesehen, weil man das Mahl offenbar als fade und langweilig empfindet. Selbst hier, wo man die Verpflegung ernsthaft kritisieren kann, behalten wir unsere guten Manieren.“
„Ich verstehe“, sagte Gurronsevas.
„Um Ihre Frage zu beantworten“, fuhr Eins-Dreizehn fort, „die Bälle, aus denen meine Mahlzeit bestanden hat, ähneln zwar Eiern, sind aber keine, auch wenn sie eine harte, genießbare Schale haben, die einen Kern aus einem — natürlich synthetischen — Nahrungskonzentrat umschließt, das sich bei Berührung mit den Verdauungssäften zu einem Vielfachen des ursprünglichen Volumens ausdehnt und auf diese Weise ein körperliches Sättigungsgefühl hervorruft. Auch wenn wir Chalder allesamt einen verwöhnten Gaumen haben und sehr gut wissen, daß Hunger der beste Koch ist, haben diese Bälle einen künstlichen und alles andere als feinen Geschmack, der obendrein. Um sie vollständiger zu beschreiben, müßte meine Ausdrucksweise zwangsläufig ungehobelt werden.“
„Nun, das kann ich gut nachvollziehen“, pflichtete ihm Gurronsevas bei. „Aber können Sie mir neben den Geschmacksunterschieden auch die Unterschiede im Aussehen und in der Konsistenz zwischen den verschiedenen natürlichen und synthetischen Nahrungsmitteln beschreiben? Übrigens verletzen Sie mein Zartgefühl keineswegs, wenn Sie übelschmeckende oder schlecht zubereitete Speisen mit ungehobelten Ausdrücken belegen, weil ich das bei meinem Küchenpersonal eine ganze Reihe von Jahren selbst gemacht habe.“
Patient Eins-Dreizehn begann, indem er betonte, er wolle dem Hospital gegenüber nicht undankbar klingen, da ihm die Behandlung, die ihm hier gewährt worden sei, immerhin das Leben gerettet habe. In den engen und für einen AUGL geradezu Platzangst hervorrufenden Grenzen der überfüllten Station seien medizinische und chirurgische Wunder vollbracht worden, und sich dann darüber zu beklagen, daß das Essen unappetitlich sei, erscheine ihm unter diesen Umständen kleinlich. Seinen Erzählungen zufolge war auf seinem Heimatplaneten selbstverständlich genügend Platz vorhanden, um zu essen, sich zu bewegen und die Geschmacksrezeptoren durch die Erwartung und Ungewißheit zu schärfen, die aufgrund der Notwendigkeit entstand, bestimmte Beutetierarten zu jagen, die nicht einfach zu fangen waren.
In der Wasserwelt von Chalderescol II, so berichtete Eins-Dreizehn weiter, verspürten die Chalder trotz der zivilisierenden Einflüsse mehrerer Jahrhunderte immer noch das sowohl physiologische als auch ästhetische Bedürfnis, sich ihr Fleisch nicht in totem Zustand und — was ihre Instinkte anging — im Frühstadium der Verwesung auf einem Teller servieren zu lassen, sondern es selbst zu jagen. Um körperlich gesund zu bleiben, mußten sie die Kiefer, die Zähne und ihre schweren gepanzerten Körper beschäftigen, und die Zeit, in der sie sich am stärksten anstrengten und am meisten Spaß hatten, stellte sich — abgesehen von der kurzen jährlichen Periode, in der sie sich fortpflanzen konnten — dann für sie ein, wenn sie aßen.
Die im Hospital als Mahlzeit servierten Bälle wiesen laut Eins-Dreizehn zwar eine Schale auf, die hart genug war, und sie stellten zweifellos auch ein nahrhaftes Gericht dar, aber ihr Kern bestand aus einem weichen, geschmacklosen, ekelhaften Brei, der dem zum Teil vorverdauten Fleisch von frisch erlegten Beutetieren ähnelte, mit dem die AUGLs ihre zahnlosen Kleinkinder fütterten. Sofern ihn nicht eine schwere Krankheit oder Verletzung zur Bewegungslosigkeit verdammte, war ein erwachsener Chalder gezwungen, sich auf andere, angenehmere Dinge zu konzentrieren, wenn er beim Verzehr dieses scheußlichen Zeugs keinen Brechreiz verspüren wollte.
Aufmerksam lauschte Gurronsevas jedem einzelnen Wort von AUGL-Eins-Dreizehn. Hin und wieder bat er zwar um genauere Erklärungen oder machte Vorschläge, dachte aber immer daran, die schöpferische Übertreibungskraft eines Patienten, der sich offensichtlich freute, einen neuen Gesprächspartner gefunden zu haben, bei dem er sich beklagen konnte, in angemessener Weise zu berücksichtigen. Die ständige Diskussion über Essen in seinen vielen, für einen Chalder unschmackhaften Formen erinnerte Gurronsevas dennoch daran, daß es bereits vier Stunden her war, seit er selbst etwas zu sich genommen hatte.
„Falls ich Sie mal unterbrechen dürfte, um das Problem zusammenzufassen“, sagte Gurronsevas, als Eins-Dreizehn sich mit nur geringen Abweichungen zu wiederholen begann. „Als erstes wäre da die Form und Konsistenz der Nahrung, die insofern angemessen ist, als sie Kiefer und Zähne beschäftigt, Zweitens ist der Geschmack unbefriedigend, weil er künstlich durch chemische Zusätze erzeugt wird und der anspruchsvolle Gaumen der Chalder jeden derartigen Ersatz augenblicklich bemerkt. Und drittens fehlen die sich im Wasser ausbreitenden Gerüche, die von den echten Beutetieren ausgehen, wenn sie gejagt werden.
Bei meiner kürzlichen Untersuchung ähnlich gelagerter Probleme anderer Lebensformen im Hospital habe ich herausgefunden, daß die Stationsverpflegung nicht in der Verantwortung der Lebensmitteltechniker liegt, sondern sich in der Hand des klinischen Diätisten befindet, der wiederum auf Anweisung des verantwortlichen Arztes handelt“, fuhr Gurronsevas fort. „Das Hauptinteresse des betreffenden Arztes besteht ganz zu Recht darin, Mahlzeiten zu verordnen, die die medizinischen Bedürfnisse des Patienten unterstützen. Da diese Verordnung zugleich eine Ausweitung der medizinischen Behandlung des Patienten darstellt, spielen Geschmack und Geruch nur eine untergeordnete Rolle, falls sie überhaupt berücksichtigt werden. Doch meiner Ansicht nach sollten sie sehr wohl in Betracht gezogen werden, und zwar ernsthaft, sei es auch nur für die heilsamen psychologischen Auswirkungen auf Patienten wie Sie, die sich auf dem Weg der Besserung befinden und ermuntert werden sollten, zu essen und sich körperlich zu betätigen.
Bedauerlicherweise kann ich vorläufig nur wenig für den Geschmack und die Beschaffenheit Ihrer Verpflegung tun, da ich erst einmal den für Sie verantwortlichen Arzt und den entsprechenden Nahrungssynthetiker zu Rate ziehen muß“, setzte Gurronsevas seine Ausführungen fort, wobei die Begeisterung für das Thema den nagenden Hunger betäubte. „Doch in der Regel kann man die meisten Gerichte schon dadurch appetitlicher erscheinen lassen, indem man sich verschiedene Anrichtungsarten einfallen läßt. Zum Beispiel durch eine interessante Farbkombination oder durch eine phantasievolle Formgebung und Anordnung der Bestandteile auf einem Teller, damit das Essen sowohl eine optische Anziehungskraft ausübt als auch.“
Als Gurronsevas einfiel, daß Patient AUGL-Eins-Dreizehn nicht von einem Teller aß und der optische Reiz seiner Nahrung für ihn in erster Linie in ihrer Fähigkeit bestand, überall im Essensbereich hin und her zu flitzen, brach er mitten im Satz ab. Doch seine Verlegenheit währte nur kurz, denn Hredlichli war aus dem Personalraum aufgetaucht und kam im Eiltempo auf sie zugeschwommen.
„Ich muß Sie in Ihrem übermäßig langen und für mich alles andere als interessanten Gespräch unterbrechen“, sagte die Oberschwester, während sie sich zwischen den Patienten und Gurronsevas treiben ließ. „Chefarzt Edanelt müßte jeden Moment seine Abendvisite machen. Kehren Sie bitte zu Ihrem Schlafgestell zurück, Eins-Dreizehn. Und Diätist Gurronsevas, falls Sie das Gespräch fortsetzen möchten, werden Sie warten müssen, bis Doktor Edanelt seine Runde durch die Station beendet hat. Soll ich mich dann mit Ihnen in Verbindung setzen?“
„Nein danke“, antwortete Gurronsevas. „Patient Eins-Dreizehn hat mir einige äußerst nützliche Auskünfte gegeben. Ich bin Ihnen beiden sehr dankbar und werde hoffentlich nicht eher zurückkehren müssen, bevor es mir gelungen ist, bei der Stationsverpflegung der AUGLs eine Verbesserung erzielt zu haben.“