Danaltas physiologische Klassifikation lautete TOBS. Er gehörte einer Spezies an, die sich auf einem Planeten mit einer äußerst exzentrischen Umlaufbahn entwickelt hatte, die zu derart starken Klimaschwankungen führte, daß zum Überleben ein Höchstmaß an körperlicher Anpassungsfähigkeit erforderlich war. Die Spezies war auf ihrem Planeten zur dominanten Lebensform geworden und hatte Intelligenz und eine Zivilisation entwickelt, aber nicht durch das Konkurrieren im Herausbilden natürlicher Waffen, sondern durch die Verfeinerung und Perfektionierung des Anpassungsvermögens. Im Fall der Konfrontation mit natürlichen Feinden hatten die TOBSs die Wahl zwischen vier Möglichkeiten: der Flucht, der Schutzanpassung, der Annahme einer für den Angreifer erschreckenden Gestalt oder der Ausbildung eines harten, undurchdringlichen Schutzpanzers.
Die TOBSs waren im Grunde amöbisch, besaßen jedoch die Fähigkeit, die für jede Umgebung oder Situation erforderlichen Gliedmaßen oder Sinnesorgane auszustülpen oder eine Schutzhaut zu bilden.
„In den Zeiten vor der Entwicklung von Intelligenz sind die Geschwindigkeit und die Genauigkeit der Anpassung entscheidend gewesen“, setzte Danalta seine Erklärungen fort, wobei er, ohne eine Pause einzulegen, zuerst die Gestalt eines verkleinerten Tralthaners annahm, der bis auf die Größe ein genaues Ebenbild von Gurronsevas war, um sich gleich darauf in eher der Lebensgröße entsprechende Spiegelbilder von Naydrad und Murchison zu verwandeln. „Um eine Bedrohung durch Raubtiere zu vermeiden, hat die schnelle Nachahmung der Handlungen und Verhaltensmuster der potentiellen Angreifer eine wichtige Rolle bei der Anpassung gespielt. Aus diesem Grund mußten wir außerdem rezeptive empathische Fähigkeiten ausbilden, um zu wissen, was für ein Aussehen und Verhalten unser Gegenüber von uns erwartete. Daß diese Fähigkeiten an Reichweite und Feinfühligkeit denen von Doktor Prilicla nicht annähernd gleichkommen, brauche ich wohl nicht extra zu erwähnen.
Da meine Spezies über derartige körperliche und psychologische Schutzmechanismen verfügt, kann man uns keine körperlichen Schäden zufügen, es sei denn, man vernichtet uns auf physikalischem Weg oder setzt uns Hochtemperaturen aus“, fügte Danalta hinzu. „Dabei handelt es sich jedoch um Bedrohungen, die nicht durch natürliche Feinde, sondern durch die moderne Technik entstehen. Leider sterben wir immer noch an Altersschwäche, obwohl wir keinerlei Schwierigkeiten haben, die Gestalt eines Kleinkinds anzunehmen.“
„Faszinierend!“ staunte Gurronsevas. „Aber mit diesen natürlichen Schutzmechanismen hat Ihre Spezies doch bestimmt keinen großen Bedarf an Ärzten, oder?“
„Das stimmt allerdings“, bestätigte Danalta. „Auf meinem Heimatplaneten wird die Heilkunst nicht benötigt, und ich bin auch kein Arzt. Doch mit meinen Nachahmungsfähigkeiten — und an dieser Stelle muß ich darauf hinweisen, daß sie selbst unter den Angehörigen meiner eigenen Spezies als überdurchschnittlich eingestuft werden — stellt ein Institut wie das Orbit Hospital eine gewaltige Herausforderung für mich dar. Wegen der Arbeit, die ich auf der Rhabwar und bei den Patienten auf den Stationen leisten kann, bestehen meine Freunde allerdings darauf, mich mit dem Titel „Doktor“ anzusprechen.
Haben Sie noch weitere Fragen, Gurronsevas?“
Der Tralthaner spürte, wie er sich zusehends für dieses ganz eigenartige Lebewesen erwärmte, das genau wie er selbst einzig und allein wegen der beruflichen Herausforderung ans Hospital gekommen war.
Während er noch versuchte, eine einfache Frage, die einen Angehörigen einer derart seltsamen Spezies wie die TOBSs womöglich kränkte, in einer höflichen, indirekten Art zu formulieren, befiel ihn ein plötzliches Schwindelgefühl. Die Rhabwar hatte die Sprungdistanz erreicht und tauchte gerade in den Hyperraum ein, ein Umstand, der durch die Sichtfenster bestätigt wurde, hinter denen nichts als ein flimmerndes Grau zu sehen war.
„Gurronsevas, könnte Ihr Zögern bedeuten, daß die Frage, die Sie stellen möchten, ein wenig taktlos ist und sich möglicherweise um das Thema „Fortpflanzüng“ dreht?“ fragte Prilicla freundlich. „Vergessen Sie bitte nicht: Bei Danalta handelt es sich — genau wie bei mir — um einen rezeptiven Empathen. Doch Telepathen sind wir nicht. Wir spüren, daß Sie noch eine Frage haben. Wie sie lautet, wissen wir nicht, nur, daß Sie die Antwort für wichtig halten.“
„Ja, für mich ist sie wichtig“, gestand Gurronsevas und fragte schließlich: „Doktor Danalta, was essen Sie eigentlich so?“
Pathologin Murchison warf den Kopf in den Nacken und lachte, Oberschwester Naydrads silbriges Fell schlug langsam vom Kopf bis zum Schwanz unregelmäßige Wellen, und Priliclas Körper reagierte auf etwas, das Gurronsevas mittlerweile als plötzliche Ausstrahlung angenehmer Emotionen kannte. Lediglich Danalta blieb reglos und ernsthaft.
„Tut mir leid, Gurronsevas, da muß ich Sie schwer enttäuschen“, antwortete er, „denn meine Spezies verfügt über keinen Geschmackssinn. Bis auf spezialgehärtete Metalle kann ich alles essen, egal, wie es aussieht oder welche Konsistenz es hat, und das tue ich auch. Ich bin dafür bekannt, in Augenblicken großer geistiger Konzentration schon mal ein Stückchen von den Bodenplatten verzehrt zu haben, auf denen ich gerade stehe, und das hat die Schiffsoffiziere früher äußerst ärgerlich gemacht.“
„Das Gefühl kenne ich sehr gut“, merkte Gurronsevas an.
Während sich die Mitglieder des medizinischen Teams auf ihre unterschiedlichen Arten belustigt zeigten, erinnerte er sich an die Abschiedsworte, die Lioren an ihn gerichtet hatte. Er, Gurronsevas, befinde sich noch in der Probezeit, hatte ihn der Padre gewarnt, und es gebe Dinge, die er tun müsse, und Dinge, die er nicht einmal probieren dürfe. Der Versuch, an dem Nahrungssynthesizer des Schiffs herumzubasteln, gehöre ganz eindeutig zu letzterem. Vor allem müsse Gurronsevas daran denken, daß er sich auf einem kleinen Schiff mit einer ganz kleinen Besatzung von Spezialisten befinde, und er solle sich nach besten Kräften bemühen, sich diese Leute nicht zu Feinden, sondern zu Freunden zu machen. Seit das medizinische Team an Bord gekommen war, hatte er genau das zu tun versucht, indem er die eigene Bedeutung geleugnet und eine höfliche und mit Bewunderung gemischte Neugier gegenüber Danalta und mit der Zeit auch gegenüber den anderen an den Tag gelegt hatte. Überraschenderweise hatte ihn das keine große Mühe gekostet, doch jetzt fragte er sich, ob er den für ihn untypischen Charme womöglich übertrieben hatte und ihn die Mitglieder des medizinischen Teams insgeheim für oberflächlich und unaufrichtig hielten — oder war es vielleicht so, daß sie sich genauso angestrengt bemühten, freundlich zu sein, wie er? Zudem fragte er sich, ob er mit dem Versuch, sich mit den nichtmedizinischen Offizieren der Rhabwar anzufreunden, ebensoviel Erfolg haben würde.
Wie aufs Stichwort leuchtete der Bildschirm des Schiffskommunikators auf und zeigte den Kopf und die von der grünen Uniform des Monitorkorps bedeckten Schultern eines Terrestriers.
„Unfalldeck, hier spricht der Captain“, sagte er in scharfem Ton. „Ich habe Ihr Gespräch seit einigen Minuten mitgehört. Doktor Prilicla, was hat diese, diese wandelnde tralthanische Katastrophe auf meinem Schiff zu suchen?“
Obwohl der Kontrollraum für die empathischen Fähigkeiten des Cinrusskers weit entfernt lag, machte die emotionale Ausstrahlung des Captains dem Empathen ein wenig zu schaffen. Dennoch antwortete Prilicla, ohne zu zögern: „Für die Dauer des gegenwärtigen Einsatzes ist Freund Gurronsevas vom medizinischen Team zu dessen nichtmedizinischen Berater bestimmt worden. Bei dem, was uns erwartet, könnte sich seine Sachkenntnis als hilfreich erweisen. Bitte machen Sie sich um mögliche Auswirkungen auf den Schiffsrumpf keine Sorgen, Freund Fletcher. Der Chefdiätist wird auf dem Unfalldeck untergebracht. Er benötigt kein spezielles Lebenserhaltungssystem und wird es nicht darauf ankommen lassen, Ihre für geringe Schwerkraft vorgesehenen Einrichtungsgegenstände und Geräte zu beschädigen, indem er sich durchs Schiff bewegt, es sei denn, Sie fordern ihn ausdrücklich dazu auf.“