Obwohl überall genügend Regenwolken über den Himmel zogen, wies die Oberflächenvegetation lediglich in einem schmalen Streifen rings um den Äquator Spuren normalen Wachstums auf. Ober- und unterhalb des Grüngürtels nahm die Färbung zu den nördlichen und südlichen gemäßigten Zonen hin zunehmend Gelb- und Brauntöne an, bevor sie sich in der Tundra am Rande der polaren Eisgebiete ganz verlief. Ausgedehnte Wüstenflächen waren in diesen Gebieten nicht zu entdecken; es war einfach so, daß die einst dichten Wälder und welligen Wiesen abgestorben und verdorrt oder aufgrund wetterbedingter Blitzeinschläge in großen Feuersbrünsten verbrannt waren, die sich durch ganze Landschaften gefressen haben mußten — und die neue Vegetation kämpfte sich noch immer durch die Asche der alten ans Licht.
Auf dem Unfalldeck war man nach wie vor in diesen Anblick versunken, ohne ihn jedoch zu genießen, als der Captain auf dem Bildschirm des Kommunikators erschien.
„Doktor Prilicla, wir haben eine Nachricht von Captain Williamson von der Tremaar erhalten“, meldete Fletcher. „Wie er sagt, ist es für den Einsatz nicht erforderlich, daß die Rhabwar an seinem Schiff ankoppelt, aber er würde gern gleich mit Ihnen sprechen.“
Nach Gurronsevas Auffassung bekleidete der Kommandant eines Vermessungs- und Erstkontaktschiffs des Monitorkorps bestimmt einen sehr viel höheren Rang als der Captain eines Ambulanzschiffs, und dieser hier hatte offenbar vor, nun davon Gebrauch zu machen.
„Chefarzt Prilicla“, meldete sich Williamson ohne Einleitung, „ich möchte niemanden persönlich beleidigen, aber ich bin ganz und gar nicht erfreut, Sie hier zu sehen. Das liegt daran, daß ich nicht glücklich mit einer Einsatzphilosophie bin, der fast so etwas wie Verzweiflung zugrunde liegt und die anscheinend von der Annahme ausgeht, daß, wenn Ihre Anwesenheit hier nicht schadet, sie vielleicht etwas nützen könnte. Aus Ihren Anweisungen wissen Sie ja bereits, daß die Lage hier ziemlich vertrackt ist, und für eine Verbesserung gibt es keinerlei Anzeichen. Zwar überwachen wir den Planeten ständig mit Kameras und Oberflächensensoren, aber wir stehen mit niemandem auf Wemar in direkter Verbindung. Dort unten gibt es eine kleine Gruppe von Wemarern, die möglicherweise etwas weniger stolz und halsstarrig oder einfach intelligenter als die anderen ist und von der wir den Eindruck gewonnen haben, daß ein paar von ihren Mitgliedern durchaus der Auffassung waren, von unseren Hilfsangeboten profitieren zu können. Doch auch diese Wemarer haben schließlich aufgehört, mit uns zu sprechen, und die Translatoren zerstört. Ich persönlich glaube nach wie vor an die Möglichkeit, daß diese Gruppe die Verbindung wiederaufnimmt — vorausgesetzt, wir unterlassen alles, was sie kränken könnte — und uns, wenn wir vorsichtig vorgehen, in die Lage versetzt, erneut in Kontakt mit den anderen, weniger zugänglichen Gruppen zu treten, die mit der Zeit die umfangreiche Katastrophenhilfe akzeptieren werden, die sie so dringend benötigen.“
Williamson holte tief Luft und fuhr fort: „Unabhängig von Ihren guten Absichten, Doktor, könnte das ungebetene Hereinplatzen der Rhabwar in eine derartige Situation all diese schwachen Hoffnungen für die Zukunft zunichte machen. Und falls Sie in einem Gebiet in Äquatornähe landen sollten, wo die politische Macht und die Überreste der Verteidigungstechnik der Wemarer konzentriert sind, könnte das sogar zu Schäden an Ihrem Schiff und zu Opfern unter der Besatzung führen. Die Bemühungen eines kleinen medizinischen Teams werden sich nicht wesentlich auf die hiesigen Umstände auswirken, außer vielleicht zum Schlechten.“
Während der Captain der Tremaar all das sagte, verfolgte Gurronsevas mit prüfendem Blick dessen Verhalten und die kleinen Veränderungen im Gesichtsausdruck. Bei Williamson handelte es sich um einen Terrestrier, der in vieler Hinsicht Chefpsychologe O’Mara ähnelte. Die buschigen Sicheln über den Augen und der Kopfbewuchs, der unter der Uniformmütze hervorlugte, wiesen dieselbe metallisch graue Tönung auf, die Augen wandten sich niemals ab und blinzelten nicht, und die Äußerungen des Captains waren von jener Selbstsicherheit erfüllt, die aus der Gewohnheit, Befehle zu erteilen, resultierte. Vom Auftreten her war Williamson jedoch wesentlich höflicher als O’Mara.
Schon die zuvor erhaltenen Instruktionen hatten angedeutet, daß sich das medizinische Team auf einige Auseinandersetzungen mit den vor Ort befindlichen Autoritäten gefaßt machen konnte, aber das hier klang nach Gurronsevas Dafürhalten nach einer wirklich ernsthaften Meinungsverschiedenheit. Er fragte sich, was ein schüchterner und zurückhaltender Empath wie Prilicla gegen einen derart starken Widerstand ausrichten konnte.
„Leider kann ich Ihnen nicht befehlen, zurück zum Orbit Hospital zu fliegen, weil Sie theoretisch an jedem Katastrophenort automatisch die Einsatzleitung übernehmen, und die hiesige Lage könnte sich schnell zu einer Katastrophe von ungeahnter Größenordnung entwickeln. Doch bei den Wemarern handelt es sich um eine stolze Spezies, deren Zivilisation zwar untergeht, aber — wie es in solchen Situationen oft der Fall ist — noch viel von der Waffentechnik bewahrt hat. Wir wollen hier keinen weiteren Zwischenfall wie den auf Cromsag riskieren. Um der Sicherheit Ihrer Besatzung willen und zur Vermeidung des seelischen Schocks, den ein Empath durch einen Fehlschlag mit Opfern erleiden könnte, den er zu verantworten hätte, möchte ich Ihnen dringend raten, sofort zum Orbit Hospital zurückzukehren.
Bitte denken Sie ernsthaft über meinen Ratschlag nach, Doktor, und lassen Sie mich Ihre Absichten so bald wie möglich wissen“, schloß Williamson.
Prilicla schwebte weiterhin ruhig vor der Kamera des Kommunikators in der Luft und ließ, wie Gurronsevas sah, keinerlei Anzeichen einer Einschüchterung erkennen — vielleicht kannte er auch nur eine einzige Art, auf die er einem anderen denkenden Wesen, ungeachtet dessen hohen Rangs oder schlechter Manieren, gegenübertrat. „Captain, für die Sorge um die Sicherheit meiner Besatzung und für die ganz richtige Befürchtung, ich persönlich würde psychisch darunter leiden, falls jemand Verletzungen davontrüge, bin ich Ihnen dankbar“, antwortete der Empath. „Nachdem Ihnen das bekannt ist, müssen Sie ebenfalls wissen, daß ich zur körperlich zerbrechlichsten, schüchternsten und unabänderlich feigsten Spezies der Föderation gehöre. Wir Cinrussker schrecken vor nichts zurück, um körperliche Schmerzen oder emotionales Unbehagen von uns selbst und denjenigen, die sich gerade in unserer Nähe befinden, abzuhalten, was für einen Empathen ein und dasselbe ist. Mein Freund, daß ich keine unnötigen Risiken eingehe, ist ein Naturgesetz, ein Gebot der Evolution.“
Williamson schüttelte ungeduldig den Kopf. „Sie sind der ranghöchste medizinische Offizier auf der Rhabwar, dem Ambulanzschiff, das mehr hoch gefährliche Rettungseinsätze durchgeführt hat als jedes andere Schiff des Monitorkorps“, entgegnete er. „Natürlich können Sie behaupten, daß diese Risiken zum jeweiligen Zeitpunkt notwendig und unvermeidlich gewesen sind, und zwar selbst für ein Wesen, für das Feigheit lebensnotwendig ist. Aber bei allem Respekt, Doktor, die Gefahren, die Sie auf Wemar auf sich nehmen würden, sind überflüssig, vermeidbar und dumm.“
Prilicla zeigte keinerlei körperliche Reaktion auf die barschen Worte des Captains, und das mußte, wie Gurronsevas schlagartig klar wurde, daran liegen, daß sich die Tremaar viele tausend Kilometer entfernt auf der Umlaufbahn um Wemar befand und selbst für einen Empathen von Priliclas Feinfühligkeit zu weit entfernt war, um Williamsons emotionale Ausstrahlung noch wahrzunehmen. In freundlichem Ton antwortete Prilicla: „Als erstes habe ich die Absicht, mir selbst ein Bild von der Lage in der gemäßigten Zone im Norden zu machen, wo die Technik und die Lebensbedingungen primitiv und die Wemarer hoffentlich geistig flexibler sind. Danach werde ich mich entscheiden, ob wir landen oder nicht und ob wir den Einsatz abbrechen.“