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Mit lauter Stimme fragte sie: „Ist das etwa der Grund, weshalb Gurronsevas mit an Bord ist?“

19. Kapitel

Die Rhabwar drang aus der Umlaufbahn in die Atmosphäre des Planeten ein und ging auf Unterschallgeschwindigkeit, um eine Gegend in der nördlichen gemäßigten Zone anzufliegen, in der sich laut Williamson eine Siedlung von Wemarern befand, die vielleicht nicht so stolz und feindselig wie die anderen waren. Gurronsevas erhielt die Gelegenheit, aus dem Fenster ein großes Stück der Wemarer Landschaft zu betrachten. Dies geschah allerdings nicht, weil Captain Fletcher der Auffassung war, man würde an einem langsamen Tiefflug über die Oberfläche eines Planeten, den man noch nicht kannte, Spaß haben, sondern weil es als schlechte Angewohnheit betrachtet wurde, über einem Gebiet, in dem man auf die Einheimischen einen guten Eindruck zu machen hoffte, einen Überschallknall zu verursachen.

Die kleinen Narben und Kratzer des Planeten, die durch die große Entfernung des Orbits und die Wolkendecke darunter verschleiert und verharmlost worden waren, erwiesen sich aus der momentanen Flughöhe der Rhabwar von tausendfünfhundert Metern als schwere Wunden. Unter dem Ambulanzschiff entfalteten sich eine niedrige, bewaldete Gebirgskette, deren scharfkantige Hänge und Gipfel durch von Gelb und Braun durchsetztem Grünbewuchs weiche Umrisse erhielten, und weiße, grün und braun gesprenkelte Graslandebenen. Auf einem anderen Planeten wären solche Farbvariationen auf jahreszeitliche Veränderungen zurückzuführen gewesen, doch wie auch Gurronsevas mittlerweile wußte, besaß der Planet Wemar keine Achsenneigung.

Einmal überflogen sie ein schmales, langgestrecktes, schwarz verfärbtes Gebiet, dessen Verlauf der vorherrschenden Windrichtung entsprach. Hier war einst durch einen Blitzeinschlag oder einen leichtsinnigen Einheimischen ein Brand entstanden, der in der fast völlig verdorrten Vegetation schnell verheerende Ausmaße angenommen hatte. Oft sahen sie dicht unter sich die Ruinen der Wemarer Städte, die sich wie große, graue, ausgetrocknete Wunden in die Luft erhoben. Die Straßen und Gebäude waren von widerlich gelbem Unkraut überwuchert, vernachlässigt, verfallen und nur noch von Geistern bewohnt. Gurronsevas war direkt froh, als den grausigen Ausgeburten seiner Phantasie von der Stimme des Captains ein Ende bereitet wurde.

„Hier Kontrollraum. Wir werden die Siedlung der Wemarer in schätzungsweise fünfzehn Minuten erreichen, Doktor.“

„Danke, mein Freund“, antwortete Prilicla. „Bitte behalten Sie die momentane Flughöhe bei und kreisen Sie über der Gegend, damit sich die Wemarer an den Anblick des Schiffs gewöhnen können. Unterdessen werfen Sie einen Zwei-Wege-Kommunikator mit integriertem Translator in der Nähe der Geräte ab, die die Wemarer zerstört haben. Ich hoffe nur, die DHCGs halten uns nicht für dumm und verschwenderisch, sondern eher für versöhnlich und hartnäckig. Landen Sie, solange wir noch volles Tageslicht haben, und zwar so nahe bei der Siedlung, wie es ohne Belästigung der Wemarer möglich ist.“

„Wie sieht es mit Schutzvorkehrungen aus, Doktor?“

„Fahren Sie den Meteoritenschild auf den geringsten Abstand aus“, antwortete Prilicla. „Schalten Sie ihn nur auf Abstoßung, nicht auf Energiestöße, und machen Sie die äußere Umgrenzung sichtbar, damit niemand aus Versehen dagegen läuft. Die erforderlichen individuellen Sicherheitsmaßnahmen werden wir besprechen, kurz bevor wir von Bord gehen.“

Die Siedlung der Wemarer bestand aus einigen hölzernen Nebengebäuden und einer in eine Felswand geschlagenen Mine von unbekannter Tiefe und befand sich am oberen Rand eines tiefen Tales, das von Norden nach Süden verlief. Die Wände des Tals waren so steil, daß die Sonnenstrahlen jeden Tag nur wenige Stunden lang hereinfielen, und die Pflanzen, die auf den unteren Abhängen und im Tiefland wuchsen, sahen genauso „gesund“ aus wie diejenigen, die man am Äquator entdeckt hatte. Mehrere kleine Flächen, die eher den Eindruck von Gärten als von Feldern machten, wurden bebaut. Auf der Höhe der oberen Talsohle befand sich ein großer Eingang zur Mine, und in der Felswand waren drei weitere kleine zu sehen, doch ohne Kenntnisse über das Ausmaß des verborgenen Stollennetzes und der Kammern war es unmöglich, die Anzahl der Bewohner zu schätzen.

Da sich die Rhabwar ohnehin nicht geräuschlos nähern konnte, kündigte sie ihre Anwesenheit zusätzlich an, indem sie — obwohl die Spitzen der Berghänge über dem Tal noch im Sonnenschein lagen — die gesamte Außenbeleuchtung einschaltete, so daß der ganze Rumpf und die breiten Deltaflügel den Mineneingang wie eine gleißend weiße, dreieckige Sonne erhellten. Bis jetzt sagten die vielen Symbole, die die Flügel schmückten — das rote Kreuz der Erde, die orangefarbene Sonne der Illensaner, das gelbe Blatt von Traltha und die vielfältigen anderen Zeichen, die den Grundgedanken der überall in der Föderation uneingeschränkt gewährten Hilfe repräsentierten—, den Wemarern noch nichts, doch dieser Zustand änderte sich hoffentlich bald.

Die vielen beruhigenden Worte, die man den Wemarern vor dem Eintreffen der Rhabwar mit großer Lautstärke über den abgeworfenen Zwei-Wege-Kommunikator gesagt hatte, zeigten, wie Gurronsevas befürchtet hatte, keine unmittelbare Wirkung.

„Seien Sie nicht enttäuscht, mein Freund“, tröstete ihn Prilicla. „Bei vielen DHCGs spüre ich Neugier und bei einigen wenigen Vorsicht, doch die emotionale Ausstrahlung ist nur schwach und kaum zu.“

„Hier Kontrollraum“, unterbrach ihn Captain Fletcher. „Sie haben recht, Doktor. Unsere Sensoren zeigen eine große Gruppe von Wemarern an, die sich in der Öfllhüng des Eingangsstollens befindet. Zwar stehen diese Aliens zu dicht zusammengedrängt, um ihre Größe oder Anzahl genau zu bestimmen, doch wir glauben, daß es sich um mindestens hundert handelt. Da es keine Hinweise auf Metall gibt, führen sie mit Sicherheit keine Werkzeuge, Arbeitsgeräte oder Waffen mit sich. Drei Wemarer, bei denen es sich um die vorsichtigeren Wesen handeln muß, von denen Sie gesprochen haben, haben sich direkt in der Stollenöffinung postiert und scheinen die anderen zurückzuhalten. Haben Sie irgendwelche Befehle?“

„Nein, keine, mein Freund“, antwortete der Empath. „Im Moment können Sie sich uns einfach beim Abwarten und Zuhören anschließen.“

Man stand, saß oder schwebte vor dem Sichtfenster, durch das man auf den Eingang der Mine blicken konnte, der für das bloße Auge leer erschien, und lauschte der zuvor aufgenommenen Botschaft, die für die Wemarer abgespielt wurde. Sie war einfach und wurde langsam und deutlich gesprochen, damit ihre Verständlichkeit nicht unter den von der Felswand zurückgeworfenen Echos litt. Außerdem war sie unsagbar langweilig, wie Gurronsevas nach der ersten endlosen halben Stunde Zuhören dachte.

„Wir sind Freunde und werden Ihnen nichts tun“, plärrte die Kommunikator-Translator-Kombination. „Unser Schiff mag Ihnen fremdartig und vielleicht erschreckend vorkommen, aber unsere Absichten sind friedlich. Wir sind hier, um Ihnen und insbesondere Ihren Kindern zu helfen, falls wir dazu imstande sind und Sie es uns gestatten. Wir sind nicht wie die anderen, die vorher zu Ihnen gesprochen haben. Unser Schiff ist klein und enthält gerade genug Proviant für die Besatzung und einen kleinen Reservevorrat, darum werden wir es nicht wagen, Ihnen zu nahe zu treten, indem wir Ihnen etwas zu essen anbieten, sofern Sie es uns nicht erlauben. Ob wir Ihnen helfen können, wissen wir nicht. Aber wir würden uns gern mit Ihnen unterhalten und etwas über Sie erfahren, um herauszufinden, ob wir Ihnen helfen können oder nicht.

Wir sind Freunde und werden Ihnen nichts tun…“

„Doktor, während wir hier warten, hätte ich mal eine Frage“, sagte Gurronsevas plötzlich, weil er versuchen wollte, sowohl die Langeweile zu zerstreuen, als auch die starke Neugier zu stillen, die er empfand, seit die erste Bemerkung zu seiner Aufgabe an Bord gefallen war. „Vor einiger Zeit hatten Sie angedeutet, daß ich dem medizinischen Team als eine Art Berater in Ernährungsfragen zugeteilt worden sei. Wenn das zutrifft, ist das jedenfalls ohne mein Wissen oder meine Zustimmung geschehen. Doch falls ich nicht bloß ein blinder Passagier bin, der vor der Hospitalleitung versteckt wird, und Ihre damalige Äußerung gegenüber dem Captain keine Lüge gewesen ist, um diesen Umstand zu vertuschen, könnten Sie mir dann bitte mal verraten, wieso mich O’Mara hierhergeschickt hat?“