Einen Augenblick lang entgegnete Prilicla nichts. Sein zerbrechlich wirkender Körper und die Gliedmaßen zitterten, doch Gurronsevas glaubte nicht, daß seine eigene Neugier und die Verärgerung stark oder unangenehm genug waren, um diese Wirkung hervorzurufen. Vielleicht stammte die emotionale Ausstrahlung von jemand anderem, oder der Empath schickte sich an, eine Lüge aufzutischen, wie es hin und wieder vorkam, wenn er einer emotionalen Unannehmlichkeit aus dem Weg gehen wollte.
„Freund O’Mara strahlt viele komplexe Emotionen aus“, antwortete Prilicla schließlich. „Jedes Mal, wenn er Sie erwähnt hat, habe ich bei ihm Anerkennung, gepaart mit Verärgerung, wahrgenommen sowie das strikte Verlangen, Ihnen zu helfen. Da ich aber kein Telepath bin, konnte ich zwar die Empfindungen, nicht aber die Gedanken des Chefpsychologen verstehen. Falls Freund O’Mara beabsichtigt hat, Sie dem medizinischen Team zuzuteilen.“
„…muß er wirklich zutiefst verzweifelt gewesen sein“, warf plötzlich Naydrad ein, deren Fell sich aufgeregt kräuselte. „Sehen Sie nur, die kommen raus!“
Die Wemarer strömten aus dem Mineneingang, als ob jemand einen Wasserhahn aufgedreht hätte. Rennend, sich mit dem Schwanz voranschnellend und geräuschvolle unübersetzbare Laute ausstoßend, stürmten sie auf die Rhabwar zu. Bis auf die drei Erwachsenen, die auf der einen Seite der Stollenöffinung standen und vermutlich für das Zurückhalten der anderen verantwortlich gewesen waren, handelte es sich ausschließlich um junge Wemarer. Einige von ihnen waren so klein und unbeholfen, daß sie oft zur Seite fielen, wenn sie mit ihren Schwänzen zu springen versuchten. Doch durch diese Stürze wurden sie beim Vorwärtsstürmen kaum aufgehalten, und schon bald hatten sie ihre Freunde eingeholt, die ständig dicht um den Meteoritenschild herumliefen und — sprangen und dabei aus Leibeskräften schrien.
Murchison lachte plötzlich. „Ich habe das Gefühl, daß die eigentlich mit Pfeil und Bogen auf uns losgehen müßten“, merkte sie eher beiläufig an.
„Meinem Eindruck nach sind die alle nur neugierig und aufgeregt und veranstalten — wie alle Kinder in diesem Gefühlszustand — eine Menge Lärm“, widersprach Prilicla. „Eine Gefahr stellen sie jedenfalls nicht dar.“
„Tut mir leid“, entschuldigte sich Murchison. „Das ist eine nicht ernsthaft gemeinte Anspielung auf ein Stück terrestrische Geschichte gewesen und nicht lustig genug, als daß sich eine Erklärung lohnen würde. Aber auch die Erwachsenen kommen jetzt näher, zumindest zwei vonAihnen.“
Die drei DHCGs bewegten sich langsamer und vorsichtiger als die jungen Wemarer, und bis auf einen Holzstock, den der eine trug, hielten sie keine Waffen in den Händen. Zwei von ihnen näherten sich mit einer langsamen Folge von Sprüngen, die sie mit Hilfe des Schwanzes vollführten und die jeweils von kurzen Pausen unterbrochen waren. Der dritte bewegte sich noch langsamer voran, und zwar nur auf den Hinterbeinen, wobei er den Stock benutzte, um einen Teil des Körpergewichts abzustützen. Schließlich sprach Murchison die Gedanken aus, die Gurronsevas schon länger durch den Kopf gingen.
„Die scheinen körperlich sehr schwach zu sein und legen bei den Bewegungen ihrer Gliedmaßen und des Schwanzes äußerste Vorsicht an den Tag“, stellte die Pathologin fest. „Aber meiner Ansicht nach könnte das eher an Altersgebrechlichkeit als an einer Krankheit liegen. Alle drei DHCGs sind weiblich und befinden sich in stark geschwächtem Zustand und. Die mit dem Stock geht jetzt auf den Kommunikator zu!“
„Ihre Ansicht ist ganz zutreffend, meine Freundin“, stimmte ihr Prilicla zu, „doch Ihre unausgesprochene Befürchtung, die vermutlich dem Umstand gilt, die DHCG könnte den Stock benutzen, um den Kommunikator zu zerstören, ist unbegründet. Ich nehme bei der alten Wemarerin weder Wut noch einen Zerstörungstrieb, sondern nur Neugier und leichte Verwirrung wahr.“
„Um das Gerät zu zerstören, braucht man schon mehr als einen Spazierstock“, warf die Stimme des Captains ein.
„Stimmt, mein Freund“, pflichtete ihm Prilicla bei. „Doch sobald die Wemarerin das Gerät erreicht hat, stellen Sie die Übertragung ab, und schalten Sie auf Kommunikationsmodus in beide Richtungen um.“
„Wie lange mag es wohl hersein, seit einer Ihrer Gefühlseindrücke einmal unzutreffend gewesen ist, Prilicla?“ fragte Danalta, der sich zum ersten Mal zu Wort meldete.
Rund ums Schiff wurden die vielen jungen Wemarer allmählich müde, aber keineswegs leiser. Mit dem Rennen und Springen hatten sie aufgehört, um sich in kleinen Gruppen rings um den Meteoritenschild zu sammeln. Sie drängten sich gegen die elastische, fast unsichtbare Barriere oder lehnten sich im Fünfundvierzig-Grad-Winkel dagegen und riefen sich, wenn sie nicht umfielen, aufgeregt etwas zu. Einige der verwegeneren DHCGs rannten auf den Schild zu, sprangen dagegen und stießen aufgeregte, womöglich vergnügte Schreie aus, wenn sie zurückgeworfen wurden. Die beiden Erwachsenen hatten sich inzwischen zu ihnen gesellt und unterhielten sich leise, da aber gleichzeitig zu viele, wesentlich lauter geführte Gespräche stattfanden, konnte der Schiffstranslator ihre Unterhaltung nicht einzeln erfassen. Die dritte Wemarerin war neben dem Kommunikator stehengeblieben, der die Übertragung sofort einstellte.
„Zumindest die Stille ist willkommen“, sagte die Wemarerin, ohne einen Moment zu zögern. „Halten Sie uns alle für taub? Oder für geistig zurückgeblieben, weil Sie dieselbe Botschaft dauernd wiederholt haben? Wissen Sie denn nicht, daß es einen mehr erzürnt als beruhigt, wenn man ständig in ohrenbetäubender Lautstärke beruhigende Worte zugebrüllt bekommt? Von Wesen, die von den Sternen gekommen sein müssen, hätte ich mehr Intelligenz erwartet. Kann dieses doofe Gerät überhaupt hören, oder kann es nur schreien? Was wollen Sie eigentlich von uns?“
„Die Lautstärke ist um zwei Drittel reduziert“, meldete der Captain leise. „Sie können sprechen, Doktor.“
„Danke“, flüsterte Prilicla und flog näher an den Kommunikator heran. Dann betätigte er den Sendeknopf und sagte: „Tut uns leid, daß das Gerät zu laut gewesen ist und wir Sie verärgert haben. Wir hatten nicht vor, Ihnen zu nahe zu treten und Ihnen mangelnde Hörfähigkeit oder gar fehlende Intelligenz zu unterstellen. Es war einfach so, daß wir gerne in einem großen Umkreis gehört werden wollten.
Wir möchten uns mit Ihnen und Ihren Freundinnen unterhalten, etwas über Sie erfahren und Ihnen in jeder möglichen Form helfen“, fuhr Prilicla fort. „Sie sind für uns genauso fremdartig, wie wir für Sie sein werden, wenn Sie uns zum ersten Mal zu Gesicht bekommen. Wir sind jederzeit bereit, Fragen über uns zu beantworten, und würden Ihnen gerne welche über Sie stellen. Vorausgesetzt, es gibt keine persönlichen oder kulturellen Gründe, uns keine Auskünfte zu erteilen, und gesetzt den Fall, Sie sind gewillt, einem Fremden zu antworten, möchte ich Sie zuerst nach Ihrem Namen fragen. Ich heiße Prilicla und bin Arzt.“
„Was für ein alberner Name!“ rief die Wemarerin belustigt. „Das klingt ja wie eine Handvoll aneinanderknirschender Kiesel. Ich bin Tawsar, die oberste Lehrerin. Das Retten und Verarzten überlasse ich anderen. Wie lautet Ihre zweite Frage?“
„Ist es für die jungen Wemarer dort, wo sie jetzt sind, so weit von der schützenden Mine entfernt, auch sicher?“ erkundigte sich Prilicla. „Von uns haben sie nichts zu befürchten, aber sind sie nicht jetzt, wo es bald dunkel wird, von nachts umherstreifenden Raubtieren bedroht?“