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Gurronsevas’ erster Gedanke war, daß es wirklich wichtigere Dinge gab, nach denen sich Prilicla hätte erkundigen können; doch nach genauerem Überlegen sah er ein, daß der Empath durch die frühzeitig geäußerte Sorge um die Sicherheit der kleinen Wemarer eine Rücksicht und Freundlichkeit an den Tag gelegt hatte, die seinen beruhigenden Worten mehr Nachdruck verliehen als alles, was er sonst hätte sagen können.

„Bei uns ist es üblich, die Kinder jeden Tag für ein paar Stunden aus der Mine hinauslaufen zu lassen, wenn die Sonne nicht die junge Haut versengt oder bei den Kleinen Veränderungen bewirkt, unter denen sie womöglich eines Tages zu leiden haben“, antwortete Tawsar. „Außerdem wird auf diese Weise die Energie freigesetzt, die sie sonst in der Klasse laut und aufsässig machen und die sie selbst und ihre Lehrerinnen vom Schlaf abhalten würde. In der Mine können sie nämlich nicht frei herumlaufen oder mit Hilfe der Schwänze umherspringen, was für die ganz Kleinen ein völlig unnatürlicher Zustand ist. Doch von Raubtieren droht ihnen keine Gefahr, weil alle derartigen Lebewesen — ob es sich nun um große und gefährliche Bestien oder um kleine Nagetiere handelt — in dieser Gegend schon seit langem durch die Jagd ausgerottet sind. Ihr Schiff hat den Kindern sowohl eine ganz neue Erfahrung als auch ein Ventil für die überschüssige Energie verschafft. Wie lange wird Ihr Schiff hier liegen bleiben?“

Eine Schule war der ideale Ort, um neugierige und gedanklich flexible Köpfe zu finden, dachte Gurronsevas, und er konnte sich die wachsende Aufregung im medizinischen Team lebhaft vorstellen.

„Solange Sie es uns erlauben“, entgegnete Prilicla rasch. „Aber wir würden Sie und Ihre Freundinnen und Freunde lieber persönlich kennenlernen, anstatt uns durch dieses Gerät mit Ihnen zu unterhalten. Wäre das möglich?“

Tawsar schwieg lange Zeit und antwortete dann: „Eigentlich sollten wir unsere Zeit nicht durch Gespräche mit Ihnen vergeuden. Man wird unser Verhalten öffentlich kritisieren. Na, egal, wir sind eben neugierig und zu alt, um uns was daraus zu machen. Aber Sie müssen verschwinden, bevor unsere Jäger zurückkommen. Das müssen Sie mir versprechen.“

„Versprochen“, sagte Prilicla einfach, und bei den Mitgliedern des medizinischen Teams gab es keine Zweifel, daß der Empath dieses Versprechen auch einhalten würde. „Doch wenn wir uns Ihnen zeigen, könnte es ein Problem geben. Vom Körperlichen her unterscheiden wir uns sehr von den Wemarern. Die Kinder — und vielleicht auch Sie selbst — könnten unseren Anblick als grauenvoll und abstoßend empfinden.“

Tawsar stieß einen Laut aus, der nicht übersetzt wurde, und sagte dann: „Die Wesen vom anderen Raumschiff haben wir zwar nicht gesehen, aber sie haben uns ihr Aussehen beschrieben. Es handelt sich um fremdartige, aufrecht gehende Wesen ohne einen Schwanz zum Ausbalancieren, von denen einige ganz und gar von Fell bedeckt sind und andere nur auf dem Kopf. Doch diese Wesen wollten unsere Lebensgewohnheiten ändern, deshalb haben unsere Jäger die Sprechgeräte zerstört, bevor sie losgezogen sind. Was das Erschrecken unserer Kinder angeht, bezweifle ich, daß Sie denen grauenvoller vorkommen werden als die Kreaturen, die sich die Kleinen in ihrer Phantasie bereits für Ihr Schiff ausgemalt haben.

Wenn ich es mir überlege, wäre es allerdings besser, sich jetzt noch nicht zu zeigen“, fuhr die DHCG fort, bevor Prilicla etwas antworten konnte. „Die Kleinen sind so schon aufgeregt genug, und wenn unser Nachwuchs Sie erst einmal zu Gesicht bekommt, hätten wir Schwierigkeiten, die Kinder in die Schlafräume zu verfrachten — von der Mühe, sie zum Einschlafen zu bringen, ganz zu schweigen. Falls Sie eine längere Zeit bei uns bleiben wollen, wäre es günstiger für uns und sicherer für Sie, wenn wir Sie den Kindern während des Unterrichts vorstellen.“

„Sie haben mich nicht verstanden, Tawsar“, sagte Prilicla vorsichtig. „Bei den Wesen, die Ihnen ihr Aussehen beschrieben haben, hat es sich um Orligianer und Terrestrier gehandelt. Wir haben zwar auch fünf Terrestrier an Bord — das sind diejenigen mit dem Kopfbewuchs—, aber auch vier andere Lebensformen, die Ihnen noch fremdartiger erscheinen werden. Die eine ist ein Tralthaner, ein Wesen mit sechs Beinen und mindestens der dreifachen Körpergröße eines erwachsenen Wemarers. Bei der zweiten handelt es sich um eine Kelgianerin, die halb so groß und schwer wie ein Wemarer ist, über siebzehn Beinpaare verfügt und von einem silbernen, beweglichen Fell bedeckt ist. Außerdem haben wir noch einen Gestaltwandler dabei, der ein so furchtbares oder freundliches Erscheinungsbild annehmen kann, wie es die Umstände gerade erfordern. Und zu guter Letzt ist noch ein großes Fluginsekt an Bord, nämlich ich selbst. Falls Sie die Vorstellung, einem dieser Lebewesen zu begegnen, beunruhigt, dann wird der Betreffende auf dem Schiff bleiben und Ihnen nicht vor Augen kommen.“

„Ihr Gestaltwandler ist. ist.“, begann Tawsar und fuhr dann mit fester Stimme fort: „Er ist eine Gestalt aus einer Geschichte, die man hier Kindern erzählt, und zwar ganz kleinen Kindern. Erwachsene sind nicht einfältig genug, um an so was zu glauben.“

Der Empath, der ganz offensichtlich hoffte, Tawsars zukünftige Verlegenheit zu verringern, entgegnete darauf nichts. Und auf dem Boden unter dem schwebenden Prilicla nahm Danalta sich windend und krümmend die verkleinerte Gestalt einer alten Wemarerin an und sagte leise: „Kein Kommentar.“

20. Kapitel

Früh am folgenden Morgen, als erst die nach Osten blickenden Gipfel über dem Tal von der aufgehenden Sonne beschienen wurden und der Zugang zur Mine noch im Halbdunkel lag, erschien Tawsar hinter dem schimmernden Vorhang des Meteoritenschilds. Mehrere Gruppen aus zwanzig bis dreißig jungen Wemarern, die jeweils von einem Erwachsenen angeführt wurden, hatten bereits die Mine verlassen und verteilten sich auf die verschiedenen Arbeits- oder Lernstätten auf der Talsohle und den unteren Berghängen.

An Bord der Rhabwar war man zu dem Schluß gekommen, daß die Funktion der Wemarer Siedlung irgendwo zwischen einem Lehrinstitut und einem sicheren Zufluchtsort für Kinder einzuordnen war, deren Eltern von der Jagd lebten und entweder für lange Zeit unterwegs oder tot waren. Diese Folgerung konnte nur vorläufig sein und dürfte nach der bevorstehenden Begegnung mit Tawsar zweifellos noch umfangreiche Korrekturen erfahren.

Wenn Gurronsevas daran dachte, wie langsam und unter welchen offensichtlichen Schmerzen Tawsar zum Meteoritenschild gekommen war, überraschte es ihn keineswegs, daß Prilicla anordnete, den mit Schwerkraftneutralisatoren ausgerüsteten Krankentransporter nach draußen zu schaffen. Zwar ließ sich die Ausrüstung, die vom medizinischen Team mitgeführt wurde, leicht und gut genug tragen, um das Fahrzeug überflüssig zu machen, doch es war offensichtlich, daß der Empath Tawsar zu überreden hoffte, sich gemütlich fahren zu lassen, anstatt sich den selbstzugefügten Schmerzen beim Gehen auszusetzen — Qualen, die Prilicla nicht so gerne teilen wollte.

Als erster verließ der Cinrussker die Schleuse und flog voran, während ihm Murchison, Naydrad, Danalta und Gurronsevas die ausfahrbare Rampe hinunter zum Boden folgten und durch den Meteoritenschild hindurchgingen, der sich vom Schiff entfernenden Körpern keinen Widerstand entgegensetzte. Gurronsevas war zwar nicht aufgefordert worden, das medizinische Team zu begleiten, aber verboten hatte es ihm auch niemand, und er mußte sich dringend ausgiebiger bewegen, als es in den beengten räumlichen Verhältnissen des Unfalldecks möglich war.

Wortlos musterte Tawsar jeden einzelnen von ihnen, als sie näher kamen und sich in einem Halbkreis um die DHCG herum aufstellten, der nach Priliclas Deutung der emotionalen Ausstrahlung der Wemarerin groß genug war, daß diese sich nicht unwohl fühlte, und beruhigend auf sie wirkte, weil er Tawsar den Fluchtweg zur Mine hin offenließ. Prilicla hielt sich mit langsamen Schlägen seiner schillernden Flügel in einem ruhigen und gleichmäßigen Schwebeflug, Naydrads Fell kräuselte sich wie Wellen auf einem silbernen Meer, Murchison lächelte, und Gurronsevas stand einfach reglos da. Danalta verwandelte sich abwechselnd von einem Kelgianer ohne Fell in ein nicht besonders schmeichelhaftes Abbild der Pathologin Murchison, bevor er wieder die Gestalt eines unförmigen grünen Klumpens mit einem einzelnen Auge, einem Ohr und einem Mund im oberen Teil annahm. Schließlich brach Tawsar das Schweigen.