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Etwa zweihundert Meter voraus stand eine Mauer aus riesigen, unbehauenen Steinen, die mit Mörtel verbunden waren und die Höhlenöffnung verschlossen. In der Mauer befanden sich zehn große Fenster, von denen drei noch Scheiben besaßen, während die Bretter, mit denen die übrigen vernagelt waren, den Eindruck erweckten, auf Dauer angebracht worden zu sein. Durch die verglasten Fenster fiel dennoch genügend Tageslicht in die Höhle, um die künstliche Beleuchtung zu einem trüben gelben Glimmen verblassen zu lassen und die in Reihen aufgestellten bankähnlichen Tische zu erhellen, die durch breite Gänge in Gruppen zu jeweils zwanzig oder mehr geteilt wurden.

Zunächst glaubte Gurronsevas, sich im gemeinschaftlichen Speiseraum zu befinden, doch dann mußte er sich zumindest teilweise korrigieren. Gegenüber jeder rechteckigen Tischgruppe stand nämlich ein Einrichtungsgegenstand, dessen hier an die Größe und Gestalt der Benutzer angepaßte Grundform praktisch jeder intelligenten Spezies in der Föderation vertraut war: es handelte sich um eine Tafel auf einem staffeleiähnlichen Gestell. An den Höhlenwänden standen Beistelltische. Auf einigen waren Teller und Eßgeräte aufgestapelt, auf anderen Bücher, die aussahen, als würden sie jeden Moment vor Altersschwäche auseinanderfallen. An in den Fels getriebenen Nägeln hingen in gesprungenen Glasrahmen zahlreiche große Wandkarten, die fast bis zur Unleserlichkeit ausgeblichen waren.

Offensichtlich handelte es sich bei dieser Höhle also nicht nur um einen Speiseraum, sondern auch um ein Klassenzimmer.

Obwohl die Teammitglieder all das mit eigenen Augen sahen, was ihre Kameras auf Fletchers Schirm übertrugen, schilderte ihnen der Captain laufend, was er erblickte, wahrscheinlich, weil die Bilder für eine Weiterübertragung zur Tremaar aufgezeichnet wurden.

„Die Möbel und die Einrichtung sind alt“, berichtete Fletcher gerade. „Dort, wo ursprünglich Metallbeine befestigt waren, kann man noch die Rostflecken erkennen, und die Ersatzbeine aus Holz sehen ebenfalls nicht besonders neu aus. Auch die Wandstreben sind durch und durch verrostet. Zudem müssen die Wemarer zuwenig Glas haben, denn sonst hätten sie die Fenster nicht an den Stellen mit Brettern vernagelt, wo normalerweise Tageslicht für den Unterricht im Klassenzimmer vorhanden wäre.

Die Mauer vor der Höhlenöffnung habe ich vorhin übersehen“, fuhr Fletcher fort, wobei sich ein entschuldigender Unterton in seine Stimme schlich, „weil sie mit verwitterten Steinen aus hiesigen Vorkommen hochgezogen worden ist, die wegen des zurückgesetzten Standorts der Mauer im Schatten eines Felsüberhangs nur schwer von den Höhlenwänden zu unterscheiden sind. Ich würde sagen, die Mauer dient eher dazu, die jüngeren Bewohner zu schützen als sie einzusperren, denn die Höhlenöffnung befindet sich in einer steilen Felswand einige hundert Meter über der Talsohle. Doch jetzt haben wir die Mauer deutlich im Blick. Sollte im Notfall ein eiliger Rückzug erforderlich werden, können Danalta und Gurronsevas leicht die vernagelten Fenster durchbrechen. Dann kann Doktor Prilicla aus der Höhle hinausfliegen, und für den Rest von Ihnen besteht eine Fluchtmöglichkeit durch Einsatz des.“

„Nicht des Krankentransporters!“ fiel ihm Naydrad ins Wort, deren Fell sich aufgeregt zu Stacheln bündelte. „Der stellt in erster Linie ein Bodenfahrzeug dar. In einer Höhe von mehr als fünfzehn Metern schaukelt er wie ein betrunkener Crrelyin!“

„…durch den Einsatz des Traktorstrahls“, fuhr Fletcher fort. „Die Rhabwar ist nah genug, um Sie alle mit dem Traktorstrahl zu erfassen und nacheinander auf dem Boden abzusetzen.“ „Captain, die Möglichkeit, daß ein lebensgefährlicher Notfall eintritt, ist sehr gering“, beruhigte ihn Prilicla. „Die emotionale Ausstrahlung von Tawsar und den anderen Wemarern in der Mine, denen wir noch nicht begegnet sind, ist keineswegs feindselig, und das sind schließlich diejenigen, die in dieser Einrichtung das Sagen haben. Unsere Freundin empfindet eine Mischung aus Scham, Verlegenheit und großer Neugier. Sie will etwas von uns, doch handelt es sich dabei wahrscheinlich nur um Auskünfte. Auf gar keinen Fall hat sie den Wunsch, uns zur Schnecke zu machen — wie es in Ihrer recht bildhaften, aber biologisch unsinnigen terrestrischen Redensart heißt. Bitte schalten Sie wieder auf den Translatormodus, sonst denkt Tawsar noch, wir sprechen über sie.“

— Prilicla und Tawsar unterhielten sich weiter, wobei die anderen Mitglieder des Teams hin und wieder etwas einwarfen, doch das Gespräch wurde zu medizinisch, um Gurronsevas Interesse wachzuhalten. Er ging zu den Fenstern hinüber, um einen Blick nach unten auf die Rhabwar zu werfen, die unter der Kuppel ihres Meteoritenschilds glitzerte, und um sich die Talsohle und die verstreuten Gruppen von jungen Wemarern anzusehen, die dort arbeiteten. Die am weitesten entfernte Gruppe hatte sich in einer Reihe aufgestellt und trat gerade den Rückweg zur Mine an.

Von diesem Vorgang hatte die Rhabwar bisher nichts berichtet. Da der wachhabende Offizier nicht über Gurronsevas erhöhten Blickwinkel verfügte, dürfte er die Gruppe auch noch nicht gesehen haben.

Der Tralthaner wandte ein Auge zurück, um nach hinten zu sehen, wo Prilicla und Murchison den Gebrauch des Handscanners aus dem Transporter an Naydrad und anderen, nicht aber an Danalta demonstrierten, der seine inneren Organe willkürlich bewegen konnte, die zudem für eine einfache erste Lektion in der Anatomie fremder Spezies viel zu verwirrend waren. Für jemandem in ihrem Alter und mit den unflexiblen Denkgewohnheiten, die normalerweise damit verbunden sind, erfaßte Tawsar den Gedanken, einen lebenden Körper von innen zu untersuchen, ohne ihn zu öffnen und ihm Schmerzen zuzufügen, erstaunlich schnell. Gebannt starrte sie auf die inneren Organe, die schlagenden Herzen, die Lungen in ihren verschiedenen Atmungszyklen und auf den komplizierten Knochenbau des cinrusskischen Chefarzts Prilicla, der terrestrischen Pathologin und der kelgianischen Oberschwester.

Daß Tawsar neugierig wurde und einen Blick auf die Vorgänge in ihrem eigenen Innern werfen wollte, war unvermeidlich. Das verschaffte Prilicla die Gelegenheit, die er benötigte, um weitere persönliche medizinische Fragen zu stellen.

„Wenn Sie sich die Hüfte und das Knie hier und hier genau ansehen, können Sie die Knorpelscheiben erkennen, die zwischen den einzelnen Gelenkteilen liegen und dort ein dünnes, reibungsminderndes Polster bilden sollen. In Ihrem Fall sind diese Zwischenflächen jedoch nicht mehr glatt und geschmeidig. Die Knochen sind spröde und uneben geworden, und durch die Bewegung der Gliedmaßen und die zusätzliche Last des Körpergewichts auf nicht mehr glatte Gelenkflächen sind die Knorpel eingerissen, haben sich entzündet und den Zustand allgemein verschlimmert, indem sie die Beweglichkeit eingeschränkt und praktisch jede körperliche Regung zur Qual gemacht haben.“

„Erzählen Sie mir mal etwas, das ich noch nicht weiß“, schlug Tawsar vor.

„Das werde ich schon“, entgegnete Prilicla freundlich. „Doch vorher muß ich Ihnen noch etwas sagen, das Ihnen bereits bekannt ist: Ihre Verfassung ist auf den Alterungsvorgang zurückzuführen, dem alle Spezies unterworfen sind. Mit der Zeit werden sämtliche Lebewesen altern, die Sie hier um sich herum sehen, wobei es bei jedem unterschiedlich lange dauert, weil wir nicht dieselbe Lebenserwartung haben. Unsere körperlichen Fähigkeiten — manchmal auch die geistigen — werden abnehmen, bis wir zu guter Letzt sterben. Niemand von uns ist in der Lage, den natürlichen Alterungsprozeß umzukehren, doch bei richtiger Medikation und Behandlung können die Symptome vermindert oder ihr Auftreten hinausgezögert und die körperlichen Beschwerden somit beseitigt werden.“

Für einen Moment sagte Tawsar nichts, und Gurronsevas brauchte kein Empath zu sein, um die Zweifel der Wemarerin zu spüren. „Ihre Medikamente würden mich vergiften oder mir irgendeine gefährliche fremdweltlerische Krankheit aufhalsen. Mein Körper muß trotz seiner Gebrechlichkeit gesund und innerlich rein bleiben. Nein!“