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„Meine Freundin, wir würden nicht einmal versuchen, Ihnen zu helfen, wenn für Sie dabei auch nur das geringste Risiko bestünde“, versicherte ihr Prilicla. „Weil Sie bislang keine Möglichkeit hatten, das zu erfahren, ist Ihnen nicht klar, daß es zwischen den Wemarern und den hier vertretenen Fremdweltlern viele Gemeinsamkeiten gibt. Wir atmen bis auf geringfügige Unterschiede in der Zusammensetzung dieselbe Luft und essen die gleichen Grundformen von Nahrungsmitteln.“

Die bleistiftdünnen Beine und die langsam schlagenden Flügel des Cinrusskers begannen zu zittern, doch nur für einen Augenblick.

„Aus diesem Grund sind sich die Funktionsweise unserer Körper, der Atmungsvorgang, die Verdauung und Ausscheidung, die Fortpflanzung und das körperliche Wachstum sehr ähnlich. Doch es gibt einen wichtigen und entscheidenden Unterschied: Wir können uns nicht gegenseitig anstecken — weder wir uns bei Ihnen noch Sie sich bei uns. Das liegt daran, daß die Krankheitserreger, die Keime, die sich auf einem Planeten entwickelt haben, nicht die Macht haben, die Lebensformen von einem anderen zu befallen. Nach Jahrhunderten engen und ununterbrochenen Kontakts mit verschiedenen Spezies auf vielen unterschiedlichen Planeten hat sich das als Regel bestätigt, von der wir bis heute keine einzige Ausnahme gefunden haben.“

Prilicla schaltete erneut den Translator ab und sagte schnelclass="underline" „Bei der Erwähnung von Essen ist eine starke emotionale Ausstrahlung zu spüren gewesen. Ich habe wieder dieselben Gefühle — Scham, Neugier und großen Hunger — wahrgenommen. Weshalb sollte sich eine Bewohnerin eines von Hunger geplagten Planeten schämen, hungrig zu sein?“

Indem er den Translator wieder anschaltete, fuhr er an Tawsar gewandt fort: „Wir können Ihnen zwar nicht versprechen, daß Sie jemals wieder wie eine junge Wemarerin laufen und hüpfen können, doch sollten wir imstande sein, Sie zu behandeln, werden sich Ihre Beschwerden spürbar verringern. Falls nicht, werden sich weder Veränderungen Ihres Zustands noch zusätzliche Schmerzen einstellen. Auch die Entnahme der Proben, die wir brauchen, um sicherzugehen, daß unsere Medikamente Ihnen nicht schaden, tut nicht weh.“

Wie Gurronsevas wußte, war das nicht bloß eine therapeutische Lüge, denn in diesem Fall spürte der Arzt alles, was seine Patientin fühlte. Nach dem schwachen Zittern zu urteilen, das an Priliclas Beinen zu beobachten war, merkte er außerdem, daß sich die Patientin zu einer schwierigen Entscheidung durchrang.

„Ich muß geistesgestört sein“, sagte Tawsar plötzlich. „Also gut, ich bin einverstanden. Aber lassen Sie sich nicht zu lange Zeit, sonst überlege ich es mir vielleicht noch anders.“

Das medizinische Team versammelte sich rings um die Wemarerin, die noch immer auf der Trage saß.

„Danke, meine Freundin, wir werden keine Zeit verlieren“, versicherte ihr Prilicla.

„Der Scanner ist auf Registrierung geschaltet“, meldete Murchison, und danach wurde das Gespräch fast durchweg technisch. Gurronsevas wandte den äußerst langweiligen medizinischen Maßnahmen den Rücken zu und kehrte an die Fenster zurück.

Die vier am weitesten entfernten Arbeits- oder Unterrichtsgruppen hatten sich auf dem Rückweg zur Mine zusammengeschlossen, in der vermutlich das Mittagessen auf sie wartete, und die weiter vorne beschäftigten Gruppen würden sich ihnen später anschließen, so daß mit einem gleichzeitigen Eintreffen aller zu rechnen war. Die Wemarer rannten und hüpften nicht vorwärts, sondern gingen im langsamen Schrittempo der Lehrerinnen, und Gurronsevas schätzte, daß sie in etwas weniger als einer Stunde ankommen müßten. Schon sehr bald dürften sie sich im Blickfeld der Rhabwar befinden. Er fragte sich, ob die mangelnde Eile auf die von den Lehrerinnen auferlegte Disziplin oder auf das Desinteresse an der wartenden Mahlzeit zurückzuführen war. Der Küchengeruch, der vom Eingangsstollen herüberzog, machte ihn immer neugieriger. Zu seinem Erstaunen mußte er feststellen, daß Prilicla gerade über ihn sprach.

„Daß er sich von uns entfernt hat, stellt keine Respektlosigkeit dar“, erklärte der Empath. „Aufgrund seines Fachgebiets ist Gurronsevas neugieriger darauf, was Sie in Ihren Körper hineinstecken, als darauf, was wir aus ihm herausbekommen. Wann immer Sie die Zeit erübrigen können, wäre er wesentlich stärker daran interessiert, die Essensvorbereitungen der Wemarer zu untersuchen als.“

„Unsere Küche kann er sich gerne gleich ansehen“, unterbrach ihn Tawsar. „Der Chefkoch ist über den Besuch von Fremdweltlern längst unterrichtet und würde sich freuen, Sie kennenzulernen, Gurronsevas. Brauchen Sie jemanden, der Ihnen den Weg zeigt?“

„Nein danke“, antwortete Gurronsevas und fügte leise hinzu: „Ich kann ja immer der Nase nach gehen.“

„Sobald dieses seltsame Treiben hier vorbei ist, werde ich zu Ihnen in die Küche kommen“, entschied Tawsar mit einem Blick auf den Scanner.

Gurronsevas ging bereits auf den Ausgangsstollen zu, als Prilicla von den Translatorkanälen auf die interne Funkfrequenz wechselte und sagte: „Freund Gurronsevas, ich habe Ihren Namen nur deshalb erwähnt, um Tawsar von der Untersuchung abzulenken. Doch dabei habe ich bei ihr eine Gefühlsreaktion gespürt, wie ich sie schon einmal vorher wahrgenommen habe. Empfindungen wie Hunger, Neugier und starke Scham oder Verlegenheit, aber viel intensiver. Seien Sie äußerst umsichtig und wachsam, denn ich habe das Gefühl, Sie könnten etwas entdecken, das für uns von größter Wichtigkeit ist. Bleiben Sie in ständigem Sprechkontakt, und sehen Sie sich bitte vor.“

„Ich werde vorsichtig sein, Doktor“, versprach ihm Gurronsevas, während er sich ungeduldig den zickzackartigen Weg zwischen den Tischen hindurch bahnte. Wer wußte besser als er, wie viele Unfälle sich in einer Küche ereignen konnten und wie man sie vermied?

Prilicla nahm seine Bemühungen wieder auf, Tawsars Gedanken von Murchisons und Naydrads Tätigkeit abzulenken, deren Stimmen klar und deutlich im Kopfhörer des Tralthaners zu hören waren.

„Um die besten Ergebnisse zu erzielen, sollten wir auch einen gesunden und aktiven jungen Wemarer untersuchen, im Idealfall einen, der kurz vorm Erwachsenenalter steht“, schlug der Empath gerade vor. „Das würden wir nur zum Vergleich machen, nicht, um ihn zu behandeln. Wäre das möglich?“

„Alles ist möglich“, antwortete Tawsar. „Kinder neigen dazu, Gefahren einzugehen, entweder als Mutprobe oder aus Neugier oder um zu zeigen, daß sie besser als andere Kinder sind. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb ich mich selbst dieser Prozedur unterziehe; wahrscheinlich bin ich nur zu dumm, um zu merken, daß meine zweite Kindheit schon längst begonnen hat.“

„Nein, nein, meine Freundin“, widersprach Prilicla in bestimmtem Ton. „In Ihrem alternden Körper steckt zwar ein junger und anpassungsfähiger Geist, aber der ist keineswegs dumm. Es gibt nicht viele Wesen, die wie Sie einer Gruppe von Aliens ohne Argwohn gegenübergetreten wären — Wesen, die Ihnen völlig fremdartig und äußerlich erschreckend erscheinen mußten — und uns bei unserer Untersuchung geholfen hätten. Das war und ist eine äußerst mutige Tat. Aber sind Sie wirklich nur neugierig auf uns gewesen, oder hat es noch andere Gründe gegeben, uns hierher einzuladen?“

Eine lange Pause trat ein, dann antwortete Tawsar: „Ich bilde diesbezüglich keine Ausnahme. Hier gibt es noch andere, die genauso mutig oder dumm sind wie ich. Die meisten von denen sind gewillt, Sie kennenzulernen und jeden möglichen Nutzen aus Ihnen zu ziehen, und ein paar andere — die meisten der abwesenden Jäger — wollen nichts von Ihnen wissen. Als oberste Lehrerin war ich verpflichtet, Sie in die Mine einzuladen. Daß ich bei Ihnen nur so wenig Überredungskünste aufwenden mußte, hat mich überrascht, folglich sind Sie vielleicht ebenfalls mutig oder dumm. Daß ich Ihnen das Versprechen gegeben habe, mich bei Ihnen zu bedanken, wenn Sie meine Schmerzen in den Gelenken lindern können, ist unfair gewesen, denn ich kann mich bei Ihnen gar nicht.“