„Meinen vollständigen Titel auszusprechen ist umständlich und überflüssig“, unterbrach ihn der Wemarer. „Er wird nur bei den Feierlichkeiten zum Erreichen der Volljährigkeit und von Schülern verwendet, die sich schlecht benommen haben und vergeblich hoffen, der gerechten Strafe zu entgehen. Nennen Sie mich einfach Remrath.“
„Ich heiße Gurronsevas“, stellte sich der Tralthaner vor und fügte hinzu: „Ich bin nur Koch.“
Als innerhalb der galaktischen Föderation führender Vertreter der hochentwickelten Kunst, Gerichte für viele verschiedene Spezies zuzubereiten, kann ich gar nicht glauben, daß ich das gerade wirklich gesagt habe, dachte Gurronsevas.
„Verglichen mit der hohen Eßkultur, die mein eigenes Volk in den guten alten Zeiten geschaffen haben soll, das heißt, in den Jahrhunderten, bevor sich die Sonne selbst gegen uns gewandt hat, ist meine Küche primitiv“, räumte Remrath in einem Ton ein, der gleichermaßen wütend und entschuldigend klang. „Ihnen muß sie wie eine Kochstelle von Wilden vorkommen. Doch wenn es Sie interessiert, können Sie sich gerne umsehen.“
Durch die Stimme von Fletcher, der ihn direkt auf der Schiffsfrequenz ansprach, wurde Gurronsevas an einer Entgegnung gehindert. „Chefdiätist Gurronsevas, Sie sind nicht in den Erstkontaktverfahren ausgebildet. Bisher haben Sie zwar noch nichts Falsches gesagt, aber hören Sie mir bitte aufmerksam zu. Reagieren Sie auf nichts, was Sie vielleicht zu sehen oder zu hören bekommen, mit Ablehnung, wie abstoßend es Ihnen auch erscheinen mag. Versuchen Sie, Interesse an der Ausstattung und den Arbeitsvorgängen zu zeigen, egal, wie primitiv Ihnen diese erscheinen, und loben Sie lieber, anstatt zu kritisieren. Bemühen Sie sich, liebenswürdig und diplomatisch zu sein.“
Gurronsevas entgegnete nichts. Die Pause zwischen Remraths Einladung und einer Antwort hatte sich bereits länger hingezogen, als es die Höflichkeit gestattete.
„Ich bin äußerst interessiert und habe vor, Ihnen viele und vielleicht auch irritierende Fragen zu stellen“, sagte Gurronsevas wahrheitsgemäß. „Aber die betriebsamen Geräusche, die ich höre, und die komplexen Gerüche von Essen, das fast fertig zubereitet ist oder vielleicht schon darauf wartet, serviert zu werden, verleiten mich zu der Annahme, daß Sie mich bloß aus Höflichkeit hereingebeten haben. Aus langer persönlicher Erfahrung weiß ich, daß Besucher in einem solchen Moment in der Küche nicht willkommen sind.“
„Das stimmt allerdings“, gab Remrath zu, wobei er rückwärts durch die doppelte Schwingtür ging und den einen Flügel offenhielt, während er den Tralthaner mit der anderen Hand bat, ihm in die Küche zu folgen. Wie Gurronsevas feststellte, waren die Beine und der Schwanz des Kochs zu unbeweglich, um ihm ein Drehen in dem breiten Eingang zu ermöglichen. „Doch wie ich sehe, sind Sie in beengten Räumlichkeiten trotz Ihres gewaltigen Körpers wendiger als ich, und Sie dürften sich gut genug auskennen, um nicht im falschen Moment im Weg zu stehen“, fuhr Remrath fort. „Wie Sie bereits richtig vermutet haben, werden wir sehr bald das Hauptgericht des Tages auftragen. Vielleicht möchte ich ja, daß Sie uns unter Druck arbeiten sehen, wenn wir also sozusagen in Höchstform sind“ — er stieß einen kurzen unübersetzbaren Laut aus — „oder kläglich versagen.“
Kurz darauf befand sich Gurronsevas in einer Höhle, die eine Fortsetzung derjenigen war, die er gerade verlassen hatte. Ihm gegenüber befand sich eine hohe senkrechte Mauer aus kleinen, unregelmäßigen Bausteinen, die um vier Öfen herumgebaut war, in denen Holz oder ein ähnlicher ergiebiger organischer Brennstoff glühte. Hinter der Mauer mußte sich ein natürlicher Abzug befinden, denn in der Küche war kein Rauch, und der Dampf aus den Kochtöpfen, die man von den Öfen auf einen langen Tisch in der Mitte gestellt hatte, wurde ebenfalls in diese Richtung gesogen. Rechts vom Tisch, der vom Ofenbereich fast bis auf ein paar Meter an den Eingang heran verlief, waren die oberen zwei Drittel der Steinmauer von offenen Hängeschränken und Regalen bedeckt. Darin standen Kochutensilien, Teller und kleine Trinkgefäße, von denen die meisten auf keinen Fall von Wesen hergestellt waren, deren Handwerk die Töpferei war. Obwohl sie plump gefertigt und rissig waren, beziehungsweise keine Henkel mehr hatten, stellte Gurronsevas anerkennend fest, daß sie alle einen peinlich sauberen Eindruck machten.
Unter den Regalen befand sich ein langer Trog, der auf einem schweren Gestell stand und mit einer Art Keramik eingefaßt war, die sich mit ständig fließendem Wasser gefüllt hatte. Darin waren einige Tassen und Teller zu sehen. Da das dicke Einlaßrohr, das am einen Ende saß, keinen Hahn aufwies, vermutete Gurronsevas, daß der Trog nicht mit Wasser aus einem Vorratstank, sondern aus einer natürlichen Quelle gespeist wurde. Am anderen Ende trieb eine Reihe von Schaufelrädern einen kleinen Generator an, der wahrscheinlich für die brennende Deckenbeleuchtung verantwortlich war.
An der gegenüberliegenden Wand waren mit größeren Zwischenräumen weitere Regale und offene Hängeschränke angebracht, die noch gröber zusammengeschustert waren als die anderen Möbel. Sie enthielten etwas, bei dem es sich nach Gurronsevas Vermutung um für Wemarer genießbare Gemüsevorräte sowie Brennmaterial für die Öfen handelte. Beides war nicht im Überfluß vorhanden.
Unterdessen folgte Gurronsevas Remrath auf dem Rundgang durch die Küche und konnte oft neben ihm gehen, weil die Gänge zwischen den tischartigen Arbeitsflächen sogar breit genug waren, um dem durchs Alter unbeweglich gewordenen Schwanz des Chefkochs ausreichend Platz zu bieten. Gurronsevas war damit zufrieden, den Wemarer Koch und Arzt allein reden zu lassen, zumal ihm der Zweck der Ausstattung, die wirklich nur aus dem Nötigsten bestand, bereits klar war und er keine Fragen zu stellen brauchte. Er schwieg sogar, als Remrath vor einem langen, niedrigen Schrank stehenblieb, der unter dem Trog mit fließendem Wasser neben den Schaufelrädern stand und von diesen begossen wurde.
Rings um die vorderen Oberkanten des Schranks verlief ein dicker Wulst, der verhinderte, daß das Wasser in die beiden Türen lief, die offenstanden und einen leeren Innenraum zeigten. Eine einfache, aber wirksame Methode der Kühlung durch Verdunstung, dachte Gurronsevas. Nirgendwo sonst war in der Küche etwas zu entdecken, das einer Kühlanlage für Vorräte ähnelte, was ein Anzeichen für das Vorhandensein von frischem Fleisch gewesen wäre.
Angesichts der Kenntnis, daß es sich bei den Wemarern um Kannibalen handelte, wußte Gurronsevas nicht, ob er sich deswegen erleichtert oder beunruhigt fühlen sollte.
Der Rundgang durch die Küche endete mit der Rückkehr zu den Öfen, wo der Inhalt mehrerer Kochtöpfe leicht vor sich hin köchelte, während andere bereits auf den Beistelltischen standen und zum Warmhalten mit dicken Lappen zugedeckt waren.
Plötzlich sagte Remrath: „Sie haben kaum etwas gesagt, Gurronsevas, und gar keine Fragen gestellt. Ist Ihnen der Anblick unserer primitiven Methoden der Essenszubereitung zuwider?“
„Ganz im Gegenteil, Remrath“, widersprach Gurronsevas mit fester Stimme. „Im wesentlichen sind sich die Küchen auf allen Planeten, die ich besucht habe, sehr ähnlich, doch es sind gerade die kleinen Unterschiede, die ich am interessantesten finde. Ich habe viele Fragen an Sie.“ Er griff nach einem großen Holzlöffel, der neben einem noch nicht zugedeckten Topf mit kochendem Essen lag. „Und die erste lautet: Darf ich das hier mal probieren? Bitte entschuldigen Sie mich für einen Moment. Meine Kollegen unterhalten sich gerade mit mir.“
Es hätte mehr der Wahrheit entsprochen zu sagen, daß sie sich nicht mit ihm, sondern über ihn unterhielten, dachte Gurronsevas verärgert.
„…entweder aus Ignoranz oder Dummheit oder beidem!“ schimpfte Captain Fletcher gerade. „Doktor Prilicla, sprechen Sie mit ihm! Bringen Sie ihn zur Vernunft, verdammt noch mal! Man landet doch nicht auf einem seltsamen Planeten und fängt dann an, das dortige Fastfood zu probieren.“