„Freund Gurronsevas“, unterbrach ihn Prilicla. „Stimmt das? Stehen Sie im Begriff, Wemarer Nahrung zu sich zu nehmen?“
„Nein, Doktor“, antwortete Gurronsevas, wobei er den Translator abschaltete. „Ich wollte gerade die kleinstmögliche Portion eines Wemarer Gerichts probieren. Bei allem Respekt würde ich gern jeden daran erinnern, daß ich sowohl über einen gut ausgebildeten Gaumen als auch über einen hochentwickelten Geruchssinn verfüge und es mir sofort bewußt wäre, falls bei irgendeiner Speise die Wahrscheinlichkeit besteht, daß sie sich als schädlich erweist. Da ich nicht vorhabe, etwas herunterzuschlucken, besteht keine Gefahr, eventuelle Giftstoffe aufzunehmen. Außerdem hat das Gericht eine Konsistenz, die etwa zwischen einem dünnen Gemüseeintopf und einer dicken Suppe liegt, die mehr als vier Stunden in einem geschlossenen Behälter gekocht hat. Ich danke Ihnen für Ihre Besorgnis, Doktor, aber es liegt nicht in meiner Natur, unnötige Risiken einzugehen.“
Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann sagte Prilicla: „Also gut, mein Freund. Doch falls Sie versehentlich etwas herunterschlucken, vor allem, wenn es eine ungewöhnliche oder unangenehme Wirkung hat, dann kehren Sie sofort zum Schiff zurück. Seien Sie äußerst vorsichtig!“
„Danke, Doktor, das werde ich ganz bestimmt sein“, versicherte er Prilicla.
Er wollte gerade wieder mit Remrath sprechen, als der Cinrussker schnell fortfuhr: „Vielleicht sind Sie zu beschäftigt gewesen, um unser Gespräch mit Tawsar zu verfolgen oder das, was Sie gehört haben, voll und ganz zu verstehen. Die gegenwärtige Lage ist jedenfalls die, daß wir mit Tawsars bereitwilliger Mitarbeit sämtliche physiologischen Daten gewonnen haben, die wir im Moment benötigen. Auf der Rhabwar werden wir weitere Untersuchungen durchführen müssen, die uns bei der Entscheidung helfen sollen, was wir sonst noch brauchen. Die Informationen über die Gesellschaftsstruktur der Wemarer sind jedoch dürftig, und ich spüre bei Tawsar eine starke Abneigung, über dieses Thema zu sprechen, so daß die weitere Unterhaltung immer schwieriger wird.
Jetzt scheint für uns der richtige Moment zu sein, den Kontakt vorläufig zu unterbrechen, ohne jemanden zu kränken“, setzte der Empath seine Ausführungen fort. „Das unmittelbar bevorstehende Eintreffen der Arbeitsgruppen zum Mittagessen gibt uns Gelegenheit zu behaupten, daß wir aus demselben Grund wie sie zum Schiff zurückkehren müssen — was ja, außer bei Danalta, auch der Wahrheit entspricht. Bitte bringen Sie das Probieren des Essens so schnell wie möglich hinter sich, entschuldigen Sie sich beim Küchenpersonal und sagen Sie, Sie müßten mit uns zurückkehren. Man wird davon ausgehen, daß Sie ebenfalls eine Mahlzeit zubereiten müssen. Schließen Sie sich uns an, wenn wir in ein paar Minuten an der Küche vorbeikommen.“
Die ganze Zeit hatte Gurronsevas den langen Löffel einige Zentimeter über den köchelnden Inhalt des Topfs gehalten. Da Remrath ihn ansah und seinen unübersetzten Worten an Prilicla lauschte, wußte der Tralthaner, daß sich der Chefkoch darüber ärgern mußte, von dem Gespräch ausgeschlossen zu sein. Hätte Gurronsevas sich an Remraths Stelle befunden, wäre er ganz bestimmt ungehalten gewesen, doch Prilicla redete unbeirrt weiter.
„Auf diese Entfernung ist Ihre emotionale Ausstrahlung nur schwer zu deuten, zumal die Gefühle des Küchenpersonals noch hinzukommen. Haben Sie ein Problem, mein Freund?“
„Nein, Doktor“, antwortete Gurronsevas, „nicht wenn. Wie sicher sind Sie sich, daß uns die Wemarer nichts tun wollen?“
„Ich bin mir dessen so sicher, wie es ein Empath in bezug auf die Emotionen anderer Lebewesen sein kann“, antwortete Prilicla. „Beim Küchenpersonal spüre ich Neugier und Vorsicht, die unter diesen Umständen ganz normal ist, aber keine Feindseligkeit. Da ich kein Telepath bin, kann ich nicht sagen, was die Wemarer tatsächlich denken, und deshalb bleibt ein winziger Rest Zweifel. Wieso fragen Sie?“
Gurronsevas versuchte noch, die richtigen Worte für eine Antwort zu finden, als sich Prilicla erneut zu Wort meldete.
„Ich frage nur, weil ich bei Ihnen eine große Neugier wahrnehme — in Anbetracht Ihrer momentanen Umgebung ist sie vermutlich beruflich bedingt—, und sie die Mine nicht verlassen möchten, bevor sie die befriedigt haben. Oder ist es so, daß Sie sich in einer Küche unter Köchen von anderen Spezies wohler fühlen als bei den Ärzten auf dem Unfalldeck des Ambulanzschiffs?“
„Sind Sie sich sicher, daß Sie kein Telepath sind?“ fragte Gurronsevas.
„Tut mir leid, mein Freund“, entgegnete Prilicla, „ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen, denn diese Empfindung wirkt sich auch auf mich aus. Sie können in der Küche bleiben, doch Doktor Danalta wird sich zum Schutz zu Ihnen gesellen. Zwar ist der Doktor nicht imstande, einem anderen Lebewesen Schmerzen zuzufügen, aber dafür kann er, wenn er angegriffen wird, einige wirklich grauenhafte Gestalten annehmen. Sollte Ihre Lage in der Küche gefährlich werden, dann schlagen Sie sich schleunigst zur Außenmauer mit den Fenstern durch und begeben Sie sich zum Rand der HöhlenöffiLung, von wo aus Sie Freund Fletcher mit einem Traktorstrahl in Sicherheit bringen wird.
Glauben Sie, Sie könnten das Gespräch auf allgemeine Fragen zum sozialen und kulturellen Hintergrund der Wemarer — wenn möglich in Vergangenheit und Gegenwart — ausweiten, während Sie Ihre kulinarische Neugier befriedigen?“ fragte der Empath. „Werden Sie aber nicht zu deutlich und vermeiden Sie Themen, die Ihnen heikel erscheinen. Vielleicht haben Sie mit Remrath mehr Erfolg als wir mit Tawsar.
Vergeuden Sie keine Zeit mit einer Antwort“, schloß Prilicla. „Ich spüre, daß Remraths Ungeduld sehr schnell zunimmt.“
„Entschuldigen Sie die Unterbrechung, Remrath“, sagte Gurronsevas, indem er Priliclas Rat befolgte. „Meine Freunde müssen alle bis auf einen namens Danalta zum Schiff zurückkehren, um zu essen, und die Zeit, in der Sie Ihre Mahlzeit einnehmen, scheint dafür der geeignete Zeitpunkt zu sein. Sie werden Danalta bestimmt interessant finden. Er ist eine Lebensform, die ihre Gestalt nach Belieben verändern kann. Außerdem kann er lange ohne Essen auskommen, sogar noch länger als ich. Er ist viel kleiner als ich und nicht Koch, sondern Arzt und würde sich mit Ihrer Erlaubnis gern die Arbeit in Ihrer Küche ansehen.“
Wie Gurronsevas vermutete, wußte Remrath ebenso gut wie er selbst, daß es einen anderen Grund für Danaltas Anwesenheit gab. Die Ansicht, daß man zu mehreren sicherer ist, wurde von jeder denkenden Spezies geteilt.
„Solange Ihr Freund uns nicht behindert, ist er willkommen“, willigte Remrath ein und deutete dann mit einem knöchernen Finger auf den Löffel, den Gurronsevas immer noch über den Topf hielt. „Wollen Sie damit noch mal irgendwann etwas machen?“
Gurronsevas überhörte den Sarkasmus, tauchte den Löffel in die grünlich braune, brodelnde Masse, rührte kurz um, um die Konsistenz festzustellen, und hob dann einen Löffel voll an seine Atemöffnung, bis er die Temperatur für niedrig genug hielt, um sich keine Brandblasen am Mund zu holen. Anschließend berührte er mit der Masse die Geschmacksknospen auf der Innenseite seiner Oberlippe.
„Und?“ fragte Remrath neugierig.
Zwar glaubte Gurronsevas, drei verschiedene Gemüsearten herausschmecken zu können, doch sie waren derart gründlich gemischt und so verkocht, daß er die einzelnen Geschmacksrichtungen nicht voneinander trennen, geschweige denn, Nahrungsmitteln zuordnen konnte, die er bereits kannte. Gewürze, Soßen und natürliche oder künstliche Aromen waren nicht vorhanden und nicht einmal eine Spur von dem Salz, das in den Wemarer Meeren enthalten sein mußte. Offensichtlich hatte man zu früh damit begonnen, das Essen zuzubereiten, und es dann verkochen lassen, wodurch alle sich gegenseitig ergänzenden oder miteinander kontrastierenden Geschmacksnoten der ursprünglichen Zutaten zerstört worden waren.
„Ein bißchen fade“, meinte Gurronsevas.