„Aber was wir brauchen, ist Fleisch“, beharrte Remrath in bestimmtem Ton. „Haben Sie einen Vorschlag, wie man sich das beschaffen könnte?“
„Das können Sie nur, indem Sie einen von uns essen“, antwortete Gurronsevas, der plötzlich die Geduld mit dem Chefkoch und seiner Monomanie in Fragen des Essens verlor. „Gurronsevas.!“ begann Murchison.
„Sie würden wir nicht essen, Gurronsevas“, versicherte ihm Remrath, der den Vorschlag offenbar ernst genommen hatte. „Bei allem Respekt, Ihre Gliedmaßen und der Körper erscheinen hart und zäh. Sie schmecken womöglich wie die Äste von einem Baum. Die Körperteile des Gestaltwandlers könnten Verdauungsstörungen hervorrufen, indem sie sich in uns verwandeln, und die Glieder und der Körper des hübschen Flugwesens sind so mager wie die Zweige eines Strauchs im Winter. Das Wesen mit den weichen Formen, das auf zwei Beinen das Gleichgewicht hält, und dasjenige mit dem schimmernden Fell wären vielleicht geeignet. Werden die beiden bald sterben?“
„Nein“, antwortete Gurronsevas.
„Dann dürfen Sie uns die auch nicht anbieten“, belehrte ihn Remrath mit todernster Stimme. „Die Wemarer halten es für falsch, ein anderes intelligentes Lebewesen zu essen, wenn es nicht auf natürliche Weise gestorben und frei von Krankheiten ist oder das Leben bei einem Unfall verloren hat. Nur aus Mitleid mit unserem Hunger dürfen Sie nicht das Leben eines anderen verkürzen, egal, wie dringend wir im Augenblick Fleisch benötigen. Ich bin Ihnen für Ihr Angebot zwar dankbar, aber gleichzeitig auch erschüttert und empört, daß Sie sich Ihren Freunden gegenüber mit einem derartigen Mangel an Mitgefühl verhalten würden. Ihr Fleischangebot ist hiermit abgelehnt.“
„Da bin ich aber froh“, merkte Murchison an.
„Ich auch“, seufzte Gurronsevas erleichtert, nachdem er den Translator ausgeschaltet hatte. „So hart und zäh wie Remrath glaubt, bin ich nämlich gar nicht. Doch ich habe mich durch meine Äußerungen offenbar selbst in die Enge getrieben.“
Dann schaltete er den Translator wieder ein und sagte zu Remrath: „Bitte, es gibt keinen Grund, erschüttert oder empört zu sein, denn wir haben dieselbe Überzeugung. Meine Worte waren schlecht gewählt und nur ein ungeschickter Versuch, Ihnen eine weitere Frage zu stellen: Würden die Wemarer Nahrungsmittel von anderen Planeten akzeptieren, vorausgesetzt, diese schmecken ihnen und wir wären uns sicher, daß es für sie nicht schädlich ist?“
„Fleisch von anderen Planeten?“ fragte Remrath voller Hoffnung.
„Nein“, antwortete Gurronsevas, und dieses Mal waren seine Worte gut gewählt, als er erklärte, daß es zwar möglich sei, dem Nahrungsmittel den Geschmack und die Konsistenz verschiedener Fleischsorten von fremden Planeten zu verleihen, es aber nie gelebt habe, weder früher noch jetzt. „Das liegt daran, daß man es, wenn verschiedene fleischessende Lebensformen zusammenarbeiten, wie es im Orbit Hospital oder auf dem Schiff der Fall ist, für gefühllos hält, das Fleisch nichtintelligenter Kreaturen zu verzehren, die oft eine große körperliche Ähnlichkeit mit den intelligenten Kollegen aufweisen. Die Nahrung ist künstlich, aber Sie würden den Unterschied nicht bemerken“, schloß er.
Remrath antwortete mit einem Laut, der auf Unglauben schließen ließ. Das lange Schweigen, das sich anschloß, wurde schließlich vom Chefkoch unterbrochen, indem er sagte: „Was den Rundgang durch den Gemüsegarten angeht, so müssen Sie den wohl ohne mich machen. Ich habe hier nämlich Aufgaben zu verrichten, die mir nur sehr wenig Zeit für Spaziergänge im Tal lassen. Ich habe eine Klasse und muß das Abendessen vorbereiten.“
Gurronsevas verbarg seine Enttäuschung. Es wäre ihm lieber gewesen, Remrath als Führer und Ratgeber zum Pflanzenleben auf Wemar zu haben, der ein Gewächs sofort als giftig erkannt hätte, als selbst Zeit damit zu verlieren, zahlreiche Exemplare aus dem Boden zu rupfen und auf die Ergebnisse von Murchisons Analysen warten zu müssen.
„Was bringen Sie denn heute abend auf den Tisch?“ erkundigte er sich höflich.
„Noch mal dasselbe“, antwortete Remrath knapp. Dann hob er steif eine Hand, deutete auf den Vorraum und fuhr fort: „Aber wir werden die für den Rundgang erforderliche Zeit herausholen, Gurronsevas, wenn Sie das Feuerholz hereinbringen und klein hacken und mir beim Gemüseputzen helfen.“
24. Kapitel
Remrath bewegte sich über den unebenen Boden der Talsohle noch langsamer als Tawsar und hatte eindeutig stärkere Schmerzen als sie. Zudem weigerte er sich standhaft, eine derjenigen Stellen zu betreten, die von den Strahlen der frühen Nachmittagssonne beschienen wurden. Beide Probleme wurden von Naydrad behoben, die mit dem schwerelosen Krankentransporter herbeieilte und über dem anfänglich widerwilligen Insassen das Sonnenschutzschild ausfuhr. Die Oberschwester hatte die Anweisung erhalten, nur die Trage zu lenken und das Gespräch allein Gurronsevas zu überlassen. Der aufgewühlte Zustand ihres Fells zeigte, was sie von dem erzwungenen Schweigen hielt. Danalta, dessen Aufgabe als Beschützer sich als überflüssig erwiesen hatte, war auf die Rhabwar zu Prilicla und Murchison zurückgekehrt, um zu helfen, die durch Tawsar gewonnenen physiologischen Daten über die Wemarer auszuwerten.
Die Schüler, die nur am Vor- und frühen Nachmittag nach draußen kamen, über Mittag jedoch in der großen Höhle behalten wurden, um nicht dem direkten Sonnenlicht ausgesetzt zu sein und gleichzeitig in den Genuß der maximalen natürlichen Beleuchtung durch die Fenster zu kommen, hatten die Mine verlassen, um wieder im Freien zu arbeiten, und Remrath schien die zeitliche Grenze, die er dem Sammeln von Pflanzenproben gesetzt hatte, völlig vergessen zu haben. Ganz offensichtlich genoß er die Bequemlichkeit des Fahrens auf der Trage, und an den merkwürdigen Dingen, die Gurronsevas sagte und tat, fand er noch mehr Vergnügen.
„Blumen essen Sie auf Ihrem Planeten doch wohl nicht, oder?“ fragte er während eines Halts auf den höheren, unbebauten Hängen.
„Manchmal kann man die Stiele, Blätter oder Blüten zerdrücken oder kochen und als Ergänzung oder Kontrast zu den übrigen Zutaten verwenden oder auf dem Teller verteilen, damit das Essen reizvoller aussieht, oder mit ihnen einfach den Eßtisch dekorieren, um ihm ein gefälliges Aussehen und einen angenehmen Duft zu verleihen“, antwortete Gurronsevas. „Aber manchmal essen wir sie auch.“ Erneut stieß Remrath einen Laut aus, der nicht übersetzt wurde. Das hatte er schon fast den ganzen Nachmittag lang getan.
„Diese Beeren mit der braun gepunkteten grünen Haut“, fuhr Gurronsevas fort, wobei er auf einen niedrigen Strauch mit dichtem, drahtigem Blätterwerk deutete, den er als die Pflanze wiedererkannte, die er vorhin benutzt hatte, um die Teller sauber zu schrubben, „sind die genießbar?“
„Ja, aber nur in geringen Mengen“, antwortete der Chefkoch. „Das sind die Rankenbeeren. Im Moment haben sie noch einen herben Geschmack, aber wenn sie ganz reif sind, schmecken sie süß. Doch wir essen sie nicht, sofern nicht einer von uns Schwierigkeiten mit der Ausscheidung von Abfallstoffen hat. Und Sie, Sie werden die auch nicht zu sich nehmen!“
„Ich werde Proben von allem sammeln, insbesondere von Heilpflanzen, die manchmal nicht nur einem Gericht mehr Geschmack verleihen, sondern auch gesundheitsfördernde Eigenschaften besitzen“, erklärte Gurronsevas. „Sie sagen, die Wemarer verwenden viele solcher Pflanzen. Wer ist für die Verschreibung verantwortlich?“
„Ich“, antwortete Remrath.