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Das werden sie jedoch wohl kaum aus Selbstsucht getan haben, die eigenem großen Hunger zuzuschreiben gewesen wäre“, fügte Gurronsevas hinzu. „Vielmehr wird das an der festen Überzeugung gelegen haben, daß das weitere Überleben der Spezies davon abhing, diejenigen mit Fleisch zu versorgen, die die Nahrung herangeschafft haben. Stimmt’s?“

Da die auf dem Rückweg befindlichen Jäger langsamer vorankamen als erwartet, hatte Gurronsevas Zeit gehabt, sich ein wenig mit Remraths Körpersprache und Minenspiel vertraut zu machen. Der alte Koch sah gequält und beschämt aus — Gefühle, die schnell in Zorn umschlagen konnten — und entgegnete nichts. In seinem starken Verlangen, Remrath zu helfen, bedrängte ihn Gurronsevas zu sehr. Er mußte schleunigst etwas sagen, um das Gespräch aufzuheitern, dachte er, sonst könnte die Verbindung hier und jetzt für immer abreißen.

„Wenn ich Ihre Jäger höflich darum bitten würde, würden die mir dann ein bißchen von ihrem Fleisch abgeben?“ fragte er. „Schon ein kleines Stück wäre ausreichend. Was Fleischgerichte angeht, kann ich ganz schön einfallsreich sein.“

Für einen Moment hatte Remrath Atembeschwerden, doch dann gingen die Würgelaute in das dunkle Bellen über, das Gurronsevas inzwischen als das Lachen der Wemarer kannte.

„Das werden die nie und nimmer tun!“ rief er laut. „Fleisch ist viel zu kostbar, als daß man es riskieren würde, es von einem gemüsekochenden Fremdweltler verderben zu lassen.“

Gurronsevas schwieg ganz bewußt. Wie er gehofft hatte, glaubte jetzt wiederum Remrath, ihn gekränkt zu haben, denn seine Stimme nahm einen entschuldigenden Unterton an.

„Klar, Sie würden ein Gericht niemals absichtlich verderben“, versicherte ihm der Chefkoch schnell. „Aber Sie würden den Geschmack mit Ihren Soßen und Gewürzen vielleicht so verändern, daß man es nicht mehr als Fleisch erkennen könnte.“ Er zögerte kurz und fuhr dann fort: „Und Sie haben recht. Sofern es keine besonders erfolgreiche Jagd gewesen ist -

und das ist nicht mehr der Fall gewesen, seit ich der Jagd den Rücken gekehrt habe, um als Lehrer zu arbeiten—, werden weder die Kinder noch die Alten etwas von dem Fleisch bekommen. Manchmal spart ein zurückkehrender Jäger heimlich einen Bissen für einen Lehrer oder ein Kind auf, doch ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann das zum letzten Mal passiert ist.

Nun ist Fleisch dermaßen knapp, daß selbst die Jäger gezwungen sind, Gemüse zu essen, um auf diese Weise Portionen größer zu machen, die sonst eine äußerst karge Mahlzeit darstellen würden“, fuhr er mit einer vor Scham derart leisen Stimme fort, daß Gurronsevas sie kaum hören konnte. „Doch sie bestehen auf Fleisch, um Kraft zu bekommen, und sie kommen sich privilegiert vor, wenn der Geschmack von Fleisch vorhanden ist. Ich glaube, der Stolz treibt die Jäger häufig eher an den Rande des Hungertods und der Entkräftung, als daß er ihnen mehr Kraft gibt.“

Genau das war es, was Gurronsevas ihm schon die ganze Zeit klarzumachen versucht hatte, doch jetzt war nicht der Moment, um Punkte für die überzeugendste Argumentation zu sammeln. Folglich lachte er nur und sagte: „Dann müssen wir eben weiterhin Gemüse kochen und die Jäger ganz einfach neidisch auf den leckeren Geschmack machen.“

Remrath lachte nicht und meinte mit ernster Stimme: „Vor ein paar Tagen, bevor Sie alle dazu bringen wollten, Ihre merkwürdigen „drei Gerichte in einem“ zu essen, wäre das noch ein alberner Vorschlag gewesen, aber jetzt. Gurronsevas, neue Gemüsegerichte für die Kinder und die Alten reichen bei weitem nicht aus. Was wir brauchen, damit die Wemarer als Spezies überleben, ist Fleisch — und unsere Jäger sind schon lange überfällig.“

In bedauerndem Ton fügte er hinzu: „Muß ich Sie an das Versprechen Ihres obersten Arztes erinnern, daß uns die Fremdweltler verlassen werden, bevor die Jäger zurückkehren?“

Prilicla hatte Gurronsevas die Entscheidung überlassen, wann der beste Zeitpunkt gekommen war, um den Wemarern in der Mine zu sagen, daß sie bald mit der Ankunft der Jäger rechnen konnten, und jetzt schien der geeignete Moment dafür zu sein. Doch mit der guten Nachricht sollte er zugleich auch eindringlich darauf hinweisen, daß Veränderungen für die Wemarer unvermeidbar waren. Gurronsevas öffnete den Ranzen, den er an der Seite hängen hatte, blickte mit einem Auge hinein und suchte nach den Fotos, die das Aufklärungsflugzeug der Rhabwar geschossen hatte.

„Unter Berücksichtigung der Größen- und Altersunterschiede hält die pflanzliche Ernährung sowohl die jungen als auch die alten Wemarer gesund und munter“, sagte er. „Die Ärzte auf dem Schiff, die sich mit solchen Dingen von vielen anderen Planeten her auskennen, sagen, Ihre jungen Erwachsenen würden durch dieselbe Ernährung ebenfalls leben und gedeihen und sich weiter vermehren. Fleisch zu essen ist gut für sie, da stimmen die Ärzte voll und ganz zu, aber es ist für sie nicht die einzige Quelle, aus der ihnen Gesundheit und Kraft zukommt. Nach unserer Ansicht ist das Fleischessen schon vor vielen Generationen zu einer Glaubenssache und zu einer Gewohnheit geworden, und zwar zu einer Gewohnheit, die Sie durchaus aufgeben können.

Aber fangen wir nicht einen erneuten Streit an“, fügte er rasch hinzu, „denn ich habe eine gute Nachricht für Sie. Bei der momentanen Marschgeschwindigkeit, die wegen der schweren Lasten sehr langsam ist, werden Ihre Jäger übermorgen am frühen Vormittag hier eintreffen. Wenn es Fleisch ist, was Sie wollen, dann sollen Sie es bald bekommen.“

Ohne zu verraten, vor wie langer Zeit die Bilder bereits aufgenommen worden waren, erklärte er Remrath in einfachen Worten die Funktionsweise des Aufklärungsflugzeugs der Rhabwar und fing an, die Fotos vor dem Chefkoch auszubreiten. Sie waren vergrößert und von der Schärfe und dem Kontrast her verbessert worden und zeigten sämtliche Einzelheiten der fünf erjagten Tiere, die an ihren Stricken zerrten, und jede Falte in den zusammengenähten Häuten, mit denen die Trage bedeckt war, die von sechs Wemarern geschleppt wurde. Da es den ganzen Tag über stark bewölkt gewesen war, hatten die Jäger die Kapuzen und Umhänge zum Schutz gegen die Sonne zurückgebunden, so daß man jedes einzelne Gesicht deutlich erkennen konnte. Selbst für Gurronsevas war die Schärfe der Fotos beeindruckend.

„Vielleicht treffen sie später als erwartet ein, weil sie fünf Tiere gefangen und eine schwere Trage zu schleppen haben“, führ er begeistert fort. „All das können Sie selbst so deutlich sehen, daß Sie bestimmt auch Ihre Freunde erkennen werden. Ich habe zwar keine Ahnung, mit wieviel Beute die Jäger normalerweise zurückkehren, aber ich glaube, ich weiß, was ein großer Fang ist.“

„Sie wissen überhaupt nichts, Gurronsevas“, widersprach Remrath mit sehr leiser Stimme. „Das ist kein großer Fang. Die Jäger sollten nicht gemächlich gehen, sondern laufen und springen, damit die toten kleinen Tiere in den Tornistern nicht vor dem Eintreffen bei der Mine verdorben sind, und statt fünf mageren Twasachjungen mehr als zwanzig große Crellan und fette, ausgewachsene Twasachs hinter sich herziehen. Aber viele der Tornister sind leer, und einen aus ihrer Gruppe schleppen sie auf der Trage mit sich, was bedeutet, daß einer der Jäger verletzt worden oder gar tot ist oder im Sterben liegt.“

„Das tut mir leid“, sagte Gurronsevas. „Wissen Sie, um wen es sich dabei.? Ist es ein Freund von Ihnen?“

Kaum hatte Gurronsevas die Frage ausgesprochen, wußte er, daß sie überflüssig gewesen war. Alle Gesichter auf den Fotos waren nämlich derart scharf und deutlich, daß Remrath den verletzten Wemarer einfach durch negative Auslese identifizieren konnte.

„Es ist Creethar, ihr Anführer“, antwortete Remrath mit noch leiserer Stimme. „Ein äußerst mutiger, einfallsreicher und beliebter Jäger. Creethar ist mein jüngster Sohn.“

27. Kapitel

Tawsar stand dem Vorhaben zwar ablehnend gegenüber, hatte aber Mitleid, und Remrath war unnachgiebig, was bedeutete, daß der Chefkoch als Sieger aus der Auseinandersetzung hervorging. Doch auch so dauerte es noch drei Stunden, bevor die Rhabwar mit Remrath an Bord zu jener Sorte von Einsatz starten konnte, für den sie eigens gebaut worden war.