Als sich Prilicla in der Luft drehte, um hinter ihnen herzufliegen, sagte er in beruhigendem Ton: „Die emotionale Ausstrahlung der Jäger verrät allgemeine Verwirrung, Wut und Verstimmung, die von äußerst starken Verlustgefühlen begleitet werden, aber, wie ich glaube, nicht so stark sind, daß es zu körperlicher Gewalt kommt. Es besteht kaum Gefahr, daß man Sie angreift, Freund Gurronsevas, es sei denn, Sie provozieren die Jäger. Fragen Sie Remrath, ob er bei seinen Freunden bleiben oder gemeinsam mit Creethar aufs Schiff zurückkehren will, und ziehen Sie sich dann so schnell wie möglich zurück.“
Der Versuch, genau das zu tun, kostete Gurronsevas die nervenaufreibendsten fünfzehn Minuten seines Lebens. Zwar hatten die Jäger nichts dagegen, daß Remrath aufs Schiff zurückkehrte, da der Chefkoch zu alt und gebrechlich war, um zu Fuß zur Mine zurückzugehen, doch was Gurronsevas betraf, waren sie anderer Meinung. Der Fremdweltler, verlangten sie lautstark, während sie sich um ihn scharten, um ihm den Fluchtweg abzuschneiden, müsse bleiben und zusammen mit ihnen zur Mine zurückkehren. Das sei notwendig, weil die Wesen auf dem Schiff ihren Anführer entführt hätten und Gurronsevas bis zum Austausch gegen Creethar eine Geisel sei. Sofern er nicht zu fliehen versuche, würde man ihm nichts tun, es sei denn, Creethar werde nicht wieder herausgegeben.
Als sich die Jäger daran machten zu besprechen, wie man den riesigen Fremdweltler mit der dicken Haut überwältigen könnte, nahmen ihre Stimmen einen leiseren und beinahe sachlichen Ton an. Speere und Pfeile würden ihn möglicherweise nicht schlagartig außer Gefecht setzen, überlegten sie, so daß es vielleicht am besten wäre, ihm mit dem Schwanz einen heftigen Schlag gegen die drei Beine auf der einen Seite zu versetzen. Diese Beine seien kurz und der Schwerpunkt des Körpers liege offenbar weit oben, und wenn man den Fremdweltler auf die Seite werfe, werde er Schwierigkeiten haben, wieder aufzustehen. Die Haut auf der Unterseite scheine viel dünner zu sein als auf dem Rücken und an den Seiten, so daß ein gezielter Speerwurf in diesen Bereich wahrscheinlich tödlich sei.
Da haben sie ganz recht, dachte Gurronsevas, doch das werde ich denen ganz bestimmt nicht auf die Nase binden. Er überlegte noch, was er sagen sollte, als ihm Remrath zu Hilfe kam.
„Hört mir zu!“ rief der Chefkoch mit lauter Stimme. „Als ihr Kinder wart, hattet ihr noch mehr Verstand. Strengt doch mal euren Grips an! Wollt ihr es riskieren, wie Creethar zu enden, und es darauf ankommen lassen, daß zu viele von euch verwundet und getötet werden, um alle nach Hause zu tragen? Denkt an die geradezu kriminelle Verschwendung von Fleisch, an euch selbst und an eure fast erwachsenen Kinder, die auf eure Rückkehr warten! Wir haben Gurronsevas niemals kämpfen sehen, weil er sich uns gegenüber immer hilfsbereit verhalten hat. Dieses Lebewesen zu jagen geht völlig über eure bisherigen Erfahrungen hinaus. Gurronsevas wiegt doppelt soviel wie jeweils zwei von euch, so dürr und halb verhungert, wie ihr seid, und ich möchte nicht wissen, was er mit euch anstellen könnte.“
Da Gurronsevas das ebenfalls nicht wissen wollte, überließ er weiterhin Remrath das Reden.
„Ihr braucht keine Geisel, denn ihr habt bereits eine“, fuhr der Chefkoch rasch fort. „Gurronsevas verbringt die ganze Zeit, in der wir wach sind, in der Mine, wo er uns beim Kochen hilft. Er bringt dem Küchenpersonal und den jungen Lehrlingen die Methoden der Fremdweltler bei, genießbare Pflanzen zu erkennen und zuzubereiten. Darüber hinaus gibt er ihnen Ratschläge und macht sich auf viele andere Arten nützlich. Bei den Kindern ist er beliebt, bei den Lehrern geachtet, und mögen tun wir ihn alle. Wir wollen nicht, daß er umgebracht oder verletzt oder auch nur in irgendeiner Weise beleidigt wird.
Außerdem wäre Gurronsevas nach meiner fachlich fundierten Meinung als euer Chefkoch und Versorger völlig ungenießbar“, schloß Remrath.
Die Überraschung und Freude über die schmeichelhaften Dinge, die Remrath gerade über ihn gesagt hatte, verschlugen Gurronsevas für einen Moment die Sprache. Sowohl die jungen als auch die alten Wemarer in der Mine waren zwar sehr gesprächig gewesen, hatten aber mit freundlichen Worten stets gespart, so daß er geglaubt hatte, man würde seine Anwesenheit lediglich dulden, aber nicht mehr. Er hätte gern ein Wort des Dankes an den Chefkoch gerichtet, doch noch war er nicht aus den Schwierigkeiten heraus, und außerdem gab es noch einiges anderes, was er zuerst zu sagen hatte.
„Remrath hat recht“, sagte er mit lauter Stimme zu den Jägern. „Ich bin ungenießbar. Und für die Fremdweltler auf dem Schiff ist Creethar ebenfalls ungenießbar, denn wir essen kein Fleisch. Remrath weiß das und hat seinen Sohn in unsere Obhut gegeben, weil wir auf diesem Gebiet über ein größeres Wissen und mehr Erfahrung verfügen. Sowohl Remrath als auch Sie haben unser Wort, daß wir Ihnen Creethar bei der Mine sobald wie möglich zurückgeben.“
Ich spreche die Wahrheit, sagte sich Gurronsevas, nur nicht die ganze. Die Besatzung der Rhabwar und die Hälfte des medizinischen Teams aß sehr wohl Fleisch, allerdings waren die Mahlzeiten, die man an Bord und im Orbit Hospital verzehrte, ein Produkt der Nahrungssynthesizer, so vollkommen sie in Färbung, Struktur und Geschmack auch waren, und bestanden nicht aus Körperteilen irgendeines unglücklichen Tiers — und von einem intelligenten Lebewesen würde man auf der Rhabwar auch nicht den kleinsten Happen essen. Auch davon, daß Creethar bei der Übergabe lebendig oder tot sein könnte, sagte Gurronsevas nichts. Er glaubte zwar zu wissen, welche von den beiden Möglichkeiten eintreffen würde, doch das Überbringen dieser Art von schlechten Nachrichten überließ man besser den Ärzten.
Schlagartig fiel ihm ein, daß das medizinische Team über den Patienten nicht mehr wußte, als es mit Hilfe der Scanner sehen konnte. Deshalb könnten Informationen darüber, wie sich Creethar die Verletzungen zugezogen hatte, vielleicht nicht nur für das medizinische Team nützlich sein, sondern Gurronsevas auch die Möglichkeit verschaffen, ein weniger heikles Thema anzusprechen. Die Wemarer unterhielten sich jetzt lebhaft, aber leise miteinander, und nach den wenigen Worten, die Gurronsevas’ Translator aufschnappte, schienen sie inzwischen weniger feindselig gegen ihn eingestellt zu sein. Er war entschlossen, eine Frage zu riskieren.
„Könnten Sie mir, falls es nicht allzu schmerzhaft für Sie ist, erzählen, wie Creethar sich seine Verletzungen zugezogen hat?“
Ganz offensichtlich bereitete die Frage keinen Kummer, denn aus der Gruppe der Jäger begann eine Wemarerin namens Druuth, die Creethars Platz als Anführer eingenommen hatte, den Vorfall zu beschreiben. Sie erzählte die Geschichte in sämtlichen Einzelheiten, die sich hin und wieder recht grausam anhörten. Dazu gehörten auch die Ereignisse und Gespräche vor und nach dem Zwischenfall sowie Creethars eigener Bericht und seine letzten Anweisungen, bevor er das Bewußtsein verloren hatte.
Gurronsevas gewann den Eindruck, daß die Wemarerin ihm möglicherweise nur deshalb alles so ausführlich berichtete, um irgend etwas zu entschuldigen oder vielleicht auch zu rechtfertigen, das die Gruppe der Jäger getan oder unterlassen hatte.