Darüber hinaus befahl Creethar ihnen, die Jagd sofort abzubrechen, zu der Mine zurückzukehren und alle fünf Jungen lebend mitzunehmen. Es war nicht das erste Mal, daß eine Gruppe von Jägern Twasachjunge gefangen hatte, doch bisher waren sie immer einzeln und im Freien getötet worden. Einen kompletten Wurf in einer Twasachhöhle zu fangen war jedenfalls noch nie gelungen. Soweit die Wemarer zurückdenken konnten, bestand zum ersten Mal die Möglichkeit, die Twasachjungen zu einer Herde von Schlachttieren heranzuzüchten — vorausgesetzt, die Jäger und ihre Familien, die bei der Mine in ständiger Unterernährung lebten, konnten ihren Hunger noch ein paar Jahre im Zaum halten.
Aus Ästen und den Häuten des Zelts baute man also für Creethar eine Trage und machte sich auf den langsamen Rückmarsch zur Mine. Obwohl Creethar ständig Schmerzen hatte, nicht immer bei klarem Verstand war und nur undeutlich sprechen konnte, verbrachte er die lichten Momente damit, sich mit Druuth über die Notwendigkeit zu unterhalten, alle Twasachjungen am Leben zu lassen, und die Jäger zu dem Versprechen zu überreden, diese Anweisung auch weiterhin zu befolgen, falls er selbst vor dem Eintreffen bei der Mine sterben sollte.
Das entsprach zwar nicht genau dem auf Wemar geltenden Gesetz, doch die Jäger wollten sich weder mit ihrem äußerst geachteten Anführer, der bald sterben würde, streiten, noch lag ihnen etwas daran, sein Leiden oder die anhaltende seelische Anspannung seiner Lebensgefährtin Druuth in irgendeiner Hinsicht zu vergrößern.
Druuth bestand darauf, die Trage mit zu schleppen, ob sie nun an der Reihe war oder nicht, damit sich die anderen Träger so sanft wie möglich über unebene Bodenstellen bewegten und sie selbst versuchen konnte, Creethar ein wenig von seinen Schmerzen abzulenken, indem sie sich mit ihm unterhielt. Sie sprach über vieles: von früheren, erfolgreicheren Jagden und von den seltsamen Maschinen, die die Fremdweltler bei der Mine abgeworfen hatten, aber hauptsächlich von ihrer ersten gemeinsamen Reise, zu der sie einst von der Siedlung am See aufgebrochen waren. Vier junge Erwachsene hatten damals die lange, gefährliche Wanderschaft von der Mine zum See angetreten, um sich eine Lebensgefährtin zu suchen; so wie es andererseits bei den frischgebackenen Jägern in der Siedlung am See Brauch war, zur Mine oder zu anderen Siedlungen zu ziehen, da nur kränkliche oder geistesgestörte Nachkommen zur Welt kamen, wenn die Wemarer innerhalb des eigenen Stamms heirateten. Creethar hatte Mut und Stärke bewiesen und sich das Recht erworben, sich als erster eine Gefährtin auswählen zu dürfen, indem er seine Reisegefährten weit hinter sich gelassen hatte und drei Tage vor ihnen am See eingetroffen war — und seine Wahl war auf Druuth gefallen.
Da der jetzige Weg jedoch holprig war und Creethars gebrochene Knochen ständig gegeneinander gestoßen wurden, so daß Druuth seine stummen Schmerzensschreie regelrecht zu hören meinte, sprach sie ausschließlich von der ersten gemeinsamen Hochzeitsreise und von dem, was sie auf der langen, gemächlichen und herrlichen Rückkehr zu ihrem neuen Zuhause in der Mine gesagt und getan hatten.
Die Verschlechterung von Creethars Zustand wurde von Druuth auf dem Rückweg zur Mine in derart erschreckenden Einzelheiten beschrieben, daß Gurronsevas eine wachsende innere Anspannung verspürte. Er brauchte kein Empath zu sein, um die Auswirkung der Worte auf Creethars Vater Remrath zu ahnen. Doch bevor er etwas sagen konnte, sprach bereits Priliclas Stimme im Kopfhörer all das aus, was ihm auf der Zunge gelegen hatte.
„Freund Gurronsevas“, sagte der Empath. „Das, was Sie über die Verletzung des Patienten und das darauffolgende Versäumnis, ihn zu behandeln, für uns in Erfahrung gebracht haben, ist sehr hilfreich. Doch vorerst wissen wir genug, und Ihr Freund Remrath durchleidet heftige seelische Qualen. Brechen Sie deshalb bitte den Kontakt mit Druuth so schnell wie möglich ab, und lassen Sie Remrath die Wahl, ob er mit der Rhabwar oder mit den Jägern zur Mine zurückkehren will, und kommen Sie dann wieder aufs Schiff.“
Als Gurronsevas Remrath vor die Wahl gestellt hatte, antwortete der Chefkoch: „Obwohl ich so alt bin, könnte ich wahrscheinlich schneller marschieren als dieser ausgehungerte Haufen hier. Aber ich werde trotzdem aufs Schiff zurückkehren. Dort, dort habe ich noch Vorbereitungen zu treffen.“
Erneut spürte Gurronsevas den Kummer des Wemarers. Um zu versuchen, ihn zu beruhigen, sagte er: „Machen Sie sich bitte keine Sorgen, Remrath. Die Fremdweltler auf dem Schiff verstehen ihr Geschäft, und Creethar befindet sich bei ihnen in guten Händen. Würden Sie den Ärzten gern bei der Arbeit zusehen?“
„Nein!“ wehrte Remrath in scharfem Ton ab und fuhr mit sanfterer Stimme fort: „Möglicherweise erscheine ich Ihnen als ein schwacher und feiger Vater. Aber vergessen Sie bitte nicht, daß Ihre Freunde die Verantwortung für Creethar übernehmen wollten und ich sie ihnen überlassen habe. Von mir zu verlangen, mir anzusehen, was die Fremdweltler mit meinem Sohn anstellen, ist sehr gefühllos von Ihnen, Gurronsevas. Von solchen Sachen möchte ich lieber nichts wissen. Bitte bringen Sie mich schnellstmöglich zur Mine zurück.“
Auf dem Rückflug an Bord der Rhabwar warf Remrath keinen einzigen Blick auf das medizinische Team, das sich mit Creethar beschäftigte, noch sprach er ein einziges Wort mit Gurronsevas oder sonst jemandem. Der Tralthaner versuchte, sich vorzustellen, wie er sich gefühlt hätte, wenn eins seiner Kinder — vorausgesetzt, er hätte welche gehabt — schwer verletzt worden wäre und man ihm die Möglichkeit gegeben hätte, den Chirurgen bei der Operation zuzusehen.
Vielleicht hatte Remrath recht, und seine Frage war wirklich sehr gefühllos gewesen.
29. Kapitel
Im Gegensatz zu Remrath konnte es Gurronsevas nicht vermeiden, alle Maßnahmen des medizinischen Teams zu sehen oder zumindest zu hören. Jede einzelne Operationsphase wurde auf den großen Repeaterschirm des Unfalldecks übertragen und für zukünftige Studienzwecke aufgezeichnet, da es sich um den ersten größeren Eingriff an einer für die Föderation neuen Lebensform handelte, und deshalb waren die Begleitkommentare präzise und ausführlich. Selbst als Gurronsevas alle Augen vom Schirm abwandte, konnte er den Bildern nicht entkommen, die die Stimmen in lebhaftesten Farben schilderten.
Draußen vor dem Sichtfenster verwandelte sich das Grün der steilen Talwände allmählich erst in die Einfarbigkeit der Dämmerung und schließlich in die fast vollkommene Dunkelheit, die nur auf einem Planeten ohne Mond in einem galaktischen Sektor möglich ist, in dem die Sternsysteme dünn gesät sind — und immer noch beschäftigte sich das medizinische Team mit dem Patienten und unterhielt sich über ihn. Doch als der erste graue Schimmer der Morgendämmerung die völlige Dunkelheit zurückdrängte, kam die Operation langsam zum Ende, und man ging von den detaillierten Beschreibungen der einzelnen Maßnahmen zum Resümee über.
Die Stimmen klangen zunehmend besorgt.
„Wie Sie bemerken werden, haben wir die einfachen und komplizierten Brüche an den Beinen, an den Armen und am Brustkasten genagelt und — wo nötig — ruhiggestellt und die Schnitt-, Riß- und Schürfwunden ausgespült, genäht und mit sterilen Verbänden versehen“, sagte Prilicla gerade. „Aufgrund der physiologischen Informationen, die uns Tawsar und Remrath gegeben haben, sind im Verlauf der Operation keinerlei Komplikationen aufgetreten. Vielmehr sind es die leichten Verletzungen, die Stellen, an denen die Haut in Verbindung mit den Frakturen aufgerissen oder abgeschürft ist, die den Hauptgrund zur Sorge darstellen und die Prognose ungewiß machen.“
„Im Klartext heißt das, die Operation war erfolgreich, aber der Patient wird wahrscheinlich sterben“, faßte Naydrad zusammen, wobei sie ihren spitz zulaufenden Kopf Gurronsevas zuwandte.