Gegen diese Behauptung protestierte niemand. Wahrscheinlich hatte die Oberschwester nichts anderes als die Gedanken der übrigen Mitglieder des medizinischen Teams ausgesprochen.
„Ich brauche wohl niemanden von Ihnen daran zu erinnern, daß die Krankheitserreger, die sich auf einem Planeten entwickelt haben, nicht die Lebensformen eines anderen befallen können“, fuhr Prilicla zur Belehrung des Nichtmediziners Gurronsevas fort. „Von den Heilmitteln, die verschiedene Spezies anwenden, kann man jedoch nicht dasselbe behaupten. Für den Notfall haben wir eine einzelne Arznei entwickelt, die gegen Infektionen wirkt, wie man sie bei allen warmblütigen sauerstoffatmenden Lebensformen antrifft, doch es gibt einige Spezies, für die das Medikament tödlich ist. Selbst mit den Möglichkeiten des Orbit Hospitals wäre eine langwierige Untersuchung von mindestens zwei oder drei Wochen erforderlich, bevor man es für einen DHCG als unbedenklich einstufen könnte. Mit dem Betäubungsmittel sind wir dagegen nur ein geringes Risiko eingegangen.“
„Vielleicht bleibt uns gar nichts anderes übrig, als das große Risiko auf uns zu nehmen, Doktor“, fiel ihm Murchison ins Wort. „Zuerst haben die Verletzungen den Patienten stark geschwächt, danach das anhaltende Trauma des langen Transports ohne Behandlung und jetzt der unvermeidbare postoperative Schock. Den Schock haben wir zwar unter Kontrolle, doch die einzigen positiven Maßnahmen, die wir treffen konnten, bestehen in der Beatmung mit reinem Sauerstoff und in der intravenösen Ernährung. Wenigstens wissen wir genug über den grundlegenden Stoffwechsel der Wemarer, um den Patienten nicht mit der intravenös verabreichten Flüssigkeit zu vergiften.
Auf jeden Fall müssen wir uns sehr bald entscheiden, ob wir es riskieren wollen, ein nicht an Wemarern getestetes Medikament anzuwenden oder nicht“, fuhr Murchison fort. „Zum Glück habe nicht ich diese Entscheidung zu treffen. Ich brauche wohl nicht den Zwischenfall auf Cromsag zu erwähnen, weil wir uns alle daran erinnern dürften, wie Lioren ein nicht erprobtes Medikament eingesetzt und damit fast eine gesamte Spezies ausgelöscht hat. Daß die Wemarer über die Behandlungsformen selbst von einfachsten Verletzungen oder Krankheiten nichts wissen, ist nicht ihre Schuld. Anscheinend haben sie gelernt, sich damit abzufinden, daß eine geringfügige Verletzung fast immer zum Tod führt. Deshalb haben sie uns, den wunderbaren, medizinisch fortschrittlichen Fremdweltlern, die Verantwortung für Creethars Behandlung übertragen. Und was machen wir? Wir verlassen uns darauf, daß die natürlichen Abwehrkräfte des Patienten eine eigentlich geringfügige Infektion besiegen.
Bei seinem gegenwärtigen Zustand bezweifle ich, daß der Patient überhaupt noch irgendwelche Abwehrkräfte besitzt.“
„Meine Entscheidung lautet.“, begann Prilicla, brach dann jedoch mitten im Satz ab. „Gurronsevas, Sie strahlen sehr starke Emotionen aus, eine Mischung aus Ungeduld, Verärgerung und Frustration, die für jemanden kennzeichnend ist, der anderer Meinung ist und dringend etwas sagen will. Schnell, bitte, was möchten Sie uns mitteilen?“
„Die Pathologin Murchison geht mit den Wemarern zu hart ins Gericht“, antwortete Gurronsevas. „Außerdem irrt sie sich. Leichte Krankheiten, die keinen chirurgischen Eingriff erfordern, werden sehr wohl behandelt. Normalerweise sind die Köche gleichzeitig Ärzte, so daß.“
„Sind die denn bessere Ärzte als Köche?“ unterbrach ihn Naydrad, deren Fell sich zu ungeduldigen Büscheln aufrichtete.
„Ich bin nicht qualifiziert, mir zu medizinischen Fragen eine Meinung zu bilden“, entgegnete Gurronsevas, „aber ich wollte eigentlich.“
„Warum mischen Sie sich dann in eine medizinische Diskussion ein?“ schnitt ihm Murchison in scharfem Ton das Wort ab.
„Fahren Sie bitte fort, mein Freund“, forderte ihn Prilicla freundlich, aber sehr bestimmt auf „Ich spüre, daß Sie uns helfen wollen.“
So knapp wie möglich beschrieb Gurronsevas eine seiner jüngsten Erfahrungen mit Nahrungsmitteln in der Küche der Mine, wo er ständig Kombinationen von Geschmack und Konsistenz zu finden versuchte, durch die die Gemüsegerichte auf eine Stufe gehoben wurden, auf der sie — soweit es die ihren Traditionen verhafteten Wemarer betraf — erfolgreich mit den nur noch in der Erinnerung existierenden Fleischgerichten konkurrieren konnten. Er hatte jede Wurzel-, Blatt- und Beerenart ausprobiert, die er finden konnte, auch diejenigen, auf die er in einem kleinen und offensichtlich wenig benutzten Vorratsschrank gestoßen war. Sein erster Versuch, diese Pflanzen einem Hauptgericht beizumengen, hatte beim Küchenpersonal viel Heiterkeit ausgelöst, die ihm unerklärlich gewesen war, bis ihm Remrath mitgeteilt hatte, daß es sich dabei um völlig vertrocknete Exemplare aus dem Heilkräutervorrat der Wemarer handelte.
„In der sich daraufhin anschließenden Diskussion habe ich erfahren, daß die Wemarer, obwohl sie nie an einem lebenden Patienten einen chirurgischen Eingriff jvornehmen würden, pflanzliche Heilmittel benutzen, um einfache Krankheiten zu kurieren. Auf diese Weise werden auch Atembeschwerden, Schwierigkeiten bei der Ausscheidung von Körperabfällen und kleine Kratzer behandelt, und zwar normalerweise mit heißen Umschlägen, die aus einer breiigen Masse aus bestimmten Tonerden und Krautern bestehen und mit Grashalmen zusammengebunden werden, um sie leichter an der betreffenden Stelle anlegen zu können. Als ich die Wemarer nach Creethars Verletzungen gefragt habe, hat mir Remrath gesagt, sein Sohn sei schwer und unheilbar verwundet, bestimmte Teile des Körpers seien regelrecht zertrümmert, und eine Behandlung der äußeren Verletzungen würde lediglich ein Leiden verlängern, das bereits viel zu lange anhalte.“
Während Gurronsevas’ Bericht hatte sich Prilicla auf der Kante am Fußende von Creethars Bett niedergelassen und blickte den Tralthaner genauso reglos und schweigsam an wie die anderen. In der Stille, die auf dem Unfalldeck herrschte, klang das Beatmungsgerät des Patienten direkt laut.
Zögernd fuhr Gurronsevas fort: „Wenn. wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie Creethars innere Verletzungen, die Brüche, behandelt, und jetzt bereiten Ihnen nur noch die äußeren Verletzungen Sorgen. Aus dem Grund habe ich vorhin erwähnt.“
„Tut mir leid, Gurronsevas“, unterbrach ihn Murchison erneut. „Ich hatte wirklich nicht geglaubt, daß Sie etwas zu dem Problem beitragen könnten, und vor lauter Ungeduld habe ich dann meine Manieren vergessen. Auch mit den hiesigen volkstümlichen Heilmitteln, deren Wirksamkeit nach wie vor zweifelhaft ist, werden wir vielleicht nicht in der Lage sein, den Patienten zu heilen. Aber immerhin haben sich seine Chancen verbessert.“
Plötzlich lachte die Pathologin auf, doch es handelte sich um den heftigen, bellenden Laut, der, wie Gurronsevas dachte, nicht auf Belustigung, sondern eher auf das Lösen einer inneren Spannung schließen ließ. „Tja, da stehen wir nun mit unserer ganzen Weisheit“, seufzte Murchison. „Wir besitzen das technisch fortschrittlichste Ambulanzschiff im bekannten Universum, verfügen über ein medizinisches Team, das, wie ich in aller Bescheidenheit behaupten kann, genau jene Erfahrung besitzt, um die Möglichkeiten des Schiffs voll auszuschöpfen, und sind nun wieder zum Gebrauch mittelalterlicher Umschläge zurückgekehrt! Wenn Peter das zu Ohren kommt, wird er uns das nie vergessen — vor allem dann, wenn die Behandlung Erfolg hat.“
„Jemanden mit dem Namen „Peter“ kenne ich nicht. Ist dieser Peter im Moment wichtig?“ erkundigte sich Gurronsevas leicht verwirrt.
„Sie kennen ihn“, klärte ihn Prilicla auf, der sich mit langsamen Flügelschlägen erhob und dann über Creethar in der Luft schwebte. „Peter ist der Vorname des Lebensgefährten von Pathologin Murchison, Diagnostiker Conway, dem ungewöhnliche medizinische Verfahrensweisen in der Vergangenheit keineswegs fremd gewesen sind. Doch das ist für die gegenwärtigen Umstände nicht von Bedeutung. Wichtig ist, daß Sie so schnell wie möglich mit Remrath sprechen. Bitten Sie ihn, uns seine Heilmittel zur Verfügung zu stellen und uns über deren Anwendung und Gebrauch aufzuklären. Das allein ist jetzt wichtig, mein Freund, und gleichzeitig sehr, sehr dringend.“