Das war zweifellos die größte Untertreibung seines langen und bemerkenswerten Berufslebens, aber das wußte Creethar ja nicht.
Als der Anführer der Jäger nicht reagierte, beschrieb Gurronsevas seine Eindrücke vom Leben und den Wemarern in der Mine. Kurz erzählte er von den ersten Kontakten der Fremdweltler mit den alten Lehrerinnen und den jungen Wemarern, von seiner eigenen Entscheidung, den Großteil seiner Zeit in der Mine zu verbringen, und davon, wie Remrath seine Ratschläge nach einigen Tagen des Zögerns immer mehr annahm.
Daß eine Küche und das Bedienungspersonal den Dreh- und Angelpunkt für den ganzen Klatsch, all die Skandale und aktuellen Ereignisse einer Einrichtung darstellten, wußte Gurronsevas nur zu gut. Ein Kellner fiel nur dann auf, wenn er etwas falsch machte — zu anderen Zeiten blieb er ein unauffälliger Teil der Umgebung, und das bedeutete, daß die Gäste es nur selten als notwendig erachteten, die Zunge im Zaum zu halten. Da Gurronsevas prinzipiell nichts davon hielt, ungeschickte Kellner auszubilden, waren die in der Küche eingehenden Nachrichten sowohl zutreffend als auch immer auf dem neuesten Stand.
Zwar durchschaute er nicht immer die genaue Bedeutung und das Ausmaß des Skandals oder Humors in den Gesprächen, die er jetzt erzählt bekam, doch Creethar gab mehrmals unübersetzbare Laute von sich und zuckte unter den Haltegurten mit dem Körper, und allmählich lenkte Gurronsevas die Unterhaltung wieder auf das Thema Essen. Schließlich bestand der Zweck des Gesprächs darin, den Patienten zum Essen zu bewegen.
„Remrath ist so freundlich gewesen, viele meiner Vorschläge zu übernehmen“, fuhr er elegant fort, „und die haben nicht nur bei den Lehrern und Kindern, sondern auch bei einigen von den zurückgekehrten Jägern Anklang gefunden, die inzwischen zugeben, daß sie.“
„Nie und nimmer!“ protestierte Creethar. „Haben Sie denen etwa das giftige fremdweltlerische Essen aus Ihrer Maschine vorgesetzt?“
„Das habe ich nicht“, beruhigte ihn Gurronsevas. „Der Essensspender des Schiffs ist ausschließlich für die Versorgung der Besatzung vorgesehen und verfügt gar nicht über die Leistungsfähigkeit, eine ganze Bevölkerungsgruppe zu ernähren. Deshalb haben wir den Bewohnern der Mine unser außerplanetarisches Essen gar nicht erst angeboten. Bloß Ihnen haben wir es vorgesetzt, weil Sie stark geschwächt und unterernährt sind, und Sie haben es zurückgewiesen.
Ihre Freunde in der Mine essen — und genießen, wie mir die meisten versichert haben — die einheimischen Gemüsesorten, die man bisher nur als für Kinder geeignet betrachtet hat“, fuhr er schnell fort. „Diese Gemüsesorten werden gegessen, weil ich Remrath viele neue Möglichkeiten gezeigt habe, den Geschmack der hiesigen Gemüsegerichte zu variieren, sie auf reizvollere Weise anzurichten und sie durch Soßen aus Krautern und Gewürzen, die hier überall im Tal wachsen, mit Geschmacksgegensätzen anzureichern.
Zum Beispiel habe ich.“
Creethar lauschte schweigend und reglos, während Gurronsevas mit wachsender Begeisterung zur Beschreibung der vielen Änderungen überging, die er in den Eßgewohnheiten der Minenbewohner herbeigeführt hatte. Die neuen Möglichkeiten, die er entwickelt hatte, indem er den groben Grundteig der Wemarer mit Gewürzen oder saftigen Beeren verfeinert hatte, waren mit allgemeinem Beifall aufgenommen worden. Wie er weiterhin ausführte, reichten seine Worte und Creethars Vorstellungskraft auch nicht annähernd aus, um die Geschmackserlebnisse nachzuempfinden, die er beschrieb. Als er die Komplimente wiederholte, die Remrath und selbst die erzkonservative Tawsar seiner Kochkunst gemacht hatten, erfolgte von Creethar immer noch keine Reaktion. Im Eiltempo gingen Gurronsevas nun die Gesprächsthemen aus.
Während er sich angestrengt bemühte, seine Ungeduld zu zügeln, fragte er: „Creethar, haben Sie Hunger?“
„Ja, habe ich“, antwortete Creethar, ohne zu zögern.
„Mit jedem Wort, das Sie sagen, bekommt er größeren Hunger“, merkte Prilicla an.
„Dann lassen Sie mich Ihnen etwas zu essen geben“, schlug Gurronsevas vor. „Und zwar Wemarer Essen, keins aus der Maschine der Fremdweltler. Daran haben Sie doch bestimmt nichts auszusetzen, oder?“
Creethar zögerte und antwortete dann: „Ich bin mir nicht sicher. An das Essen, das man hier den Kindern vorsetzt, erinnere ich mich nur zu gut, und das ist keine angenehme Erinnerung. Falls Sie tatsächlich irgendwie den Geschmack verbessert haben, liegt das vielleicht daran, daß Sie fremdweltlerische Substanzen ins Essen gemischt haben. Das Risiko kann ich nicht eingehen.“
In der Vergangenheit hatte Gurronsevas schon reichlich mit schwer zu befriedigenden Essern zu tun gehabt, und die Diät- und Naturkostfanatiker hatten immer besondere Schwierigkeiten bereitet, doch deren Forderungen waren im Vergleich zu denen von Creethar direkt einfach gewesen.
„Creethar, Sie müssen etwas essen“, forderte er den Wemarer in sehr ernstem Ton auf. „Zwar gehöre ich selbst nicht zu den Bewahrern und kann keine genaue Schätzung geben, aber wenn Sie jetzt anfangen, regelmäßig zu essen, werden wir Sie schon bald Ihren Freunden übergeben können. Falls Sie lieber etwas Einheimisches als die Verpflegung aus unserer Maschine zu sich nehmen, kann ich Ihnen den einfachen Gemüseeintopf kochen, an den Sie sich aus der Kindheit erinnern, und dann werde ich Remrath um ein wenig von dem Fleisch bitten, das die Jäger mitgebracht haben. Ihre Freunde wollen Sie unbedingt zurückhaben, und ich bin mir sicher, daß es denen nichts ausmachen würde.“
„Nein!“ widersprach Creethar in scharfem Ton, wobei er sich kraftlos mit dem Körper gegen die Haltegurte stemmte. „Sie dürfen auf keinen Fall
meine Freunde um Fleisch bitten oder mit Remrath über mich reden. Das müssen Sie mir versprechen.“
„Der Patient ist zunehmend angespannt“, meldete Prilicla.
Das kann ich selbst sehen, dachte Gurronsevas. Aber warum ist er angespannt? Hat er unerkannte Kopfverletzungen erlitten und ist nicht mehr bei klarem Verstand? Oder verhält er sich einfach wie ein Wemarer?
„Also gut, Creethar, ich verspreche es Ihnen“, versicherte er ihm schnell. „Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit. Mal angenommen, ich würde das Gemüse hier im Tal sammeln und es Ihnen vor und während jeder Phase der Zubereitung und des Kochens zeigen. Ich werde Ihnen nicht versprechen, Ihnen den Eintopf so vorzusetzen, wie Sie ihn in Erinnerung haben, aber ich bin mir sicher, daß Ihnen das Ergebnis gefallen wird. Zum Kochen werde ich nicht mal die Vorrichtung des Essensspenders zum Erhitzen benutzen, weil Sie möglicherweise eine Verunreinigung des Essens befürchten, sondern ich werde persönlich das hiesige natürliche Brennmaterial sammeln und auf dem Boden neben Ihnen ein Feuer zum Kochen entfachen, wo Sie mir bei der Arbeit zusehen können. Was sagen Sie nun, Creethar? Ich sehe keine Probleme mehr, all Ihre Bedenken zu zerstreuen.“
„Ich habe einen Riesenhunger“, wiederholte Creethar.
„Und Sie, Freund Gurronsevas, sind ganz schön optimistisch“, merkte Prilicla in warnendem Ton an.
31. Kapitel
Daß offene Feuer auf ihrem keimfrei sauberen Unfalldeck entzündet wurden und Rauch die Atmosphäre verunreinigte, mißbilligte Naydrad als typische, um Ordnung und Sauberkeit in ihrem medizinischen Reich besorgte Oberschwester aufs äußerste. Pathologin Murchison sagte, es sei schon schlimm genug, zum Rückschritt ins medizinische Mittelalter mit Behandlungen durch Krauter und Breipackungen gezwungen zu sein, ohne auch noch mit der Forderung konfrontiert zu werden, zum Bewohner einer verrauchten Höhle zu werden. Dr. Danalta, der sich allen Umweltbedingungen anpassen konnte, in denen Leben möglich war, hielt sich zwar zurück, war aber mit Gurronsevas’ Vorhaben ebenfalls nicht einverstanden, und Chefarzt Prilicla versuchte, den Frieden zu wahren und die emotionale Ausstrahlung in seiner Umgebung so angenehm wie möglich zu gestalten. Dennoch gab es Momente — so wie jetzt—, in denen Gurronsevas nichts unternahm, um das medizinische Team zu besänftigen.