„Jetzt, wo ich Creethar dazu überredet habe, regelmäßig und in für einen genesenden Patienten ausreichendem Maße zu essen.“, begann er.
„Für einen genesenden Schlemmer“, warfNaydrad ein.
„…ist mir gerade ein neuer Einfall gekommen, der — wie Sie sicherlich gerne hören werden — ebenfalls nicht medizinischer Natur ist“, fuhr Gurronsevas fort. „In Ihrem letzten medizinischen Gespräch, das ich wohl oder übel mit anhören mußte, haben Sie behauptet, der Patient mache gute Fortschritte, man seine Genesung jedoch beschleunigen könnte, wenn man das Essen mit winzigen Mengen von tierischem Eiweiß und bestimmten Mineralien anreichern würde, die alle von unserem Essensspender zur Verfügung gestellt werden könnten.
Mein Einfall ist folgender“, erklärte er weiter. „Da Creethar vor allem Angst hat, was aus dem Essensspender kommt, auch wenn er uns oft dabei beobachtet hat, wie wir uns auf dem Unfalldeck aus dem Spender bedient haben, würde es ihn sehr beruhigen, wenn er uns nicht nur Schiffsproviant,
sondern auch einheimische Gerichte essen sehen würde, die ich zubereitet habe. Mit etwas Glück müßten wir ihn davon überzeugen können, daß ihm das Essen aus dem Spender nichts schadet, weil wir wiederum die einheimische Nahrung vertragen. Dann werden Sie in der Lage sein, die notwendigen Veränderungen an Creethars Ernährung vorzunehmen, durch die er.“
Er brach mitten im Satz ab, weil sich Naydrads Fell am ganzen Körper zu ärgerlichen Stacheln aufgerichtet hatte, Priliclas zerbrechlich wirkender Körper von dem Gefühlssturm durchgeschüttelt wurde, der übers Unfalldeck fegte, und Murchison, deren Gesicht ein dunkleres Rosa angenommen hatte, beide Hände hochhielt.
„Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt!“ protestierte die Pathologin. „Es ist schon schlimm genug gewesen, daß Sie hier auf dem Unfalldeck gekocht und uns mit dem Rauch halb erstickt haben. Und jetzt verlangen Sie allen Ernstes von uns, Ihre ekelhaft stinkenden einheimischen Gerichte zu essen? Als nächstes sollen wir wohl auch noch rings ums Lagerfeuer sitzen und Wemarer Lieder singen, damit sich der Patient noch mehr wie zu Hause fühlen kann, wie?“
„Bei allem Respekt“, sagte Gurronsevas in einem Ton, der nicht gerade respektvoll war, „die vorübergehende Verunreinigung der Luft mit Rauch ist keineswegs gesundheitsgefährdend für Sie gewesen, und die Oberschwester hat mir gegenüber einmal erwähnt, der Duft von einigen Gerichten sei gar nicht so unangenehm.“
„Er hat den Gestank des Rauchs überlagert, habe ich gesagt“, korrigierte ihn Naydrad.
„Bevor Sie ein Gericht nicht probiert haben, können Sie gar nicht wissen, ob es stinkt und ekelhaft ist“, fuhr Gurronsevas fort, ohne den Einwurf zu beachten. „Schließlich weiß jeder, der auch nur über einen einigermaßen kultivierten Gaumen verfügt, daß sich Geschmack und Geruch gegenseitig ergänzen. Ich möchte betonen, daß einige der pflanzlichen Soßen, die ich zu den einheimischen Gerichten kreiert habe und die, wie ich Ihnen versichern kann, eine Kostprobe wert sind, über eine derartige Qualität verfügen, daß ich sie nach meiner Rückkehr in die Speisekarte des Orbit Hospitals aufnehmen werde.“
„Zum Glück kann ich alles essen“, merkte Danalta schnippisch an.
Ungeduldig fuhr Gurronsevas fort: „In meinem ganzen Leben habe ich noch kein Gericht verdorben, und ich habe nicht vor, jetzt damit anzufangen. Sie alle üben einen Beruf aus, für den Objektivität die wichtigste Voraussetzung ist. Weshalb lassen Sie sich also jetzt zu rein subjektiven Urteilen hinreißen? Mein Vorschlag lautet, Sie essen jeden Tag zusammen mit Creethar eine vollständige einheimische Mahlzeit, wobei Sie nicht vergessen sollten, daß jedes Herumspielen mit dem Essen oder andere deutlich erkennbare Zeichen der Abneigung bei der Nahrungsaufnahme für den Patienten keineswegs beruhigend wären. Schließlich sind Sie es, die wollten, daß Creethar etwas zu sich nimmt, und jetzt die Anreicherung der Nahrung mit zusätzlichem Eiweiß und Mineralien für notwendig halten. Ich versuche bloß, Ihnen zu erklären, wie das bewerkstelligt werden kann.“
Um zu spüren, daß von der Pathologin Murchison und von Oberschwester Naydrad ein weiterer Gefühlsausbruch unmittelbar bevorstand, brauchte Gurronsevas kein Empath zu sein. Doch es war Chefarzt Prilicla, der mit seiner entschiedenen, aber sanften Autorität als erster das Wort ergriff.
„Ich spüre, daß es gleich zu einem lebhaften Meinungsaustausch kommen wird“, sagte er, während er sich in die Luft erhob und langsam auf den Ausgang zuflog. „Deshalb möchte ich mich jetzt entschuldigen und mich in meine Unterkunft zurückziehen, wo mich die aus der Auseinandersetzung resultierende emotionale Ausstrahlung wegen der Entfernung nur noch gedämpft erreichen wird. Außerdem habe ich das Gefühl — und meine Gefühle täuschen mich nie—, daß Sie sich bestimmt alle an den Zweck der Rhabwar und des medizinischen Teams erinnern und sich ins Gedächtnis rufen werden, was für seltsame Patienten wir schon gehabt haben und auf welche noch merkwürdigere Art wir gezwungen gewesen sind, uns während der Behandlungen an sie anzupassen, damit wir diesen Zweck besser verfolgen konnten. Ich lasse Sie allein, damit Sie sich streiten und vor allem an das denken können, was ich eben gesagt habe.“
Die Auseinandersetzung ging weiter, wenngleich alle wußten, daß Gurronsevas diese bereits längst gewonnen hatte.
Im Laufe der nächsten vier Tage fanden die Wemarer das letzte der in der Mine zurückgelassenen Kommunikations- und Abhörgeräte und zerstörten es. Aus den wenigen Worten, die man vor dem Abbruch der Verbindung noch hören konnte, wurde deutlich, daß die sogenannten Fremdweltler ein ganz schändliches Verbrechen begangen und nichts als die tiefste Verachtung verdient hätten. Als Gurronsevas frühmorgens Kräuter und andere Pflanzen sammelte, versuchte er, sich mit einer Lehrerin zu unterhalten, die eine der Arbeitsgruppen beaufsichtigte, doch die alte Wemarerin klappte einfach die Ohren zu, und die Kinder hatte man offensichtlich angewiesen, ihn nicht zu beachten. Da jeglicher Kontakt abgerissen war, wußte das medizinische Team nicht, welchen Vergehens es sich schuldig gemacht hatte oder wie es sich dafür entschuldigen sollte. Doch als Gurronsevas anbot, uneingeladen in die Mine zu gehen und Remrath um eine Erklärung zu bitten, sagte Prilicla, die Wut und Enttäuschung der Wemarer seien derart groß, daß er die emotionale Ausstrahlung der Minenbewohner noch auf der einen halben Kilometer entfernt liegenden Rhabwar spüre, und eine weitere Verschlechterung der Situation — sofern das überhaupt noch möglich sei — könne und wolle er nicht riskieren.
Mit Creethar war die einzige Möglichkeit gegeben, den Kontakt wieder voll und ganz herzustellen, dessen war sich der Cinrussker sicher.
Bei dem Patienten erzielte man gute Fortschritte. Nach Prilicla, der wie stets die Ansicht vertrat, er müsse mit gutem Beispiel vorangehen, nahmen auch die übrigen Mitglieder des medizinischen Teams Gurronsevas’ einheimische Gerichte als Hauptmahlzeit des Tages ein. Sie hatten sich bereit erklärt, seine Kochkünste nicht in Gegenwart des Patienten zu kritisieren. Und wenn Gurronsevas morgens von Creethars Seite wich, um schnell einige Krauter und andere Pflanzen zu sammeln, war er sich keiner negativen Kritik bewußt.
Doch als man Creethar schließlich dazu bewegt hatte, tatsächlich ein wenig Nahrung mit den notwendigen Heilmitteln aus dem Essensspender zu sich zu nehmen, und wegen der ständigen Zunahme seines Körperumfangs die Haltegurte lockern mußte, machte man dem Chefdiätisten sogar so etwas wie Komplimente.
„Das heutige Essen war gar nicht schlecht, Gurronsevas“, gab Murchison widerwillig zu. „Und an dem Lutij- und Yant-Dessert könnte ich mit der Zeit noch Geschmack finden.“
„So wie an bitterer Medizin“, merkte Naydrad an. Da ihr Fell jedoch glatt blieb, wie Gurronsevas feststellte, konnte der Kelgianerin das Dessert nicht allzu sehr mißfallen haben.